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: Warum in Deutschland wenig eingebürgert wird

von Katja Belousova und Kathrin Wolff (Grafiken)
29.11.2022 | 13:26 Uhr
Die Ampel streitet darüber, ob und wie Einbürgerungen erleichtert werden sollen. Doch welche Hürden gibt es dabei bislang? Und wie entwickelt sich die Zahl der Einbürgerungen?
Wer darf deutscher Staatsbürger werden? Darüber ist ein Streit entbrannt.Quelle: dpa/Georg Wendt
Wer bekommt den deutschen Pass? Und wie schnell? Über diese Fragen zur Einbürgerung streitet die Ampel-Koalition aktuell nicht nur mit der Union - sondern auch untereinander. Der Streit entbrannte vergangene Woche, nachdem öffentlich wurde, dass Innenministern Nancy Faeser (SPD) die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform des Staatsangehörigkeitsrechts umsetzen will.
Seither stellt sich die FDP gegen die eigenen Ampel-Pläne. Doch was genau sehen Faesers Pläne vor? Wo soll es Erleichterungen geben? Und welche Folgen könnten sie haben?

20 Prozent mehr Einbürgerungen 2021

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 131.600 Ausländer*innen eingebürgert - 20 Prozent mehr als 2020.
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Dafür müssen sie in der Regel seit acht Jahren in Deutschland leben, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und über ausreichend Deutschkenntnisse verfügen. Zudem müssen viele Menschen ihre vorherige Staatsbürgerschaft ablegen, weil Deutschland die doppelte Staatsbürgerschaft nur in Ausnahmefällen erlaubt.

Bedingungen für die Einbürgerung

  • Acht Jahre dauerhafter und rechtmäßiger Aufenthalt in Deutschland
  • Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes
  • Besitz eines unbefristeten oder auf Dauer angelegten Aufenthaltsrechts
  • Eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts
  • Ausreichend Deutschkenntnisse
  • Keine Verurteilung wegen einer Straftat
  • Bestandener "Einbürgerungstest" (mit Ausnahmeregelungen)
  • Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit (mit Ausnahmeregelungen)

Quelle: Mediendienst Integration

Reform der doppelten Staatsbürgerschaft geplant

Nach Faesers Plänen sollen diese Kriterien vereinfacht werden. Künftig soll man bereits nach fünf Jahren Aufenthalt die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten können, bei "besonderen Integrationsleistungen" sogar nach drei statt wie bisher sechs Jahren.
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Ein weiterer wichtiger Aspekt der Reform betrifft Doppelstaatler*innen: Der Besitz mehrerer Staatsbürgerschaften soll künftig viel einfacher werden.
"Die Reform entspricht dem europäischen Trend und würde dafür sorgen, dass Deutschland mit Blick auf Einbürgerungen vor allem im westeuropäischen Vergleich aufschließt", sagt Migrationsexperte Dietrich Thränhardt. Der emeritierte Professor lehrte jahrelang an der Uni Münster, veröffentlichte Studien zu Migration und Einbürgerung und ist Mitglied im Rat für Migration.
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Wie viele Menschen in Deutschland sich einbürgern lassen könnten, ist schwer zu erfassen. Das Statistische Bundesamt rechnet deshalb vereinfacht mit der Annahme, dass alle Ausländer*innen, die mindestens zehn Jahre hier leben, die Anforderungen erfüllen - und kommt für 2021 auf ein "ausgeschöpftes Einbürgerungspotenzial" von nur 2,5 Prozent.

Das Problem mit der Ausbürgerung

Ein neues Einbürgerungsgesetz könnte die Zahl deutlich erhöhen. Denn vor allem eine Reform der Mehrfachstaatsbürgerschaft könnte das Prozedere beschleunigen und den Verwaltungsakt vereinfachen, so Thränhardt.
Ich würde vermuten, dass allein dadurch die Rate der Einbürgerungen sich verdoppeln würde, innerhalb kurzer Zeit.
Dietrich Thränhardt
Denn viele Menschen - darunter aus der Türkei oder Serbien - müssen sich erst aktiv in ihrem Herkunftsland ausbürgern lassen, um Deutsche werden zu können. "Diese Menschen bekommen zunächst eine Einbürgerungszusicherung. Dann müssen sie zum Heimatstaat gehen und sich da ausbürgern lassen", sagt Thränhardt. Das koste nicht nur Zeit, sondern in vielen Fällen auch Geld. Zudem sei der Prozess oft mit Unsicherheit verbunden.
Da kann es Ihnen auch passieren, wenn Sie zum Beispiel arbeitslos werden, dass Sie plötzlich nicht mehr eingebürgert werden können, weil Ihre ökonomische Existenzgrundlage nicht mehr da ist.
Dietrich Thränhardt
Menschen aus Syrien oder Afghanistan hätten da bisher einen Vorteil, so Thränhardt. "Weil diese Länder die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit generell verbieten, müssen die Menschen dem deutschen Staat auch keinen Ausbürgerungsnachweis vorlegen", erklärt er. Dies sei einer der Gründe, warum sich 2021 Syrer*innen am häufigsten in Deutschland einbürgern ließen - vor Menschen aus der Türkei, Rumänien, Polen und Italien.
Auch für dieses Jahr geht das Statistische Bundesamt von einer steigenden Zahl bei Einbürgerungen von Menschen aus Syrien aus.
Anfang 2021 lebten 105.000 syrische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltsdauer von mindestens sechs Jahren in Deutschland. Anfang 2022 waren es mit 449.000 mehr als viermal so viele.
Statistisches Bundesamt

Einbürgerung von Flüchtlingen

Menschen aus Fluchtländern wie Syrien seien grundsätzlich "sehr einbürgerungsbegierig, weil ihnen die Einbürgerung rechtliche Sicherheit bietet", erklärt Thränhardt.
Wir hatten schon immer ein sehr hohes Einbürgerungspotenzial bei Flüchtlingen und das ist jetzt bei Menschen aus Syrien deutlich sichtbar geworden, weil wir einfach eine große Zahl bei uns haben.
Dietrich Thränhardt
Ist Ähnliches auch mit Blick auf die Geflüchteten aus der Ukraine zu erwarten? Das hängt Thränhardt zufolge stark vom Kriegsverlauf ab. Bisher hätten viele Ukrainer*innen bekundet, wieder in ihre Heimat zurückzuwollen. Das kann sich aber ändern, wenn im Krieg noch mehr Städte zerstört oder von Russland erobert werden.
Das bedeutet natürlich, dass man seine Existenzgrundlage verliert und dann kann es sein, dass ein Teil der ukrainischen Flüchtlinge dauerhaft in Deutschland bleibt.
Dietrich Thränhardt
Bisher müssen auch Ukrainer*innen sich aktiv von ihrer Staatsbürgerschaft trennen, um Deutsche zu werden. Angesichts des Kriegs hat das Innenministerium diese Klausel jedoch vorerst faktisch ausgesetzt.

Beratung über Einbürgerungsgesetz noch ganz am Anfang

Ob eine weitere Staatsbürgerschaft künftig überhaupt noch eine entscheidende Hürde für viele Einbürgerungswillige darstellen wird, hängt davon ab, ob die geplante Reform umgesetzt wird. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ist festgehalten:

Was im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht:

"Wir schaffen ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Dafür werden wir die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglichen und den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfachen. Eine Einbürgerung soll in der Regel nach fünf Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen nach drei Jahren. Eine Niederlassungserlaubnis soll nach drei Jahren erworben werden können.

In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern werden mit ihrer Geburt deutsche Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger, wenn ein Elternteil seit fünf Jahren einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Für zukünftige Generationen prüfen wir, wie sich ausländische Staatsbürgerschaften nicht über Generationen vererben.

In Anerkennung ihrer Lebensleistung wollen wir die Einbürgerung für Angehörige der sogenannten Gastarbeitergeneration erleichtern, deren Integration lange Zeit nicht unterstützt wurde, indem wir für diese Gruppe das nachzuweisende Sprachniveau senken. Zudem schaffen wir eine allgemeine Härtefallregelung für den erforderlichen Sprachnachweis. Das Einbürgerungserfordernis der "Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" werden wir durch klare Kriterien ersetzen. Wir werden mit einer Kampagne über die Möglichkeiten zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit werben und begrüßen die Durchführung von Einbürgerungsfeiern ausdrücklich."

Quelle: Bundesregierung

Die Beratung des umstrittenen Vorhabens steht noch ganz am Anfang. Faeser will ihren Entwurf demnächst in die Ressortabstimmung geben, danach dürften langwierige Gespräche in der Ampel-Koalition beginnen.
SPD und Grüne werden sich in der Debatte auf den Koalitionsvertrag berufen. Ob die FDP schnell nachgibt, ist fraglich - und aus der Union dürfte die Kritik ohnehin laut bleiben. Denn das Thema Einwanderung wird in Deutschland seit jeher emotional diskutiert. 1999 sammelte die Union Unterschriften gegen die doppelte Staatsangehörigkeit - und gewann damit die Wahl in Hessen.

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