: Korruptionsskandal: EU-Ethikrat im Gespräch

12.12.2022 | 17:03 Uhr
Der Skandal rund um EU-Vize Kaili sorgt weiter für Entsetzen. Von der Leyen regt einen Ethikrat an, es wird der "größte Korruptionsskandal der europäischen Politik" befürchtet.
Die Korruptionsaffäre im Europäischen Parlament hat Entsetzen bei europäischen Politikern und den Ruf nach Konsequenzen ausgelöst. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen brachte die Bildung eines Ethikrats zur Überwachung von EU-Institutionen ins Spiel. In Berlin zeigte sich Kanzler Olaf Scholz entsetzt darüber, "dass so etwas offenbar möglich ist".
Roberta Metsola, Präsidentin des EU-Parlamentes, kündigte eine interne Untersuchung an. Der Fall sei gleichbedeutend mit einem "Angriff auf die europäische Demokratie".
Das Europäische Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird angegriffen, die europäische Demokratie wird angegriffen, und unsere Art der offenen, freien, demokratischen Gesellschaften wird angegriffen.
Roberta Metsola, Präsidentin des EU-Parlamentes
Am frühen Montagabend wurde bekannt, dass die belgische Staatsanwaltschaft Räume im EU-Parlament durchsucht hat.

Offenbar keine Abstimmung zu Visa-Liberalisierung

Das Europäische Parlament werde voraussichtlich die für Montag vorgesehene Abstimmung über die Visa-Liberalisierung für Katar von der Tagesordnung nehmen, sagte der Vizepräsident des Europaparlaments, Rainer Wieland (CDU). "Das (...) wäre ein erstes starkes politisches Signal."
Hintergrund ist der Verdacht, dass der Golfstaat Katar hinter Korruptionsversuchen stehen könnte. Katar hat dies dementiert.
Zur Festnahme der griechischen Vizepräsidentin Eva Kaili sagte der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff der "Bild", die Vorgänge seien traurig, unglaublich und auch Grund für die 44-Jährige, "ihren Posten sofort zu räumen". Bisher ist Kaili, die laut Medienberichten in U-Haft genommen wurde, nur freigestellt.
Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer sagte:
Korrupte Personen haben als Mitglieder oder Mitarbeiter im Europäischen Parlament keinen Platz.
Reinhard Bütikofer, Grüne
Er empfinde Zorn und Bitterkeit, "weil schamloses Handeln Einzelner die ganze Institution zu beschädigen droht".

Radtke: Katar macht auch vor Politikern nicht Halt

Der EU-Parlamentarier Dennis Radtke (CDU) sagte der "Bild":
Die Scheichs aus Katar kaufen nicht nur für 200 Milliarden Dollar eine Fußball-WM und deren geldgierige Funktionäre und Protagonisten, jetzt machen sie auch vor Politikern nicht Halt. Wer so vorgeht, will sich die Welt kaufen.
Dennis Radtke, EU-Parlamentarier
"Und leider ist das jetzt in Europa gelungen, im Europäischen Parlament, in dem die gewählten Vertreter von 27 Nationen sitzen", so Radtke. Er betonte, er befürchte "den größten Korruptionsskandal der europäischen Politik, wenn bei den Festgenommenen zu Hause schon Tüten mit Geldscheinen von mehreren 100.000 Euro gefunden wurden". Man müsse davon ausgehen, "dass noch viel mehr aufgedeckt wird".
Er forderte die EU-weite Überprüfung und Erweiterung der Transparenz- und Lobbyregeln für Drittstaaten und von ihnen gegründeten Lobbyfirmen sowie einen Untersuchungsausschuss zur Klärung der Vorwürfe gegen Kaili.

Vorwürfe gegen EU-Vize Kaili

Kaili soll Geld aus dem Golfstaat Katar kassiert haben, damit sie für das WM-Gastgeberland Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Die Sozialdemokratin aus Griechenland wurde zusammen mit fünf anderen Verdächtigen festgenommen. Vier davon kamen am Sonntag per Haftbefehl in Untersuchungshaft - darunter laut Medien auch Kaili selbst.
Im Raum steht neben Vorwürfen der Bestechung und Bestechlichkeit auch der Verdacht der Geldwäsche.

Eine WM in der Wüste. Im Winter. Aller Kritik zum Trotz: Sportjournalist Jochen Breyer und Autorin Julia Friedrichs gehen der Frage nach, wie Katar dieser Coup gelingen konnte.

15.12.2022 | 43:26 min
Mit Blick auf Kaili sagte die deutsche EP-Vizepräsidentin, Katarina Barley (SPD):
Die sozialdemokratische EP-Fraktion hat sie bereits suspendiert und wird auch ihre Abwahl als Parlamentsvizepräsidentin beantragen.
Katarina Barley, EP-Vizepräsidentin
Die Grünen-Ko-Fraktionschefin im EP, Terry Reintke, sagte, dass Kaili sofort zurücktreten müsse.

EU-Parlamentarier fordert Rücktritt Kailis

"Die im Raum stehenden Vorwürfe sind heftig: Eine Abgeordnete, die gegen Geld versucht, Parlamentsbeschlüsse zu beeinflussen", sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe bei der konservativen EVP-Fraktion im EP, Daniel Caspary.
Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, dann erwarte ich einen schnellen Rücktritt.
Daniel Caspary, EVP-Fraktion
Er forderte zudem Aufklärung der europäischen Sozialisten: "Sind noch weitere Abgeordnete oder Mitarbeiter beteiligt? Wer hatte möglicherweise Kenntnis?"

Schadenfreude in Ungarn

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban zeigte sich unverhohlen schadenfroh. "Willkommen im Europäischen Parlament", schrieb er auf Twitter. "Und da haben sie gesagt, dass sie sehr besorgt über die Korruption in Ungarn seien", schrieb der rechtsnationale Staatschef weiter.
Orbans Seitenhieb erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem Ungarn im Streit mit der EU-Kommission um Rechtsstaats-Probleme und Reformen zur Korruptionsbekämpfung der Entzug von insgesamt mehr als 13 Milliarden Euro droht. Das EU-Parlament fordert die Kommission regelmäßig auf, gegenüber Ungarn eine harte Linie zu vertreten.
Quelle: dpa, Reuters, AFP

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