FAQ

: Nahost-Konflikt: Steht eine Eskalation bevor?

von Michael Bewerunge
27.01.2023 | 19:58 Uhr
Wieder gibt es heftige Auseinandersetzungen im Gazastreifen zwischen Israel und den Palästinensern: Droht die dritte Intifada? Warum ist gerade die Region um Dschenin betroffen?
Nach dem tödlichsten Militäreinsatz seit Jahren im Westjordanland hat sich die Gewalt in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten erneut hochgeschaukelt. Bei einer israelischen Razzia im Westjordanland waren am Donnerstag neun Palästinenser getötet und Dutzende verletzt worden. In der Nacht auf Freitag feuerten daraufhin verbündete militante Gruppen aus dem Gazastreifen mindestens fünf Raketen auf Israel ab. Am Freitagabend sind mindestens sieben Menschen bei einem Angriff auf eine Synagoge getötet worden - laut Hamas als Vergeltung für die Razzia am Donnerstag.

Warum kommt es gerade in Dschenin immer wieder zu Konfrontationen?

Dschenin und vor allem das Flüchtlingslager dort sind seit Jahren ein Hotspot im israelisch-palästinensischen Konflikt. Immer wieder kommt es in dem Ort und in der Umgebung zu heftigen Konfrontationen. Seit einem Jahr haben die aber in Qualität und Ausmaß massiv zugenommen. Das liegt zum einen daran, dass die Palästinensische Autonomiebehörde und die regierende Fatah weitgehend die Kontrolle über den Ort verloren haben.
Militante Widerstandsgruppen und terroristische Zellen agieren dort inzwischen weitgehend autonom. Der größte Teil palästinensischer Terrorangriffe auf Zivilisten mit 31 Toten in Israel im letzten Jahr wurde von Palästinensern aus dem Raum Dschenin geplant und durchgeführt. Weil die palästinensische Autorität weder willens noch fähig war, diese Terroraktionen zu unterbinden, entschloss sich bereits 2021 die letzte Regierung unter Naftali Bennett massiv gegen diese Terrorzellen vorzugehen.

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Dabei dringen immer wieder israelische Truppen in das Flüchtlingslager oder die Umgebung ein, um Razzien durchzuführen, Terroristen zu stellen oder direkt gegen sie vorzugehen. Von den Milizen dort wird das als unrechtmäßiger Akt der Aggression angesehen.

Was hat sich an der Art und Weise der Konfrontation verändert?

Während bisher vor allem Molotow-Cocktails und Steine gegen israelische Soldaten flogen, greifen junge Milizionäre seit dem letzten Jahr die israelischen Truppen bei ihren Razzien gezielt mit automatischen Waffen an, immer öfter kommt es zu längeren Gefechten mit Handfeuerwaffen. Die israelische Armee setzt zudem Raketenwerfer ein. Aufgrund der militärischen Überlegenheit Israels wurden bisher nur wenige israelische Soldaten, vor allem aber palästinensische militante Kämpfer getötet.
Im letzten Jahr allein 171 Palästinenser, darunter auch unbeteiligte Zivilisten wie die Journalistin Abu Akleh. Obwohl sie deutlich als Journalistin gekennzeichnet war, wurde sie mutmaßlich vom israelischen Soldaten getötet.
Bereits in den ersten Wochen dieses Jahres ist die Zahl der getöteten Palästinenser mit 30 Toten besonders hoch. Am Donnerstag starben allein acht Milizionäre, sowie eine unbeteiligte Zivilistin. Die israelischen Behörden geben an, der Einsatz in Dschenin sei dringend notwendig gewesen, weil Terrorakte unmittelbar vor der Durchführung gestanden hätten.

Wie reagieren beide Seiten?

Ein israelischer Offizier der Armee begründete den jüngsten Einsatz damit, dass seine Soldaten eine "tickende Zeitbombe" hätten entschärfen müssen. Und die Regierung kündigte an: "Überall, wo die palästinensische Autorität ihre Zuständigkeit nicht erfüllt, werden wir gezwungen sein, vorzugehen und Terrorangriffe zu verhindern". Zugleich ließ Premierminister Benjamin Netanjahu erklären, Israel sei nicht an einer weiteren Eskalation interessiert, sei aber auf jedes Szenario vorbereitet.
Die beiden Terror-Organisationen Hamas und Islamischer Dschihad schworen Vergeltung. Israel, so die Hamas, werde "den Preis für das Dschenin Massaker bezahlen". In der Nacht zum Donnerstag wurden sieben Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert, Personen wurden nicht verletzt. Die israelische Luftwaffe griff daraufhin Ziele im Gazastreifen an.
Palästineserpräsident Mahmoud Abbas ließ erklären, die palästinensischen Sicherheitsdienste würden ihre Kooperation mit Israel einstellen, wegen dessen "fortgesetzter Aggression gegen unser Volk und der Aushöhlung unterzeichneter Verträge."

Was beinhaltet die Sicherheitskooperation zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde?

Bei der Sicherheitskooperation handelt es sich vor allem um einen Austausch von Erkenntnissen der Geheimdienste beider Seiten, die Anfang der 90er Jahre in den Osloer Verträgen vereinbart wurde. Beide Seiten kündigen zum Beispiel auf diesem Wege bestimmte Aktionen an. Dadurch lassen sich unnötige Konfrontationen vermeiden. Außerdem tauschen sich beide Seiten über terroristische oder politische Aktivitäten aus.
So half Israel der palästinensischen Autonomiebehörde mutmaßlich dabei, zu verhindern, dass die Hamas in der Westbank stärker Fuß fassen konnte. Umgekehrt gibt die Autonomiebehörde zum Teil Informationen über geplante Gewalt- oder Terror-Aktionen an Israel weiter.

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Vor allem von der Hamas und dem Islamischen Dschihad wird seit langem gefordert, diese Sicherheitskooperation aufzukündigen. Zuletzt geriet Abbas gerade in Dschenin unter Druck, da ihm vorgeworfen wurde, das israelische Vorgehen dort nicht nur zu unterstützen, sondern geradezu erst zu ermöglichen. Um nicht noch mehr Kontrolle und Ansehen in Dschenin zu verlieren, hat Abbas diese Sicherheitskooperation nun aufgekündigt. Dies geschah schon einmal im Jahr 2020, nach wenigen Monaten kehrte Abbas aber zur Kooperation zurück.

Der Tempelberg

Quelle: Ilia Yefimovich/dpa
Der Tempelberg ist sowohl für das Judentum, den Islam als auch für das Christentum eine heilige Stätte. Für Muslime ist er mit seinem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee die drittheiligste Stätte ihres Glaubens nach Mekka und Medina.

Juden ist der Berg heilig, weil er der Überlieferung nach die heiligen antiken Tempel beheimatete. Der Ort war immer wieder Schauplatz heftiger Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften.

Eskaliert die Lage jetzt weiter?

Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir sagte nach dem Angriff auf die Synagoge am Freitag: "Wir müssen uns jetzt als Regierung kümmern. Wir müssen reagieren. So kann es nicht weitergehen." Diese Worte aus dem Mund eines rechtsextremen Polizeiministers deuten daraufhin, dass eine weitere Eskalation zu befürchten ist.
Die Situation ist extrem angespannt. Die neue rechtsgerichtete Regierung in Israel hat angekündigt, den Ausbau der Siedlungen in den besetzten Gebieten auszuweiten. Diese sind völkerrechtlich allerdings illegal. Zugleich stellen rechtsextreme Mitglieder der Regierung den Status des Jerusalemer Tempelberges in Frage, das ist das drittwichtigste Heiligtum des Islam. Verschärfend wirkt sich aus, dass der Region jede Friedensperspektive oder gar die Aussicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung fehlt. Die Gefahr einer dritten Intifada - eines Palästinenser-Aufstands gegen Israel - steht im Raum, zeichnet sich derzeit aber noch nicht konkret ab.
Michael Bewerunge ist Leiter des ZDF-Auslandsstudios Tel Aviv in Israel.
Quelle: mit Material von dpa

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