: Palmer: "Wir schaffen das nicht mehr"

von Torben Schröder
17.03.2023 | 01:01 Uhr
Die Flüchtlingszahlen steigen, bezahlbarer Wohnraum ist knapp, Kommunen fühlen sich im Stich gelassen. Wie kann der Staat die Zuwanderung besser regeln?
Dr. Hanna Stoiak floh vor 13 Monaten vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine. Davor hat die Mutter einer Tochter zwölf Jahre als Kinderärztin gearbeitet. Jetzt absolviert sie ein Praktikum, durchläuft nach fünf Monaten Wartezeit parallel einen Sprachkurs - und bezieht Sozialhilfe.
"Ich möchte arbeiten gehen, so schnell wie möglich", sagt Stoiak in der ZDF-Sendung "maybrit illner". Dass ihre Approbation anerkannt wird, ist wohl eine Frage von Jahren.

Dreyer: Verfahren erleichtern

Kriegsflüchtlinge, die arbeiten wollen und schon qualifiziert sind, auch schnellstmöglich arbeiten zu lassen, klingt nicht nur angesichts des Fachkräftemangels plausibel. "Wir wären verrückt, wenn wir es nicht schaffen würden, diese Verfahren zu erleichtern", sagt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD).
"Wir waren nicht auf alles vorbereitet", sagt Hendrik Wüst (CDU), ihr Amtskollege aus Nordrhein-Westfalen. "Wir müssen von den deutschen bürokratischen Standards runter", fordert Boris Palmer, Oberbürgermeister in Tübingen mit ruhender grüner Parteimitgliedschaft. Anders sei der Zustrom nicht zu bewältigen.

Wüst: Abweichung von Standards muss möglich sein

Besondere Zeiten, argumentiert Palmer, erfordern besondere Lösungen. Warum sollen nicht ukrainische Ärzte geflüchtete Landsleute behandeln? Wüst sieht es ähnlich. Bei der Erstversorgung müsse es möglich sein, von Regelstandards abzuweichen, etwa wenn die Kapazitäten in Kitas oder an regulären Sprachkursen nicht ausreichen.
"Wir sind nicht so schlecht", betont Dreyer mit Blick auf die Integration ukrainischer Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt. Es sei richtig gewesen, die Schutzsuchenden nicht unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen zu lassen. So ergäbe sich die Chance, sofort in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.

Palmer: "eklatanter Mangel an Kitaplätzen"

Palmer spricht von einem "eklatanten Mangel an Kitaplätzen" und knappen Ressourcen bei elementaren Gütern, beispielsweise Wohnungen. Dort finde mangels sozial geförderten Wohnraums ein Verdrängungswettbewerb zulasten der Menschen mit geringem Einkommen, "die schon da waren", statt.
Bei einer Gesamtschutzquote von rund 50 Prozent müsse eigentlich jeder zweite Asylbewerber das Land wieder verlassen, tue es aber kaum, mangels Rückkehr-Bereitschaft in die klassischen Asylbewerber-Länder und funktionierender Abschiebungen.
Palmers Forderung: Die Länder sollen die Asylverfahren zu Ende führen und so lange die Versorgung der Menschen in ihren Aufnahmeeinrichtungen gewährleisten. Erst, wer anerkannt ist, kommt in die Kommunen.
Das würde auch den Anreiz zu kommen deutlich verringern.
Boris Palmer, Oberbürgermeister in Tübingen

Abkommen mit Herkunftsländern

"Ankerzentren wollte schon Horst Seehofer schaffen", sagt die FAZ-Journalistin Helene Bubrowski. In der Theorie klinge das Asyl-System schlüssig, nur funktioniere es nicht wie vorgesehen, was zu Resignation führe.
Eine humane Flüchtlingspolitik ist nur möglich, wenn man bei den Menschen, die nicht bei uns bleiben können, konsequent ist.
Malu Dreyer, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz
Alle lediglich Geduldeten in den Landeseinrichtungen zu halten, werde nicht funktionieren. Vielmehr brauche es Abkommen mit den Herkunftsländern zur Rücknahme der Migranten.

CDU-Landrat: immer mehr Menschen, ohne Platz

Dass der Bund sich finanziell zu wenig engagiere, moniert Wüst. Es brauche eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa, ordentliche Kontrollen an den Außengrenzen und eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen.
CDU-Landrat Tino Schomann berichtet, sein Kreis Nordwestmecklenburg bekomme immer weiter Menschen zugewiesen, obwohl es keinen Platz mehr gebe.

Dreyer: mit mehr sozialem Wohnungsbau gegensteuern

Im 500-Einwohner-Dorf Upahl, wo deshalb eine Aufnahmestätte für 400 Flüchtlinge gebaut werden sollte, protestiere deshalb neben Rechtsradikalen auch die Bürgerschaft. Dreyer fordert, mit mehr sozialem Wohnungsbau gegenzusteuern.
"Wir schaffen das schlicht nicht mehr", sagt Palmer. Der Neubau von Sozialwohnungen breche ein, die prognostizierten Flüchtlingszahlen würden noch viele weitere Upahls schaffen.

Mehr zur Sendung "maybrit illner"