: Kritik an vierter Impfung für Vulnerable
Die Ständige Impfkommission empfiehlt die zweite Auffrisch-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff für vulnerable Gruppen. Es geht um:
- Menschen ab 70 Jahren
- Bewohner und Betreute in Pflegeeinrichtungen
- Menschen mit einer Immunschwäche ab fünf Jahren
- Tätige in medizinischen und Pflegeeinrichtungen
Der Entwurf wird noch den Fachgesellschaften und Bundesländern vorgelegt, Änderungen sind möglich. Die endgültige Empfehlung könnte nächste Woche folgen. Doch die Entscheidung ist nicht unumstritten:
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte die Entscheidung der Stiko gegenüber ZDFheute:
Ich begrüße die Entscheidung. Die Datenlage reicht aus für die Entscheidung der Stiko. So bekommen Risikopatienten jetzt zusätzliche Sicherheit.
Der Immunologe Carsten Watzl, Generalsekretär der Gesellschaft für Immunologie, sieht das etwas anders:
Die dritte Impfung schützt vulnerable Gruppen auch nach drei Monaten noch gut vor einem schweren Verlauf. Eine vierte Impfung erscheint mir zu diesem Zeitpunkt nur mit einem Omikron-angepassten Impfstoff sinnvoll. Und den gibt es noch nicht.
Daten der britischen Regierung zeigen: Ältere dreifach Geimpfte haben auch nach mehr als zehn Wochen noch einen Schutz von 89 Prozent gegen eine Hospitalisierung bei Omikron.
Und ein angepasster Impfstoff könnte von der EMA erst ab Mai zugelassen werden. Watzl erhofft sich davon auch einen besseren Schutz vor der Übertragung bei der Omikron-Variante.
Israelische Daten zur vierten Impfung
Die Stiko schreibt selbst, dass die Datenlage zur Effektivität und zur Sicherheit der zweiten Auffrischimpfung noch begrenzt sei. Gegenüber der Funke Mediengruppe verwies Stiko-Chef Thomas Mertens auf Zahlen aus Israel:
Die jüngsten Daten aus Israel legen nahe, dass eine vierte Dosis eine gewisse Verbesserung beim Schutz vor Infektion und eine deutlichere Verbesserung beim Schutz vor schwerer Erkrankung bewirkt.
Welche Studien damit genau gemeint sind, hat die Stiko noch nicht veröffentlicht. Am Dienstag ist aber eine Studie zur Wirkung der vierten Dosis von Biontech gegen Omikron in Israel erschienen. Israel hatte schon im Januar damit begonnen, Menschen über 60 Jahren und Risikogruppen mit einer vierten Dosis Biontech zu boostern.
Für die Studie wurden im Zeitraum vom 15. und 27. Januar die Daten von mehr als 1,1 Millionen Menschen über 60 Jahren analysiert. Ergebnisse: Die Infektionszahlen bei denjenigen, die zwölf Tage oder länger die vierte Impfung hinter sich hatten, waren um die Hälfte reduziert gegenüber Menschen mit einer mehr als vier Monate zurückliegenden dritten Impfung. Und: Das Risiko, an einem schweren Verlauf zu erkranken, wurde durch die vierte Impfung ebenfalls gegenüber den Dreifachgeimpften gesenkt - es war rund vierfach geringer.
Erste Daten einer anderen israelischen Studie hatten auch gezeigt, dass die Zahl der Antikörper nach der vierten Impfung binnen einer Woche um das Fünffache anstieg. Allerdings lässt sich davon nicht automatisch darauf schließen, inwieweit sich der tatsächliche Schutz vor Infektion oder Erkrankung verbessert.
Fachgesellschaften können Stellung beziehen
Die Stiko hat ihre 16-seitige wissenschaftliche Begründung nun an die Fachkreise geschickt. Watzl arbeitet diese gerade mit seinen Kolleginnen und Kollegen durch.
Es gibt Stiko-Empfehlungen, die komplett unstrittig sind. Diese hier gehört eher nicht dazu.
Grundsätzlich könne die Stiko ihre Empfehlung auch noch einmal ändern, wenn die Fachgesellschaften Kritik üben, so Watzl.
Impfkommission nimmt Schutz vor Übertragungen in den Fokus
Die Stiko scheint mit ihrer Empfehlung nun abzurücken von dem obersten Ziel, schwere Erkrankungen zu verhindern - denn der Schutz ist nach dem dritten Piks gut. Stattdessen nimmt die Impfkommission mehr den Schutz vor Übertragungen in den Blick. Das hängt sicher auch mit den aktuell hohen Inzidenzen zusammen.
Wichtig ist, dass die Stiko die vierte Impfung nur Risikogruppen empfiehlt - nicht aber geimpften Gesunden. Für sie ist derzeit auch keine vierte Impfung vorgesehen, sagt Gesundheitsminister Lauterbach zu ZDFheute:
Eine vierte Impfung ab 18 Jahren ist derzeit nicht vorgesehen, weil die drei Impfungen als Grundimmunisierung reichen.