: Was erwarten die Länder vom G7-Gipfel?

von Röckerath, C., Steimer, M., Kynast, A., Rech, J., Röller, U., Theveßen, E.
17.05.2023 | 20:04 Uhr
Hiroshima ist Stadt der Atombombe, Heimat von Japans Premier, Kulisse für G7. Die Themenliste ist lang. Die ZDF-Korrespondenten mit verschiedenen Perspektiven auf den Gipfel.
In Hiroshima kommen die G7-Länder zusammen, um unter anderem über den Krieg in der Ukraine und die Bedrohung durch China zu sprechen.Quelle: dpa
"Die Leute wissen nicht genug über den Atombomben-Abwurf, aber sie wollen nukleare Waffen einsetzen oder drohen anderen Ländern damit. Wir wollen 'No More Hiroshima'." Abe Yumi findet es gut, dass das Gipfeltreffen der G7 in ihrer Heimatstadt stattfindet: Die Mächtigen der Welt sollen sich hier anschauen, was passiert ist - und über Frieden sprechen.
Während sie das erzählt, hält sie ein Familienfoto in der Hand und zählt die Nachfahren ihrer Mutter auf: zwei Töchter, fünf Enkelinnen, elf Ur-Enkel.
Uns alle gibt es nur, weil meine Mutter unglaublich viel Glück hatte.
Abe Yumi, Tochter einer Hiroshima-Überlebenden
Als 16-Jährige hatte sie den Abwurf der Atombombe überlebt - als Einzige ihrer Familie.

Der nukleare Urknall brachte zigtausendfach Leid und Tod und erschütterte die Weltgeschichte. Am 6. August 1945 verwüstete die erste Atombombe die japanische Stadt Hiroshima.

02.08.2020 | 58:44 min

Auf dem G7-Gipfel wird auch der Krieg in der Ukraine Thema sein

Die historische Bedeutung Hiroshimas als G7-Tagungsort soll den Debatten über Abrüstung und Nichtverbreitung von Kernwaffen Gewicht verleihen. Gastgeber Japan will mit den Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und USA sowie mit Gastländern wie Brasilien oder Indien über den Krieg in der Ukraine, Ernährungssicherheit und die Bedrohung durch China sprechen.
Wir haben unsere ZDF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten gebeten, aus der Perspektive ihres Berichtsgebiets auf den Gipfel zu schauen.

Was erwartet Brasilien vom G7-Gipfel?

Wenn es in den vergangenen Jahren einen gemeinsamen Nenner in der oft zerstrittenen brasilianischen Politik gab, dann war es die Doktrin der Äquidistanz - der gleiche Abstand zu allen Großen, um niemals vom Wohlwollen eines einzelnen mächtigen Staates abhängig zu sein. 
Doch unter Präsident Lula da Silva scheint sich etwas zu verschieben. Immer wieder äußert er sich zum Ukrainekrieg relativierend bis grob unzutreffend, indem er die Schuld am Krieg zu gleichen Teilen Russland, der Ukraine und "dem Westen" zuzuschreiben scheint. So sagte er im April, es sei "notwendig, dass die USA aufhörten, den Krieg anzuheizen".

Brasilien: Gegen die "Herren der Welt"

Allein mit der Abhängigkeit der brasilianischen Agrarindustrie von russischem Dünger ist dies kaum zu erklären. Vielmehr scheint Lula sich als Vertreter eines globalen Südens zu sehen, der eine antikoloniale Agenda vorantreibt und sich dazu von Westeuropa und den USA distanziert.
So sagte er am Rande seines Chinabesuchs, dass Kritik am Kurs der Annäherung an China vor allem von den Ländern komme, die sich als "Herren der Welt" sähen. Dabei strebten Länder wie China, Indien und Brasilien bloß danach, gleichberechtigt zu sein, so Lula.
Dass ausgerechnet Russland mit seinem Eroberungsfeldzug in der Ukraine und einer neokolonialistischen Afrikapolitik im Rahmen dieser Agenda geschont werden soll, ist eine Ironie, die man in Brasilia anscheinend nicht sehen will. Mit Folgen für die G7: Ein Vertreter des brasilianischen Außenministeriums erklärte Anfang der Woche gegenüber Journalisten, man werde versuchen, im Rahmen der Abschlusserklärung der Gastländer eine Verurteilung Russlands zu verhindern.
Christoph Röckerath ist Südamerika-Korrespondent für das ZDF.

Was erwartet China vom Treffen der G7-Staaten?

"Weltmacht China", "Die Welt zu Gast in Peking", "China nach Corona-Pause zurück auf der Weltbühne" - das sind Headlines, die Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping gerne liest. Der G7-Gipfel ist in den chinesischen Staatsmedien kein großes Thema, denn: China ist nicht dabei.
Zwar ist die Volksrepublik aus keinem Tagesordnungspunkt wegzudenken - egal, ob es um Klima, Ukraine oder Wirtschaftssicherheit geht - doch Xi gehört nicht zu den Gästen in Hiroshima. Er ist zeitgleich auf einer anderen diplomatischen Bühne unterwegs: Beim Zentralasien-Gipfel trifft er sich mit seinen Nachbarländern.
Deren Namen wirken erstmal weniger mächtig: Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan - doch für Xis Ziel, China politisch, militärisch und wirtschaftlich zur Nummer 1 der Welt zu machen, sind sie wichtig - und außerdem einfachere Verhandlungspartner als die G7. Xi will seinen Einfluss in der Region ausweiten und nutzt den günstigen Zeitpunkt: Wladimir Putin ist mit seinem Angriffskrieg in der Ukraine beschäftigt und statt "Freund ohne Grenzen" inzwischen eher Juniorpartner.
 

Beim Treffen der Außenminister der G7-Staaten in Japan geht es in erster Linie um eine gemeinsame Haltung zu der neuen Supermacht China.

17.04.2023 | 02:14 min

China: Der Elefant im Raum

Mit diesem Selbstbewusstsein ignoriert Xi den Gipfel. Eine Aufforderung der G7 an China, sich an internationale Regeln zu halten, kommentierte Chinas Außenamtssprecher diese Woche in gewohnter Manier: Zuerst einmal müssten Regeln definiert werden, die nicht nur dem Eigeninteresse der G7 dienen. Außerdem sollten die Gipfel-Staaten vor ihrer eigenen Tür kehren - der übliche Propaganda-Hieb gegen Chinas erklärten Feind, die USA. 
Unabhängig davon, ob in der Gipfel-Abschlusserklärung mit Blick auf China von "Entkoppeln", "Risikominimierung" oder "Diversifizierung" die Rede sein wird: Ohne China geht es nicht. Das weiß auch Xi.
Miriam Steimer ist ZDF-Korrespondentin für Ostasien.

Was erwartet Deutschland vom G7-Gipfel?

Es soll keiner sagen, er habe es nicht versucht. Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit Chinas Präsident Xi gesprochen, hat auf Brasiliens Präsident Lula eingeredet und sich mit Indiens Premierminister Modi gestritten.
Er ist in die Hauptstädte der skeptischen Staatslenker gereist, hat sie auf Gipfeltreffen zur Seite genommen und ihnen mehr als die Hälfte des letzten, des deutschen G7-Gipfels im bayerischen Elmau, gewidmet. Aber so sehr Scholz auch wirbt, lobt oder lockt: Zu einer klaren Verurteilung Russlands sind China, Indien und Brasilien nicht zu bewegen.

"Die G7 sind sich sehr einig im Umgang mit Russland seit Beginn des Ukrainekriegs. Wie man mit China umgeht, das muss hier in Japan noch verhandelt werden", sagt ZDF-Korrespondent Andreas Kynast.

17.04.2023 | 02:33 min

Deutschland: Scholz wirbt, lobt und lockt

Im Ringen um die Gunst des "Globalen Südens" musste Deutschland, die zweitstärkste Volkswirtschaft der G7, eine Führungsrolle übernehmen, weil die stärkste, die USA, monatelang keinen Gesprächstermin bei Putins mächtigsten Unterstützern in Peking bekommen haben.
Der deutsche Kanzler war der erste westliche Regierungschef, der China nach der Öffnung nach der Corona-Pandemie besucht hat. Dass Präsident Xi danach zumindest den Einsatz von Nuklearwaffen öffentlich abgelehnt hat, rechnet die SPD Scholz als Erfolg an. Die anderen Parteien der Ampel-Koalition sehen das Ergebnis seiner Bemühungen deutlich nüchterner. 
Nach Hiroshima sind der Inder Modi und der Brasilianer Lula nun ein weiteres Mal eingeladen. Es soll keiner sagen, dass die G7 es nicht versuchen.
Andreas Kynast ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.

Was erwartet die EU vom Treffen der G7-Staaten?

Es gibt diese eine Frage der Amerikaner: Welche Nummer sollen wir in Europa anrufen? Seit dem Brexit ertönt in London: Kein Anschluss unter dieser Nummer. Dagegen heißt es in Paris: Ruf mich an! Emmanuel Macron sehnt sich nach Aufmerksamkeit. Die USA zweifeln aber an seiner Verlässlichkeit. 
In Berlin muss man es länger klingeln lassen. Der Bundeskanzler hat sein eigenes Tempo. Aber sein Verhältnis zu US-Präsident Joe Biden scheint innig.

Europa: Welche Telefonnummer hat die EU?

Und dann gibt es noch die EU-Kommissionspräsidentin. Ursula von der Leyen liebt die großen Auftritte. Man hat deshalb das Gefühl, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit der Anruf aus Washington kommt: Das Haar sitzt, sie ist bereit. Und ganz wichtig: Washington, Paris und Berlin vertrauen ihr.  
Gerade beim Umgang mit China: Sie arbeitet gerade mit der Kommission an dem 11. Sanktionspaket. Die EU will darin verhindern, dass Russland mit Hilfe von Drittländern die Sanktionen umgehen kann. Das könnte vor allem chinesische Firmen treffen. Peking könnte mit Gegenmaßnahmen reagieren. Vor einem Handelskrieg haben viele in Europa Angst.
Und so ist auch auf diesem Gipfel die Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit China? Ohne China geht nichts. Nichts beim Umweltschutz, nichts bei Frieden in der Ukraine, nichts in der Wirtschaft. Aber mit China geht auch nicht viel. Die EU sucht nach einer abgestimmten Antwort. Deshalb: Wenn Washington anruft, sind immer viele dran.  
Julia Rech und Ulf Röller berichten aus dem ZDF-Auslandsstudio in Brüssel über die Europäische Union.

Was erwarten die USA vom G7-Gipfel?

Es klingt verwegen, für manche auch unglaubwürdig: Die US-Regierung will die regelbasierte Ordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter Federführung Amerikas entstand, runderneuern.
So jedenfalls beschrieb Jake Sullivan, der Sicherheitsberater des Präsidenten, vor ein paar Tagen die Strategie des Weißen Hauses. Sie ziele auf bessere und gerechtere Regeln für eine Welt, in der eben nicht mehr nur die großen Industrienationen, allen voran die USA, von der Entwicklung profitieren sollen.
Zweifel, dass den hehren Worten auch wirklich Taten folgen, versuchte Sulllivan zu zerstreuen: "Der Gedanke, dass dies (…) nur Amerika betrifft oder nur Amerika und den Westen unter Ausschluss anderer, ist schlicht falsch. Diese Strategie wird eine fairere, beständigere Weltwirtschaftsordnung schaffen, zu unserem Vorteil und zum Vorteil für Menschen überall."

USA: Eine neue alte Weltordnung

Der Plan der Biden-Administration stützt sich auf fünf Maßnahmen:
  • Eine massive Stärkung der Industriebasis in den USA mit der Transformation des Landes zu erneuerbaren Energien.
  • Eine enge Unterstützung für Partner rund um den Globus, die gleiche Ziele bei sich vorantreiben.
  • Eine Handelspolitik, in der Staaten nicht durch unfaire Zölle und Subventionen benachteiligt werden.
  • Billioneninvestitionen in Entwicklungsländern, die damit eigene Ideen für ihre Zukunft umsetzen sollen.
  • Eine intensive Förderung von Zukunftstechnologien, die nicht zur Zerstörung sondern zum Erhalt von Freiheit und Demokratie beitragen.
Darüber hinaus wünscht sich der US-Präsident auch eine konstruktive Zusammenarbeit mit China. Beim G7-Gipfel wird Biden vor allem die Gastländer - darunter Indien, Indonesien, Äthiopien und Brasilien – davon überzeugen müssen, dass all das keine leeren Versprechungen sind.
Elmar Theveßen ist ZDF-Korrespondent im Studio Washington.
Quelle: ZDF

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