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: Regling: Keine neue Euro-Krise - vorerst

05.10.2022 | 13:29 Uhr
Zwölf Jahre stand der Deutsche Klaus Regling an der Spitze der Euro-Rettungsschirme. Jetzt hört der 72-Jährige auf. Und blickt mit Sorgen auf die kommende Wirtschaftskrise.
Der ESM-Rettungsschirm wurde 2012 etabliert, um Staaten wie Griechenland mit günstigen Krediten zu helfen. Quelle: Photocase
Die Umzugskartons stehen schon vor seinem Büro. Am Freitag hat Klaus Regling, 72 Jahre alt, seinen letzten Arbeitstag - als Direktor des Euro-Rettungsschirms ESM. Zwölf Jahre stand der Deutsche dann an der Spitze des Rettungsschirms und seiner Vorgängerorganisation. Jetzt geht er - mitten in einer Krise, von der manche Ökonomen sagen, dass sie sich auch wieder zu einer Finanz- oder Euro-Krise ausweiten könnte.
Im Interview mit ZDFheute blickt Regling zurück - und nach vorn.
ZDFheute: Herr Regling, wenn wir in der aktuellen Krise zurückblicken auf die Eurokrise, erscheint die damalige Krise ja vergleichsweise harmlos, oder?
Klaus Regling: Das mag im Rückblick so aussehen, weil wir die Eurokrise ja auch gemeistert haben. Und alles, was man in den Griff bekommt, wirkt nicht mehr so dramatisch. Aber es war dramatisch in der Zeit. Und wenn es schiefgegangen wäre, würde Europa heute anders aussehen. Die Währungsunion wäre viel verwundbarer - und politisch würde Europa viel schwächer dastehen.

Klaus Regling...

Quelle: epa
...ist seit September 2012 der geschäftsführende Direktor des ESM (permanenter Euro-Rettungsschirm). Außerdem ist Regling seit 2001 Mitglied im Wirtschafts- und Finanzausschuss der Europäischen Union. Zudem ist er seitdem Stellvertretender Gouverneur für die EU bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau (EBWE) und Vorstandsmitglied der Europäischen Investitionsbank (EIB).
ZDFheute: Und wenn Sie es mit der Krise von heute vergleichen: Für wie dramatisch halten Sie die Lage jetzt?
Regling: Wir gehen in eine Wirtschaftskrise, das ist ganz klar. Das ist eine massive Krise, die natürlich darauf zurückzuführen ist, dass die Kaufkraft der Bürger durch die hohe Inflation sinkt. Und es wird mehr Insolvenzen geben als in der Vergangenheit. Insofern ist es eine Wirtschaftskrise für den gesamten Euroraum - aber das ist eben etwas anderes als die Eurokrise, in der einige wenige Länder massiv betroffen waren.
ZDFheute: Ihr Rettungsschirm ESM hat in Ihrer Zeit Hilfsprogramme aufgelegt für fünf Länder: Spanien, Portugal, Irland, Zypern und Griechenland. Hat der Steuerzahler mit diesen Hilfen Geld verloren?
Regling: Der Steuerzahler hat bisher überhaupt kein Geld verloren. Der ESM wurde gerade so konzipiert, dass wir einigen helfen können, ohne die Steuerzahler zu belasten. Es ist richtig, dass Risiken übernommen wurden, es wurde Eigenkapital gegeben an den ESM. Ohne diese hätten wir aber nicht die Möglichkeit gehabt, zu sehr niedrigen Zinsen große Summen am Markt aufzunehmen.
Diese günstigen Zinsen haben wir direkt an die Kreditnehmer weitergeleitet. Dadurch haben diese fünf Länder sehr viel Zinsen gespart - nach unserer Schätzung 130 Milliarden Euro.

Was ist der Eurorettungsschirm ESM?

Der ESM (European Stability Mechanism) war 2012 auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise etabliert worden, um taumelnden Euro-Staaten wie Griechenland mit günstigen Krediten zu helfen. Das Kapital des ESM wurde anteilig von den einzelnen Euromitgliedern bereitgestellt, sie haften nur für ihren Kapitalbeitrag.
ZDFheute: Wann wird die letzte Rate an Hilfskrediten zurückgezahlt?
Regling: Vier der fünf Länder haben Laufzeiten bei den Krediten zwischen 15 und 20 Jahren - das ist also absehbar, da haben die Rückzahlungen schon begonnen. Bei Griechenland ist das anders, weil dort die Problematik besonders groß war und auch die meisten Kredite notwendig waren. Dort ist die letzte Rückzahlung erst im Jahre 2070.
Das erscheint manchen vielleicht zu lang - aber dann erinnere ich gerne daran, dass das Londoner Schuldenabkommen von 1953 Deutschland auch eine Verlängerung von Laufzeiten erlaubt hat. Und die letzte Zahlung erfolgte im Jahre 2010, also fast 60 Jahre später, ohne dass es jemand gemerkt hat.
ZDFheute: Nun haben ja zwei EU-Kommissare einen neuen, aus gemeinsamen Schulden finanzierten Fonds für diese Krise vorgeschlagen. Halten Sie das für sinnvoll?
Regling: Das kann sinnvoll sein - je nachdem wie sich die Wirtschaftslage entwickelt. Aber im Moment ist die Diskussion darüber sehr kontrovers, und auch rechtlich ist so ein Instrument nur in extremen Situationen möglich.
ZDFheute: Manche Ökonomen fürchten, dass aus dieser Krise bald wieder eine Eurokrise wird. Halten Sie das für ausgeschlossen?
Regling: Für die nächsten Jahre würde ich das ausschließen, ja. Aus zwei Gründen: Einmal haben wir nicht diese Probleme in einzelnen Staaten wie vor 2012. Zweitens haben alle Euroländer - obwohl sie heute höhere Schulden haben - trotzdem eine geringere Zinsbelastung.
Zwar steigen die Zinsen jetzt, aber sie werden aus vielerlei Gründen dauerhaft niedriger bleiben als vor 20 Jahren. Außerdem haben sich die Laufzeiten der öffentlichen Schulden in allen Ländern verlängert.
Klaus Regling
ZDFheute: Am Freitag hören Sie hier auf, mit welchem Gefühl gehen Sie?
Regling: Mit gemischten Gefühlen - nach zwölf Jahren, in denen ich diese Institution aufgebaut habe. Ich habe hier sehr gute Kollegen, die ich ungern verlasse. Andererseits ist nach zwölf Jahren Zeit, etwas Neues zu tun. Und ich bin ja auch etwas jenseits des Pensionsalters. Deshalb werde ich weniger arbeiten und wieder nach Deutschland zurückziehen, darauf freue ich mich.
ZDFheute: Herr Regling, vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Interview führte Florian Neuhann, Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.

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