Interview

: "Wollen keinen digitalen wilden Westen"

18.11.2022 | 10:14 Uhr
EU-Kommissarin Věra Jourová über Elon Musks Twitter-Übernahme, die Gefahr von Desinformation in den sozialen Medien und die Bedeutung von Journalismus im Ukraine-Krieg.
Vizepräsidentin der EU-Kommission Věra Jourová: "Wir brauchen vertrauenswürdige Nachrichten aus dem Kriegsgebiet, wir müssen wissen, was dort passiert." Quelle: dpa
Nach der Twitter-Übernahme von Elon Musk werden die Sorgen vor einer Zunahme von Desinformation und schädlichen Inhalten auf den sozialen Netzwerken größer. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Věra Jourová, über Elon Musk, die Macht der sozialen Medien und die Unterstützung von Journalisten im Ukraine-Krieg.

Věra Jourová...

ist die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und zuständig für Werte und Transparenz sowie die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit.

Zuvor war sie EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung. 2019 nahm das US-Magazin Time sie in ihr Ranking der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres auf. Ursprünglich kommt die Politikerin aus der Tschechischen Republik.

ZDFheute: Für die öffentliche Meinungsbildung in der EU und in Deutschland ist das soziale Netzwerk Twitter sehr wichtig geworden. Wie besorgt sind Sie über die die Art und Weise, wie Elon Musk Twitter übernommen hat?
Věra Jourová: Ich beobachte, was er sagt und tut. Denn er hat sehr erfahrene Mitarbeiter gefeuert, die über Jahre der Beratungen verstanden haben, was wir in Europa wollen.
Wir wollen soziale Medien, die den Menschen dienen und keine schädlichen Inhalte verbreiten.
Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission
Ich denke, dass Elon Musk unterschätzt, dass die Menschen in sozialen Netzwerken kommunizieren möchten, die grundlegende Regeln wie Anstand und Vertrauenswürdigkeit beachten - und das ist weit entfernt vom digitalen wilden Westen. Dass er das unterschätzt, könnte ihm und seinen Geschäften in Europa noch Probleme bereiten.
ZDFheute: Würden Sie sich ein nicht-kommerzielles, soziales Netzwerk wünschen - betrieben etwa von der EU?
Jourová: Nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass das die Rolle der EU ist. Soziale Medien sind sehr wichtig für uns alle geworden und Regulierung ist sehr wichtig, doch ich glaube, dass sie kommerziell bleiben sollten. Aber Facebook habe ich zum Beispiel vor ein paar Jahren verlassen. Das war eine Geste gegen die komplette Unreguliertheit auf der Plattform - ich habe es "highway of hatred" (Autobahn des Hasses) genannt.
ZDFheute: Die sozialen Medien ermöglichen es Menschen, sich wie nie zuvor miteinander zu verständigen - über Sprachen und Grenzen hinweg. Doch in der Realität kommt es häufig zu Hass und Hetze im Netz.
Jourová: Für mich ist die rote Linie, ob ein ein Inhalt illegal ist oder nicht - und das ist in den Strafgesetzbüchern der Mitgliedsstaaten geregelt. Was offline illegal ist, muss auch online illegal sein. Schwieriger wird es bei Desinformation, denn diese Inhalte sind häufig legal, können aber sehr schädlich sein.
Auf der andere Seite müssen wir sehr vorsichtig sein, nicht einfach andere Meinungen "korrigieren" zu wollen. Nicht alles, was man nicht gerne liest, ist gleich Desinformation.
Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission
Wenn Desinformation sehr schädlich wird, muss eingegriffen oder korrigiert werden. Ein Beispiel sind die Kampagnen gegen die Corona-Impfung, die Menschenleben gekostet haben.
ZDFheute: Ein anderes Beispiel könnte der Krieg in der Ukraine sein.
Jourová: Das Sprichwort "das erste Opfer jedes Krieges, ist die Wahrheit" trifft voll und ganz auf diesen Krieg zu, weil er sehr eng mit Propaganda verknüpft ist. Es ist tatsächlich der erste digitale Krieg in Europa. Und er wird stark über digitale Messenger und soziale Medien begleitet.
Doch das hat neben der schlechten auch eine gute Seite: Die digitalen Aufzeichnungen, die wir dank der Journalisten vom Kriegsgeschehen bekommen, werden uns helfen, Kriegsverbrechen zu untersuchen und zu verfolgen.
ZDFheute: Laut ihrer Aussage hat die EU in der Ukraine arbeitende Journalisten bereits mit 15 Millionen Euro unterstützt und plant nun weitere 15 Millionen bereitzustellen.
Jourová: So ist es. Wir müssen Journalisten unterstützen, weiterhin von dort arbeiten zu können - und das so sicher wie möglich. Deshalb finanzieren wir Schutzausrüstung wie Schutzwesten und Helme, auch Unterkünfte, Teile vom Lohn oder andere logistische Kosten wie Benzin.
Das ist nicht nur eine moralische Verpflichtung. Wir brauchen vertrauenswürdige Nachrichten aus dem Kriegsgebiet, wir müssen wissen, was dort passiert.
Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission
Das Interview führte David Metzmacher in englischer Sprache.

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