: Veggie-Day 2.0? Özdemir will gesünderes Essen

von Kristina Hofmann
21.12.2022 | 14:22 Uhr
Es klingt nach Veggie-Day, und ist es auch fast: Landwirtschaftsminister Özdemir will bessere Ernährung in Kantinen, weniger Salz, Zucker und Fett. Aber noch ist das nur ein Plan.
Bevor andere ihm die Gegenargumente entgegenschleudert, macht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) das lieber selbst. "Hat der sie noch alle - was ich esse, das entscheide ich und ich ganz allein", schreibt Özdemir in einem Gastbeitrag in der "Welt". Seine Antwort: Jeder habe ein Recht auf gesunde Ernährung. "Nicht jeder, der schlecht isst, will es auch oder ist selbst daran schuld."
Deswegen will er eine Ernährungsstrategie für öffentliche Einrichtungen, die das Bundeskabinett heute verabschiedet hat. Bis Ende 2023 sollen auf ihrer Grundlage Regelungen erarbeitet werden. Für Interviews hat sich der Minister an diesem Mittwoch viel Zeit genommen. Denn das Eis, auf dem er sich Minister bewegt, ist dünn.

Sechs Millionen Menschen essen auswärts

Im Wahlkampf 2013 hatten die Grünen einen bundesweiten Veggie-Day vorgeschlagen. Die Idee: ein fleischloser Tag pro Woche in öffentlichen Kantinen. Kritiker warfen ihnen vor, die Menschen bevormunden zu wollen. Der Veggie-Day sei zudem Ursache für ihr schlechtes Wahlergebnis der Grünen gewesen.
Zudem kommt: Als Bundesminister kann Özdemir gar nicht viel ausrichten. Wenn in Schul- und Kitakantinen gesunderes Essen angeboten werden soll, ist das Sache der Kommunen und Länder, weniger des Berliner Ministeriums. Trotzdem, sagt Özdemir in der ARD:
Ich kann als Landwirtschaftsminister nur einen Zipfel davon beeinflussen, weil wir ein föderativer Staat sind.
Cem Özdemir (Grüne)
Aber: Deswegen aufgeben und es nicht versuchen? Gute Ernährung könne keine Frage von Einkommen, Bildung und Herkunft sein, so der Minister. Sechs Millionen Menschen essen mittags außer Haus - in Kantinen, Mensen, in Einrichtungen wie Krankenhäuser, Pflegeheimen. "Das ist der Hebel", so Özdemir.

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Özdemir sagt, als Kind habe er selbst oft Currywurst und Pommes zu Mittag gegessen. Natürlich habe ihm das geschmeckt. Für ihn, das Arbeiterkind von türkischen Einwanderern, sei gesunde Ernährung deswegen vor allem eine soziale Frage. Meistens sind die mit geringen Einkommen übergewichtig und entwickeln ernährungsbedingte Krankheiten. Die Corona-Pandemie war ein weiteres Problem. Jedes sechste Kind sei übergewichtig.

Vorschlag: Werbeverbot für Zuckerbomben

Konkret will der Minister erreichen, dass in diesen Einrichtungen bis 2030 die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gelten. Das bedeutet zum Beispiel:
  • In Kitas und Schule sollte der größte Anteil des Angebots aus pflanzlichen Lebensmitteln, also Gemüse, Obst und Getreideprodukte bestehen.
  • Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte sollen die Mahlzeit nur ergänzen.
  • 30 Prozent des Angebots sollte aus Öko-Landbau kommen, damit soll das Essen ökologischer, saisonaler und regionaler wird.
  • Insgesamt wird zu weniger Salz, Zucker und Fett geraten.
  • Lebensmittel-Werbung, die sich speziell an Kinder wendet, soll eingeschränkt werden.
Dazu plant Özdemirs Ministerium weitere Aufklärungskampagnen. Auch soll die Kennzeichnung von Lebensmitteln vereinfacht werden. Ob die Länder sich an der Finanzierung beteiligen wollen, ist derzeit offen. Ob sie etwa ihre Zuschüsse erhöhen. Ziel müsse sein, so Özdemir, dass niemand wegen des Geldes abgeschreckt wird und alle sich das Essen leisten können.

Verband: Gibt genug Regelungen

Der Lebensmittelverband hält Özdemirs Pläne grundsätzlich für richtig, kritisiert aber Details wie das geplante Werbeverbot von Zuckerbomben. Manon Struck-Pacyna sagt:
Werbeverbote machen die Kinder nicht schlanker.
Manon Struck-Pacyna, Lebensmittelverband
Es gebe bereits viele Regelungen, um Werbung einzuschränken. Übergewicht von Kindern habe vielfache Ursachen. Die grundsätzliche Ernährung, Bewegung, genetische Voraussetzungen, all das spielte eine Rolle. Auch ist der Verband gegen einen Schwerpunkt auf pflanzliche Ernährung. "Wir lehnen es ab, dass es eine Ernährungsrichtung gibt, die vom Staat vorgegeben wird", so Struck-Pacyna.
Auch der Deutsche Bauernverband reagiert verhalten. Es sei "positiv, dass die Bundesregierung Ernährungsbildung und eine gesunde Lebensweise mit ausreichend Bewegung fördern will". Man sei aber gegen eine "Diskriminierung bestimmter Lebensmittel", so der Verband. Schon heute bestehe die Ernährung der Deutschen zu etwa 70 Prozent aus pflanzlichen Lebensmitteln. "Staatliche Kampagnen gegen tierische Lebensmittel sind unangebracht."

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Özdemir fühlt Mehrheit hinter sich

Özdemir überrascht Widerstand nicht. Er glaubt aber: "Ich habe die breite Mehrheit hinter mir." Also diejenigen, die gesunde Ernährung wollen: Eltern, Kranke, die Ärzteschaft, die Mitarbeitenden in der Ernährungsberatung. Nun zeige sich, wer sich durchsetze, sagt er: dieser oder "gelten Lobbyinteressen? Ich bin gespannt, wie es ausgeht."
Derzeit gebe der Staat Milliarden für die Bundeswehr, die Strom- und Gaspreisbremse aus. Özdemir fragt sich:
Und dann wollen wir es nicht schaffen, dass in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt jedes Kind unabhängig vom Geldbeutel in der Schule ein vollwertiges Essen bekommt, das auch noch schmeckt? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Cem Özdemir (Grüne)

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