Interview
: Von Fritsch: Putin darf Krieg nicht verlieren
10.03.2022 | 20:08 Uhr
Für Putin stehe die Machtbasis in Russland auf dem Spiel, so der ehemalige Botschafter Rüdiger von Fritsch. Das Drama sei daher, dass er den Ukraine-Krieg nicht verlieren dürfe.Rüdiger von Fritsch war fünf Jahre lang deutscher Botschafter in Moskau. Heute ist er Partner in der Politikberatung "Berlin Global Advisors". Im Interview mit dem ZDF heute journal spricht er über seine Wahrnehmung der Gespräche zwischen Russland und der Ukraine in der Türkei und gibt eine Einschätzung, wie es doch noch zu Fortschritten kommen könnte.
Das sagt Rüdiger von Fritsch zur Frage...
... ob trotz der bisher ergebnislosen Gespräche ein Funken Hoffnung zu erkennen ist?
Ich gestehe, das fällt schwer.
Von Fritsch sagt, er habe sich die Pressekonferenz des russischen Außenministers Lawrow angeschaut und sei nicht zu dem Schluss gekommen, dass es die russische Seite mit den Verhandlungen ernst meint. Lawrow sagte, dass dieses Forum nicht das richtige sei, um einen Waffenstillstand zu verabreden. "Das finde ich ja dann doch mehr als enttäuschend", so die Reaktion von Fritschs. "Wozu treffen sich dann Außenminister, muss man sich fragen."
Vielleicht sei die Pressekonferenz schlicht eine gute Gelegenheit für Lawrow gewesen, um in "klassisch sowjetisch-russischer Manier Schuldlastumkehr zu betreiben" und "die alte Mär" von der Bedrohung Russlands durch die Ukraine zu wiederholen, so von Fritschs Einschätzung.

Russlands Außenminister Lawrow und sein ukrainischer Amtskollege Kuleba haben sich erstmals seit Kriegsbeginn in Antalya zu Gesprächen getroffen – ohne Ergebnis.
10.03.2022 | 02:34 min... ob Lawrow alleine entscheiden kann oder ob er Rückendeckung von Putin braucht?
"Der russische Außenminister ist nicht unabhängig in dem, was er tut", erklärt von Fritsch. Er könne auch nicht Lösungen verabreden, die er später dann mit Putin zu verfestigen versucht. Stattdessen werde er "an der ganz kurzen Leine geführt".
Von Fritschs Eindruck sei, dass Lawrow in der aktuellen Situation gar nicht genau wisse, wohin sein Präsident steuert. Denn man habe es im Kern nicht mit einem Krieg Russlands gegen die Ukraine zu tun, sondern "mit dem Krieg und den Obsessionen und der verzerrten Wirklichkeitswahrnehmung eines Mannes, des russischen Präsidenten, gegen die Ukraine."
... ob eine Lösung nur durch ein direktes Treffen der Präsidenten Russlands und der Ukraine möglich ist?
"Politik muss immer an die Stelle von militärischer Aggression treten", mahnt von Fritsch. Aber: Solange die russische Seite ultimativ auf den Forderungen bestehe, die die ukrainische Seite nicht erfüllen will, werde es "extrem schwierig".
Das Drama ist, dieser Krieg, den der russische Präsident begonnen hat und der für ihn schlecht läuft, den darf er nicht verlieren.
Die Großmacht Russland könne es sich nicht leisten, gegen ein kleines Land, das angeblich auch nicht existiere, einen Krieg zu verlieren und sich zurückzuziehen. "Das würde auch seine eigene Machtbasis zu Hause gefährden."
Während sich immer mehr Staaten von Russland abwenden, steht China weiter an der Seite des Kreml. Influencer und Kriegsreporter verbreiten die russische Linie im Reich der Mitte.
09.03.2022 | 06:15 min... wer noch Einfluss nehmen kann auf Putin?
Internationale Initiativen, zum Beispiel von Seiten Israels, der Türkei und Chinas, könnten laut von Fritsch Einfluss nehmen. Chinas Präsident sei jemand, der gut mit Wladimir Putin reden könne.
Innerrussisch betrachtet fürchtet von Fritsch, dass die Repression im Land so weit fortgeschritten sei, dass für den Moment nicht davon auszugehen sei, dass sich ein breiter Massenprotest erhebt. "Dafür bedarf es noch einiger Verschlechterungen im Land mehr", so seine Einschätzung. Möglicherweise könnte aber auch aus dem Militär Protest kommen:
Sollte der russische Präsident weiter eskalieren, sollte er den Preis für die Armee immer weiter hochtreiben, dann bleibt die Hoffnung, dass ihm seitens des Militärs in die Arme gefallen wird.
Fragen und Antworten zum Russland-Ukraine-Konflikt
- Wie verhält sich die EU, wenn ein Mitgliedsland angegriffen wird?
- Warum ein Deutscher in der Ukraine kämpft
- Was ist bekannt über russische Atomwaffen?
- Ist es denkbar, dass Putin entmachtet wird?
- Alle aktuellen Entwicklungen der Russland-Ukraine-Krise im Liveblog
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
Quelle: ZDF