: Jurist: Neues Corona-Gesetz "Mogelpackung"

von Kristina Hofmann
09.08.2022 | 18:12 Uhr
Der Plan der Ampel scheint nicht aufzugehen: Überall gibt es Kritik an ihren Corona-Regeln. Jurist Kingreen spricht von "Mogelpackung". Immunologe Radbuch hält sie für sinnlos.
Symbolbild CoronatestQuelle: dpa
Sechs Juristen waren sich ausnahmsweise einig. Alle saßen in der Kommission, die das alte Infektionsschutzgesetz im Auftrag der Bundesregierung prüfen sollte. Ärgerlich findet Thorsten Kingreen, einer der sechs und Professor an der Universität Regensburg, dass ihre Vorschläge beim Entwurf zum neuen Infektionsschutzgesetz, das jetzt diskutiert wird, kaum beachtet wurden. Kingreen kommt zu dem Schluss:
Sollten wir im Herbst wieder eine Welle bekommen, kann man mit dem Gesetz, wie es jetzt ist, wenig anfangen.
Thomas Kingreen

Schulschließung weg? Von wegen

"Besonders merkwürdig" findet Kingreen, dass alle alten Maßnahmen, wie Ausgangssperren und Schulschließungen, nach wie vor im Gesetz stehen sollen. Und damit gültig sind. "Man braucht nur mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag die epidemische Notlage von nationaler Tragweite beschließen, dann ist alles wieder da", so Kingreen. Stattdessen betonen aber derzeit alle ständig, dass man das auf gar keinen Fall will.
Deswegen, sagt Kringreen, sei der Entwurf zum Infektionsschutzgesetz gegen das Coronavirus von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) "eine Mogelpackung".
Man erweckt jetzt den falschen Eindruck, dass alle früheren Maßnahmen wie Schulschließungen vom Tisch sind. Das sind sie aber nicht. Das ist eine Mogelpackung.
Thomas Kingreen
Kingreens kritisiert zudem die Konzeption des Gesetzes: Es ist wieder befristet. Und: Es würden nur Maßnahmen geregelt, die man nach heutigen Wissensstand glaubt zu brauchen, um über den nächsten Pandemie-Winter zu kommen. Maskenpflicht, Dauer von Impfschutzstatus zum Beispiel. "Das wird spätesten im April oder, wenn es schlecht läuft, schon in wenigen Wochen wieder zu Nachbesserungen führen müssen", befürchtet Kingreen.

Die Gesundheitsminister schalten sich heute zu einer Sonderkonferenz zusammen – dabei geht es vor allem um das geplante neue Infektionsschutzgesetz. "Wir wollen die Menschen schützen", so Petra Grimm-Benne (Vorsitzende Gesundheitsministerkonferenz, SPD).

09.08.2022 | 05:45 min
Zudem seien die Vorschläge zur Maskenpflicht, von der Geimpfte ausgenommen werden sollen, praktisch kaum umzusetzen. Kingreen sagt, er könne nachvollziehen, dass die Länder sich beschweren. Ihnen gebe man keine Kriterien an die Hand, ab wann sie welche Maßnahmen einführen können. Das könnte Kalkül sein: "Wahrscheinlich in der Hoffnung, dass die Länder nichts machen."

Kritik an der Drei-Monats-Regel

Bei der Videoschalte der Länder-Gesundheitsminister mit Lauterbach am Dienstag war das ein Kritikpunkt mancher Länder: Warum gibt es keine einheitlichen Kriterien, wann eine besondere Infektionslage herrscht? Kritik gibt es auch an der Regel, dass Frischgeimpfte von der Maskenpflicht befreit seien. "Das halte ich nicht für eine kluge Regel", sagte vor Beginn Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dem "Weser-Kurier". Denn auch diese könnten sich infizieren und andere anstecken.

Wie das neue Infektionsschutzgesetz aussehen soll

Geht es nach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann sollen beim neuen Infektionsschutzgesetz einige Dinge bundeseinheitlich geregelt werden. Die Länder erhalten zudem Spielräume für zusätzliche Maßnahmen. Noch ist das ein Entwurf, der vom Kabinett, von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden muss. Demnach gibt es:

Was soll bundeseinheitlich gelten?

Die FFP2-Maskenpflicht im Luftverkehr sowie im öffentlichen Personenfernverkehr, also vor allem Fernzügen, wird beibehalten. Für den Zutritt zu Krankenhäusern, Pflegeheimen oder vergleichbaren Einrichtungen soll zudem eine Testnachweispflicht gelten. Von der Testpflicht können aber insbesondere Menschen, die innerhalb der zurückliegenden drei Monate vollständig geimpft wurden oder genesen sind, ausgenommen werden.

Welche Regeln dürfen die Länder bestimmen?

Die Länder können mit Blick auf die ab Herbst erwartete neue Infektionswelle weitergehende Vorschriften festlegen, um das Gesundheitswesen oder andere Bereiche der kritischen Infrastruktur zu schützen. Dies sind insbesondere eine Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr sowie generell in öffentlich zugänglichen Innenräumen.

Für Schulen kann dies ab der fünften Klasse gelten, wenn die Maskenpflicht zur Aufrechterhaltung eines geregelten Präsenzunterrichts erforderlich ist. Vorgeschrieben werden für Maskenpflichten bei Freizeit-, Kultur- und Sportveranstaltungen oder entsprechende Einrichtungen sowie für die Gastronomie allerdings Ausnahmen - und zwar für höchstens vor drei Monaten Geimpfte oder Genesene sowie bei aktuellem Testnachweis.

Bundeseinheitliche Kriterien wie Inzidenzwerte oder Krankenhausbelegung gibt es für all dies nicht. Allerdings können die Länder solche Werte festlegen, auch in Form von Stufenplänen.

Gibt es weitere Maßnahmen in Gefahrenlagen?

Stellt ein Landesparlament eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens oder der sonstigen kritischen Infrastruktur fest, können Maskenpflichten auch in Außenbereichen angeordnet werden, wenn dort ein Mindestabstand von 1,5 Meter nicht eingehalten werden kann. Dann entfallen auch die Ausnahmen für Geimpfte, Genesene und Getestete.

Angeordnet werden können dann zudem verpflichtende Hygienekonzepte mit weiteren Auflagen zum Beispiel zur Lüftung oder zum Vermeiden unnötiger Kontakte. Auch kann generell ein Mindestabstand von 1,5 Meter vorgeschrieben werden. Nicht vorgesehen sind jedoch auch bei einer solchen verschärften Lage Lockdowns oder Geschäftsschließungen.

Was ist mit Isolation und Impfen?

Die geltenden Vorschriften zur Isolation für Corona-Infizierte werden nicht angetastet. Auch an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht insbesondere im Gesundheitswesen hält die Regierung fest. Zudem ist mit den ab September erwarteten neuen, an die Omikron-Variante des Coronavirus angepassten Impfstoffen eine weitere Impfkampagne geplant.

Wann kommt das neue Gesetz und wie lange gilt es?

Die Ampel-Koalition will die Änderung des Infektionsschutzgesetzes zur Beschleunigung des Verfahrens per Änderungsantrag in ein bereits laufendes Gesetzgebungsverfahren einfügen. Dazu soll das Kabinett am 24. August eine sogenannte Formulierungshilfe beschließen. Nach einer Anhörung im Parlament soll der Bundestag die Neuregelung in der ersten Septemberwoche beschließen, am 16. September dann der Bundesrat.

Die neuen Regeln sollen vom 1. Oktober bis zum 7. April kommenden Jahres gelten, also bis kurz vor Ostern. Da die bestehenden Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes bereits am 23. September auslaufen würden, sollen diese bis Ende September verlängert werden.

(afp)

Das sehen auch Ärztevertreter so, wie Rudolf Henke, früherer CDU-Bundestagsabgeordneter und Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Die Drei-Monats-Regel verhindere keine Ansteckung, außerdem sei fraglich, wer sie überprüfen soll. "Ich halte das nicht für praxisnah", so Henke im Deutschlandfunk. Immunologe Andreas Radbruch, Professor an der Charité Berlin und Leiter des dortigen Rheuma-Forschungszentrums, hält Impfen alle drei Monate und auch die vierte Impfung für sinnlos.

Radbruch: Drei Impfungen reichen

"Meiner Meinung nach ist der Schutz vor schwerer Erkrankung nach der dritten Impfung bereits langfristig zu 95 Prozent", sagt Radbruch dem ZDF. "Mehr kann das Immunsystem nicht schaffen." Gegenwärtige Impfstoffe schützten nicht davor, dass man andere ansteckt oder selbst angesteckt wird.
Der Impfstoff ist extrem gut darin, eine schwere Erkrankung zu verhindern. Das macht er bereits nach drei Malen, dann sollte es auch gut sein.
Andreas Radbruch
Ob die neuen an die Omikron-Variante angepassten Impfstoffe längerfristig schützen, sei bislang völlig offen, so Radbruch. Denn derzeit fehlten die klinischen Untersuchungen. Die Drei-Monate-Regelung werde jetzt und auch später niemandem gerecht: "Die, die geimpft und genesen sind, sind wesentlich länger vor Ansteckung geschützt", sagt Radbruch. "Und die, die frisch oder zum vierten oder x-ten mal geimpft sind, sind auch nicht drei Monate lang vor Ansteckung geschützt."

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