Noch 1 Tag
: Selenskyj feuert Geheimdienstchef von Charkiw
29.05.2022 | 23:25 Uhr
Selenskyj entlässt Geheimdienstchef der ukrainischen Stadt Charkiw. Serbiens Präsident Vucic gibt "extrem günstigen" Erdgas-Deal mit Russland bekannt. Die Entwicklungen an Tag 95.
Erstmals seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat Präsident Selenskyj den Osten des Landes besucht. In der umkämpften Region Charkiw machte er sich ein Bild von der Zerstörung durch die Kämpfe.
29.05.2022 | 01:32 minDas Wichtigste in Kürze
- Serbien schließt Erdgas-Deal mit Russland
- Selenskyj reist erstmals seit Kriegsbeginn in die Ostukraine
- Russische Truppen verstärken Angriffe in Ost-Ukraine
- Politologe Masala: "Es läuft" für Putin
- London wirft Russland vor, gezielt irreführende Erzählungen zu verbreiten
Anmerkung der Redaktion
Angaben zum Verlauf des Krieges oder zu Opferzahlen durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Seite können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Wir fassen für Sie im Folgenden die wichtigsten Entwicklungen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine zusammen. Weitere News-Updates zur Lage und zu Reaktionen erhalten Sie jederzeit auch in unserem Liveblog zu Russlands Angriff auf die Ukraine.
Das ist an Tag 95 passiert:
- Erstmals seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat Staatschef Wolodymyr Selenskyj am Sonntag den Osten des Landes besucht. Sein Büro veröffentlichte im Messengerdienst Telegram ein Video, das Selenskyj mit einer kugelsicheren Weste in der Großstadt Charkiw und deren Umgebung zeigte. Der Staatschef kündigte an, "in Charkiw und allen anderen Städten und Dörfern, über die das Böse hereinbrach", würden die zerstörten Häuser wieder aufgebaut.
- Selenskyj hat nach eigenen Angaben den Geheimdienstchef der ostukrainischen Stadt Charkiw entlassen. Er habe festgestellt, dass dieser sich von Beginn des russischen Angriffskriegs an nicht um die Verteidigung der Stadt gekümmert habe, "sondern nur an sich selbst dachte", sagte Selenskyj am Sonntagabend in seiner täglichen Videoansprache. Welche Motive dahinter standen, würden nun die Strafverfolgungsbehörden untersuchen.
- Der russische Botschafter in London, Andrei Kelin, rechnet nicht damit, dass sein Land in der Ukraine Atomwaffen einsetzen wird. Nach den Regeln des russischen Militärs sei dies nur vorgesehen, wenn Russland in seiner Existenz bedroht sei, sagte Kelin in einem am Sonntag ausgestrahlten BBC-Interview. "Das hat nichts mit der aktuellen Operation zu tun." Konfrontiert mit Belegen für russische Kriegsverbrechen in der Ukraine wies der russische Botschafter wiederholt Moskaus Verantwortung dafür zurück. "Nichts passiert, keine Leichen auf der Straße", sagte Kelin zu Berichten über die Gräueltaten im Kiewer Vorort Butscha, wo nach dem Abzug der Russen im April Hunderte Leichen gefunden wurden. "Unserer Ansicht nach ist das eine Erfindung. Es wird benutzt, um die Verhandlungen zu stören", sagte Kelin.
- Bei Angriffen auf ukrainische Orte sind den Behörden zufolge mehrere Zivilisten getötet oder verwundet worden. Selenskyj warf Russland unterdessen "neuen Terror" vor. Die ukrainische Armee teilte mit, russische Angriffe abgewehrt zu haben. Dabei seien 33 "Okkupanten" getötet und 6 gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden. Die Angaben sind nicht unabhängig zu prüfen.
- Laut Selenskyj nähere sich sein Land dem Punkt, an dem es Russland technologisch und bezüglich der Angriffsmöglichkeiten überlegen ist: "Natürlich hängt viel von unseren Partnern ab und ihrer Bereitschaft, die Ukraine mit allem zu versorgen, was zum Schutz der Freiheit benötigt wird", sagt er in einer Videobotschaft. "Ich erwarte dazu gute Nachrichten in der kommenden Woche." Einzelheiten nennt Selenskyj nicht.
Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert, Russland als Terrorstaat einzustufen. "Terror auf dem Gebiet der Ukraine. Terror auf dem Energiemarkt in Europa", so Selenskyj.
29.05.2022 | 00:20 min- Präsidentenberater Olexij Arestowitsch sprach sich für Lieferungen von Raketen vom Typ Harpoon aus, mit denen Schiffe angegriffen werden können. Damit könnte die Ukraine die russische Blockade der Seehäfen durchbrechen, wurde Arestowitsch von der Agentur Unian zitiert.
Die Situation in den ukrainischen Städten:
- Besonders umkämpft war weiter die Großstadt Sjewjerodonezk im Donbass. Nach Angaben des Gouverneurs von Luhansk, Serhij Hajdaj, ist die Stadt weiter unter ukrainischer Flagge. Er widersprach damit Berichten aus Russland, Sjewjerodonezk sei vollständig eingenommen. Nach Angaben der Behörden wird die Lage immer aussichtsloser. "Die kommende Woche wird sehr schwer", erklärte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj. Er zeigte sich auch besorgt über die sanitäre Lage in der Stadt: "Ständige Bombenangriffe" würden die Versorgung mit Trinkwasser erschweren, seit mehr als zwei Wochen gebe es keinen Strom, das "humanitäre Hilfszentrum" der Stadt habe außerdem seine Arbeit eingestellt.
- In seinem Lagebericht teilte der ukrainische Generalstab mit, der Feind versuche "am nordöstlichen Stadtrand von Sjewjerodonezk Fuß zu fassen und führt Angriffsoperationen in Richtung Stadtzentrum durch". Die Bodenoffensive werde dabei von Artillerie und Luftwaffe unterstützt. Der russische Beschuss von Siewierodonezk hat weiter nach Darstellung von Selenskyj die gesamte kritische Infrastruktur der Stadt zerstört. Dies gelte auch für mehr als zwei Drittel der Wohngebäude, sagt er in einer Fernsehansprache.
Im ostukrainischen Sjewjerodonezk nehmen die russischen Angriffe offenbar zu. Das russische Militär versucht seit Tagen, die Ukrainer im Osten einzukesseln.
29.05.2022 | 00:20 min- In der von Russland eroberten Hafenstadt Mariupol warnte Bürgermeister Wadym Bojtschenko unterdessen vor dem Risiko von Infektionskrankheiten. Kanalisation und Müllabfuhr funktionierten nicht mehr, zudem stiegen die Temperaturen. "Daher melden unsere Ärzte die Gefahr, die in diesem Sommer auftreten kann: Ausbrüche von Infektionskrankheiten wie der Ruhr und anderen", sagte Bojtschenko.
Reaktionen auf und Folgen des russischen Angriffs:
- Serbiens Präsident Aleksandar Vucic hat einen "extrem günstigen" Erdgas-Deal mit Russland bekanntgegeben. Diesen habe er seinem Land am Sonntag bei einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gesichert, erklärte Vucic. "Die Vereinbarung, die Präsident Vucic mit Präsident Putin erzielt hat, ist ein Beweis dafür, wie sehr die Entscheidung Serbiens, sich nicht an der antirussischen Hysterie zu beteiligen, respektiert wird", sagte der prorussische Innenminister Aleksandar Vulin. Man akzeptiere keine Befehle aus dem Westen.
- Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Rückhalt der Industrie bei den Sanktionen gegen Russland begrüßt. Die Hannover Messe finde auch vor dem Hintergrund des "furchtbaren Krieges" Russlands gegen die Ukraine statt, sagte Scholz zur Eröffnung der Messe am Sonntagabend. "Deshalb ist es ganz wichtig zu wissen, dass die Wirtschaft, die Industrie, hinter den Maßnahmen steckt und steht, die wir ergriffen haben, um Russland zu überzeugen, diesen Krieg zu beenden, zum Beispiel auch die Sanktionen."
- Nach Einschätzung des Politologen und Militärexperten Carlo Masala werde Wladimir Putin erst dann ernsthaft zu verhandeln beginnen, wenn er befürchten müsse, durch eine Fortführung des Krieges mehr zu verlieren als zu gewinnen, sagte Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. Genau das aber sei derzeit nicht der Fall. "Es läuft für ihn. Von daher gibt es überhaupt keinen Anreiz, sich in diese Verhandlungen hineinzubegeben." Die jüngsten militärischen Erfolge der russischen Streitkräfte im Donbass in der Ostukraine lassen sich nach Masala auf zwei Ursachen zurückführen:
- Erstens fehle es den Ukrainern an schweren Waffen.
- Zweitens hätten die Russen ihre Strategie erfolgreich geändert. "Im Gegensatz zum bisherigen Kriegsverlauf gehen sie nicht mehr an breiten Abschnitten der Front vor, sondern ziehen ihre Truppen zusammen, um an kleinen Stücken der Front voranzukommen. Dadurch haben sie derzeit eine personelle Überlegenheit."
Ukraine: Hier können Sie spenden
Wenn Sie helfen wollen, können Sie das durch eine Spende tun. Alle Informationen hierzu im Überblick.
Wie arbeitet das Aktionsbündnis?
Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.
- London wirft Russland vor, gezielt irreführende Erzählungen zu verbreiten. Moskau sei bereit, "die weltweite Ernährungssicherheit für seine eigenen politischen Ziele aufs Spiel zu setzen und sich dann als vernünftiger Akteur zu präsentieren und den Westen für jegliches Scheitern verantwortlich zu machen", hieß es am Sonntag in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums unter Berufung auf Geheimdienstinformationen. So habe Russland die Ukraine vor einigen Tagen aufgefordert, den Hafen von Odessa zu entminen, damit Schiffe sicher durchfahren könnten. Tatsächlich blockiere Moskau selbst die Ausfuhr von Getreide aus ukrainischen Häfen. Dies sei ein Kerngedanke moderner russischer Kommunikationsstrategie, heißt es von den Briten. Schon seit Beginn des Kriegesveröffentlicht die britische Regierung in ungewöhnlich offener Art und Weise regelmäßig Geheimdienstinformationen zum Verlauf des Angriffskriegs.
Für Wladimir Putin sind Russen und Ukrainer dasselbe Volk. Und damit begann die Tragödie. Der Kampf richtet sich für den russischen Präsidenten gegen den Westen.
29.05.2022- Die Ukraine widersprach Russland erneut mit Nachdruck, dass westliche Strafmaßnahmen gegen Moskau der Grund für die aktuelle mangelnde Lebensmittelsicherheit in der Welt seien. "Sanktionen gegen Russland haben nichts mit der sich abzeichnenden globalen Nahrungsmittelkrise zu tun", teilte Außenminister Dmytro Kuleba per Twitter mit. "Der einzige Grund für Engpässe, steigende Preise und drohenden Hunger ist, dass das russische Militär 22 Millionen Tonnen ukrainischer Lebensmittelexporte in unseren Seehäfen physisch blockiert".
- Wenige Tage vor Inkrafttretens des Grundsicherungs-Anspruches für ukrainischen Geflüchtete sind einem Zeitungsbericht zufolge in Deutschland 352.545 ukrainische Staatsangehörige und 12.371 Drittstaatsangehörige mit biometrischen Daten registriert worden. Das erklärte das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage der "Bild am Sonntag" laut einem Vorabbericht. Laut der Bundesagentur für Arbeit haben sich Stand Freitag 44.000 Ukrainer bei den Jobcentern Arbeit suchend gemeldet.
Das war an Tag 94 passiert:
Selenskyj fordert eine Einstufung Russlands als Terrorstaat. Präsident Wladimir Putin wiederum warnt Deutschland vor weiteren Waffenlieferungen. Die Entwicklungen an Tag 94.
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Quelle: dpa, Reuters, AFP