: Mehr Viertimpfungen? Stiko zurückhaltend

22.06.2022 | 11:27 Uhr
Steigende Corona-Zahlen, die Urlaubszeit startet - und viele stellen sich die Frage: Soll ich mich jetzt wieder impfen lassen? Die Stiko und andere Experten sind zurückhaltend.
Zweiter Booster? Die Stiko will aktuell keine generelle Empfehlung dafür aussprechen.Quelle: imago
Vor allem Omikron BA.5 beschert Deutschland steigende Corona-Zahlen. Sollte man sich erneut impfen lassen, um den Sommer unbeschwerter genießen zu können? Obwohl bald neue, an Omikron angepasste Impfstoffe erwartet werden?

Stiko empfiehlt Boostern nur für einige Gruppen

Bisher empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) einen zweiten Booster nur einigen Gruppen, darunter Menschen mit unterdrücktem Immunsystem, Pflegeheimbewohner, Menschen ab 70 Jahren und Personal medizinischer Einrichtungen. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung haben nach Daten des Robert-Koch-Instituts 6,5 Prozent eine zweite Auffrischimpfung erhalten.

Gesundheitsminister Lauterbach will den Zugang zu kostenlosen Corona-Bürgertests künftig beschränken. Nur noch Menschen mit Symptomen und ausgewählte Gruppen sollen sie bekommen.

21.06.2022 | 00:23 min
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im ZDF eine vierte Impfung für alle ins Gespräch gebracht. Wer einen ruhigeren Sommer haben wolle, solle sie in Erwägung ziehen.
Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen fordert eine erneute Prüfung der Stiko-Empfehlung und gegebenenfalls eine rechtzeitige Ausweitung. So könnten auch Menschen, die jünger als 70 Jahre sind und gerade die mit Risikofaktoren vor dem Herbst ein weiteres Impfangebot sowohl gegen Corona als auch gegen Influenza bekommen.

Stiko will bessere Datenlage

Hinter einer allgemeinen Empfehlung zu einer weiteren Auffrischimpfung müsse - wie bei jeder medizinischen Maßnahme - eine begründete medizinische Indikation stehen, sagt der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens.
Es müssten Daten und Erkenntnisse zu einer Reihe von Punkten vorliegen, so Mertens. Es gehe darum, was die verfügbaren und in Entwicklung befindlichen Covid-19-Impfstoffe aktuell leisten können: Wie gut schützen sie vor Infektion und Erkrankung durch bekannte Virusvarianten? Welche Varianten-Entwicklungen sind erkennbar?

Mertens verweist auf Wichtigkeit der Daten

Zu diesen beiden Punkten lägen derzeit keine ausreichenden, belastbaren Daten vor, erklärte der Virologe.
Das Vorliegen der Daten ist eine Voraussetzung für eine begründete neue Impfempfehlung für alle und muss auch beim 'Handlungswillen' der Politik unbedingt Berücksichtigung finden.
Thomas Mertens, Stiko-Chef
Außerdem müsse beachtet werden, ob es neue Aspekte bei der Sicherheit der Impfstoffe gibt und wie sich die Immunität von Geimpften und/oder Genesenen entwickelt.

Vierte Impfung auch ohne Empfehlung möglich

Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, teilte mit, er sehe aktuell noch keinen Bedarf für eine generelle Empfehlung zu einer vierten Impfung. Für immungesunde Menschen gelte, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung auch mehr als sechs Monate nach der dritten Impfung noch sehr hoch sei.
Wer wolle, könne sich - auch ohne unter die Stiko-Empfehlung zu fallen - ein viertes Mal impfen lassen, um den Immunschutz wieder in etwa auf ein Niveau wie kurz nach der dritten Impfung zu bringen. Dies schade nicht und man verbaue sich nichts in Bezug auf eine eventuell fünfte Impfung mit einem an Omikron angepassten Impfstoff.
Bei einer generellen Empfehlung befürchte ich jedoch, dass bei vielen der Eindruck entsteht, dass ich mich alle sechs Monate impfen muss, um geschützt zu sein. Und das stimmt ja nicht und könnte zu einer Impfmüdigkeit führen.
Carsten Watz, Immunologe

Experten: Fallender Antikörperspiegel kein Alarmsignal

"Ich denke, dass die Empfehlungen der Stiko sehr ausgewogen und sachgerecht sind", erklärte der Immunologe Andreas Radbruch, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin. Eine vierte Impfung jetzt für alle sehe er kritisch. Unter anderem, da die vierte Impfung mit den verfügbaren Impfstoffen "nur sehr unvollkommen vor Infektion und Infektiosität" schütze.
Radbruch bezieht sich auf israelische Daten zu Omikron. Er nimmt an, dass der Schutz auch eher kurz anhält und betont: Schon die zweite und dritte Impfung schützten sehr gut vor schwerer Krankheit und Tod. Eine vierte Impfung mit den bisherigen Impfstoffen setze wahrscheinlich nur wenig darauf, könne aber eventuell hinderlich sein, später auf neue Impfstoffe und Virusvarianten optimal zu reagieren.
Wie auch andere Experten betont hatten, bedeuten die abfallenden Antikörperspiegel im Blut in der Zeit nach der Impfung nicht, dass man Sars-CoV-2 ausgeliefert ist.
Es ist absolut normal, gesund und wünschenswert, wenn der Antikörperspiegel im Verlauf einer Immunreaktion abfällt, denn so werden die Plasmazellen selektiert, die die besten Antikörper machen.
Andreas Radbruch, Immunologe
Diese Plasmazellen würden dann "ins Knochenmark rekrutiert, wo sie uns über Jahre und Jahrzehnte mit den schützenden Antikörpern versorgen".
Quelle: Gisela Gross, dpa

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