: Warum Saporischschja für Kiew so wichtig ist

von Christian Mölling und András Rácz
22.03.2023 | 21:07 Uhr
Die Ukraine bereitet sich auf eine Gegenoffensive vor. Das wertvollste Ziel wäre die Region Saporischschja, von dort aus kann auch Druck auf die Krim ausgeübt werden.
Ukrainische Soldaten: Wo schlagen sie zurück?Quelle: dpa
Bereits seit Monaten bereitet sich die Ukraine auf einen Angriff gegen die russischen Streitkräfte in den besetzten Gebieten vor. Dies betrifft insbesondere die Region Saporischschja im Süden und den nördlichen Teil der Region Luhansk im Osten.

Saporischschja - das strategisch wichtigere Ziel

Von diesen beiden Regionen ist die Region Saporischschja aus mehreren Gründen das strategisch wichtigere Ziel. Erstens führt seit der Beschädigung der Kertsch-Brücke im Oktober 2022, die wichtigste Versorgungslinie der auf der Krim und im östlichen Teil der Region Cherson stationierten russischen Streitkräfte durch den südlichen Teil der Region Saporischschja.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Dabei handelt es sich um eine Eisenbahnlinie und eine Straße, die im Wesentlichen von Osten nach Westen verläuft, etwas nördlich der Stadt Melitopol. Daher könnte ein ukrainischer Angriff, der von der Frontlinie in Saporischschja aus nach Süden geht, diese Eisenbahnverbindung mit großer Wahrscheinlichkeit zerstören. Dies würde die Versorgungslage der russischen Truppen in der Region erheblich verschlechtern.

Befreiung des Kernkraftwerks

Zweitens müssten sich die russischen Truppen, die im östlichen Teil der Region Cherson, stationiert sind, zurückziehen, um nicht abgeschnitten zu werden. Dies gilt auch für die russischen Truppen, die das Saporischschja-Kernkraftwerk bei Enerhodar halten. Ein erfolgreicher Gegenangriff würde also auch die Befreiung des Kernkraftwerks bedeuten.
Drittens: Sollte es dem Gegenangriff gelingen, tief in die besetzte Region Saporischschja vorzudringen und die Küste des Asowschen Meeres zu erreichen, könnte die ukrainische Artillerie von dort aus bereits die Kertsch-Brücke erreichen und so die Russen ernsthaft unter Druck setzen. Es wäre nicht notwendig, die Brücke tatsächlich zu zerstören: Schon die Möglichkeit, dies zu tun, würde ein ernsthaftes Druckmittel gegenüber Moskau darstellen.

Grenze zur Krim erreichbar

Viertens: Durch die Befreiung der Regionen Saporischschja und Cherson könnten die ukrainischen Streitkräfte die Landgrenze der Krim erreichen und Russland noch stärker unter Druck setzen. Allein die Tatsache, dass die Russen die nördlichen Teile der Krim aktiv befestigt haben, zeigt, dass sich Moskau auch auf dieses Szenario vorbereitet.
Nicht zuletzt würde die Rückgewinnung der verlorenen Gebiete im Süden auch einen symbolisch wichtigen Sieg bedeuten. Dies gilt umso mehr, als die Ukraine seit der Befreiung von Cherson Mitte November kein Land zurückgewonnen hat. Im Gegenteil, es gingen Gebiete um Bachmut, Avdiivka und auch in der Region Luhansk verloren.
Im Vergleich zum Süden würde ein Angriff auf den nördlichen Teil des Luhansker Gebiets weniger direkte strategische Vorteile bringen. Zum einen ist das Terrain hier ungünstiger, da das Land durch Flüsse und Wälder schwer passierbar ist. Zweitens ist die Nachschublage der Russen in dieser Region weniger heikel, da sie sich auf mehrere parallele Eisenbahnlinien und Straßen stützen können und auch die russische Grenze näher liegt.

Direkter Angriff auf den Donbass unwahrscheinlich

Ein ukrainischer Frontalangriff auf den seit 2014 besetzten Donbass ist indes äußerst unwahrscheinlich. Der Grund dafür ist, dass die von Russland unterstützten Separatisten ihre Stellungen im Donbass in ähnlicher Weise befestigt haben wie die Ukraine ihre Stellungen um Bachmut. Daher hätte ein Frontalangriff auf diese separatistischen Befestigungen nur sehr geringe Erfolgsaussichten.
Es ist jedoch Vorsicht angebracht, was die Erfolgsaussichten einer ukrainischen Offensive angeht. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Ukraine den schnellen und entscheidenden Durchbruch wiederholen kann, der ihr im September in der Region Charkiw gelang.
Russland hat sowohl in der Region Saporischschja als auch in der Region Luhansk umfangreiche Befestigungen errichtet und verfügt dank der Teilmobilisierung über wesentlich mehr Soldaten in der Ukraine als noch im September. Wann auch immer die Gegenoffensive startet, es wird mit Sicherheit kein leichter Kampf werden.
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