: Digitalisierung: Schneckentempo reloaded

von Nicole Diekmann
30.10.2022 | 13:00 Uhr
Alles sollte sich ändern: Die Ampel kündigte an, die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben. Experten reagieren nun enttäuscht und fordern eine "richtige Strategie".
74 Mal taucht das Wort "Digitalisierung" im Koalitionsvertrag der Ampel auf. Gleich in der Präambel markierten SPD, Grüne und FDP die Digitalisierung als eine zentrale Herausforderung für Deutschland, die "die Art und Weise, wie wir wirtschaften, arbeiten und miteinander kommunizieren" verändere. "Wir haben Lust auf Neues" - so klang Rot-Grün-Gelb bei Amtsantritt vor gut einem Jahr.
Inzwischen klingt sie so: "Derzeit ermitteln wir, wie viel Geld wir zusätzlich brauchen." Sagt Bundesdigitalminister Volker Wissing, FDP. Dass er noch kein Budget für die von ihm auch erst relativ spät erarbeitete "Digitalstrategie" vorweisen kann, sondern diese "derzeit ermitteln" lässt, erinnert verdächtig an die Trägheit der vergangenen Dekaden und Regierungen.

Experten beklagen fehlende Digitalstrategie

Nach Ansicht von Fachleuten nicht das einzige Problem der "Digitalstrategie". "Wir hatten große Hoffnungen, dass endlich mal eine Bundesregierung eine richtige Strategie auf den Weg bringt", sagt Digitalexperte Markus Beckedahl. "Stattdessen ist es ein Sammelsurium bereits laufender Projekte plus unkonkreter 'Könnte man mal'-Vorhaben."
Tatkräftiger schreitet die Ampel beim Breitbandausbau zur Tat. Das ist auch höchste Eisenbahn, denn Deutschlands Bilanz ist verheerend: Mit einer durchschnittlichen Verbindungsgeschwindigkeit seiner Festnetz-Internetanschlüsse von 76,5 Mbit/Sekunde liegt es international weit hinten. Hinter Staaten wie Moldau und Ungarn. Chile führt mit 217,4 Mbit/Sekunde.

Mittel für Glasfaserausbau für 2022 ausgeschöpft

Allzu lange hatte man beim Aufbau eines Glasfasernetzes hierzulande auf die Privatwirtschaft gesetzt. Bis es der Politik dämmerte, dass auch Telekommunikationsunternehmen gewinnorientiert arbeiten. Also dort nicht ausbauen, wo es sich finanziell nicht lohnt.
Seit einiger Zeit baut der Staat mit aus, vor allem auf dem platten Land. Zunächst wurde das Geld nicht komplett abgerufen; unter anderem wegen überbordender Bürokratie. Die Ampel verschlankte sie - und verkündete nun vor zwei Wochen: Dieses Jahr keine Förderung mehr, die drei Milliarden Euro für 2022 sind ausgeschöpft.

Länder und Kommunen schreiben Brandbrief

So viel sollen es auch im kommenden Jahr sein. Ob er angesichts des offensichtlich ja großen Bedarfs mehr Geld fordere, fragen wir den Bundesminister - auch angesichts des Brandbriefs, den ihm Ministerpräsidenten schickten. Das seien parteipolitische Manöver, winkt Wissing ab, und mehr Geld ein falsches Signal:
Wenn der Staat mehr fördert, bedeutet das weniger Kapazitäten für den eigenwirtschaftlichen Ausbau.
Volker Wissing, Bundesdigitalminister
Außerdem füge der Staat "dem Steuerzahler Schaden zu, wenn er in einem Bereich fördert, wo der eigenwirtschaftliche Ausbau stattfinden kann." Mit anderen Worten: Der Markt regelt. Eine erstaunliche Argumentation, wo doch genau dieser Markt so lange so wenig geregelt hatte, dass der Staat in die Bresche springen musste.

Deutschland im digitalen Vergleich in der EU auf Platz 13

Entsprechend reagiert die Opposition. Die AfD stand dem ZDF zu diesem Thema für kein Interview zur Verfügung. Ihre Abgeordnete Barbara Lenk schrieb aber in einer Pressemitteilung von "einem völlig falschen Signal für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands". Lenk reiste vergangene Woche mit einer Delegation des Digitalausschusses des Bundestages nach Japan und Südkorea. Ebenso Anke Domscheit-Berg für die Linke. Ihr Fazit, in seiner Pauschalität fundamental:
Die Digitalisierung in anderen Ländern funktioniert. Da kann man noch was lernen. Zum Beispiel beim Breitbandausbau, bei digitaler Bildung, aber auch bei digitaler Verwaltung.
Anke Domscheit-Berg, Die Linke
Zumindest in einem Punkt unterscheidet sich die Ampel schon jetzt von allen Vorgängerregierungen: Während die die Weltspitze anpeilten, will Volker Wissing Deutschland lediglich unter die Top Ten des DESI bringen. Derzeit belegt Deutschland im europäischen Index in Sachen digitale Leistung Platz 13. Überambitioniert kann man Wissing also nicht nennen. Wohl eher realistisch.

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