: Ist Giorgia Meloni noch zu stoppen?

von Andreas Postel
22.09.2022 | 20:35 Uhr
Italien wählt am Sonntag ein neues Parlament. Giorgia Meloni und ihre Partei Fratelli d'Italia könnten gemeinsam mit anderen Rechten die Regierung stellen.
Die Spitzendkandidatin der rechten Partei Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni.Quelle: epa
Es steht mehr auf dem Spiel als sonst, das spüren die Italiener zum Wahlkampfendspurt. Die Auseinandersetzung entzündet sich besonders an der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia - den Brüdern Italiens - und ihrer Spitzenkandidatin Giorgia Meloni. Die 45-jährige Römerin lag mit ihrer Partei in den jüngsten Umfragen bei 26 Prozent.
Die sozialdemokratische PD mit Spitzenkandidat Enrico Letta lag dagegen in den Umfragen zuletzt bei 21 Prozent, gefolgt von der Fünf Sterne Bewegung mit Guiseppe Conte, der rechten Lega von Mateo Salvini und der konservativen Forza Italia von Silvio Berlusconi.

Postfaschisten könnten stärkste politische Kraft werden

Sollte sich das am Wahltag bestätigen, wären die Postfaschisten, 100 Jahre nach Mussolinis Marsch auf Rom, stärkste politische Kraft in Italien und könnten mit dem rechten Wahlbündnis aus Lega und Forza Italia die nächste Regierung Italiens stellen.
Der Vorsprung der Fratelli d'Italia erwächst nicht zuletzt aus dem Umstand, dass sie als einzige Oppositionspartei in Italien Sammelbecken für die frustrierten und unzufriedenen Wählerschichten zu Verfügung standen. An der gescheiterten Regierung von Mario Draghi waren fast alle anderen Parteien beteiligt und hatten Mühe sich vom beliebten Draghi abzusetzen und aus seinem Schatten heraus eigenes Profil zu entwickeln.

Meloni: Faschismus als Relikt der Geschichte hinter sich gelassen

So bekommt Melonis Partei die Zustimmung nicht unbedingt wegen, sondern trotz ihrer faschistischen Wurzeln. Und auch das ist ein Problem: Es zeigt sich daran einmal mehr, dass sich die italienische Gesellschaft offenbar nicht ausreichend mit der eigenen faschistischen Vergangenheit auseinandergesetzt hat. Noch heute können viele Italiener dem Duce viel Positives zuschreiben.
Zwar behauptet Giorgia Meloni im Wahlkampf, den Faschismus als Relikt der Geschichte hinter sich gelassen zu haben, aber an der grün-weiß-roten Flamme im Parteilogo der Fratelli d'Italia - Symbol für den Geist von Benito Mussolini - hält sie unbeirrt fest. Meloni schürt Ängste vor Masseneinwanderung und fordert Bevorzugung von italienischen Arbeitnehmern. Sie reitet auf der Wut und versucht gleichzeitig Befürchtungen zu zerstreuen, mit ihr würde sich Italien von EU und Nato abwenden.
Auch zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland bekennt sie sich, anders als ihre Koalitionspartner und "Putin-Freunde" Salvini und Berlusconi. Giorgia Meloni bietet sich einerseits als gemäßigte Führungspersönlichkeit an. Andererseits hält sie die faschistische Flamme am Lodern, um die Verbindung zur postfaschistischen Wählerschaft aufrechtzuerhalten.

Giorgia Meloni

Quelle: reuters
Meloni könnte die erste Frau im italienischen Ministerpräsidentenamt werden. In Umfragen liegt sie seit Wochen vorn. Sie war 2012 Mitgründerin der weit rechts stehenden Partei Fratelli d'Italia, die seit den Wahlen 2018 stark an Popularität gewonnen hat. Die 45-Jährige wäre eine der bislang jüngsten Personen im Ministerpräsidentenamt Italiens.

Gegen Meloni gibt es Vorwürfe, sie habe sich nicht eindeutig von der neofaschistischen Vergangenheit ihrer Partei distanziert. Meloni kritisiert, die Europäische Union sei zu bürokratisch. Sie sagt von sich, sie sei eine starke Unterstützerin der Nato. Und sie ist im Gegensatz zu anderen Politikern des rechten Lagers in Italien, wie Matteo Salvini und Berlusconi, dafür, dass die Ukraine militärische Hilfe gegen Russland bekommt.

Meloni tritt gegen Gruppen der Gemeinschaft der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen ein, die sie als "Lobbys" bezeichnet. Sie gibt an, sie setze sich für eine "christliche Identität" Europas ein.

Enrico Letta

Quelle: AP
Letta hat Erfahrung als Ministerpräsident. Er hatte das Amt nach einer Wahl 2013 inne. Nach nur zehn Monaten musste er das Amt abgeben, als sein Parteikollege Matteo Renzi ihn verdrängte. Der 56-jährige Chef der Demokratischen Partei ist der Hauptrivale von Meloni bei den Wahlen. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt wurde Letta Dozent an der renommierten Universität Sciences Po in Paris. Im März 2021 übernahm er wieder die Führung der Mitte-links-Partei der Demokraten.

Matteo Salvini

Quelle: Laszlo Balogh/AP/dpa
Bevor die Partei von Meloni plötzlich immer mehr Unterstützer bekam, war die rechte Partei Lega von Salvini die einflussreichste Partei im rechten Spektrum in Italien. 2018 einigte sich der heute 49-jährige Salvini auf eine Regierung mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung.

Nach etwas mehr als einem Jahr verdrängte er den damaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte aus dem Amt, um selbst Ministerpräsident zu werden. Doch Conte machte Salvini einen Strich durch die Rechnung und ging einen Koalitionsdeal mit der Demokratischen Partei ein. Damit landete die Lega von Salvini in der Opposition.

Während seiner Zeit als Innenminister unter der ersten Regierung von Conte erregte Salvini mit seiner harten Linie gegen Migranten Aufsehen. Migranten, die von Schiffen humanitärer Hilfsorganisationen auf See gerettet wurden, mussten tage- oder wochenlang dort bleiben, weil Salvini sich weigerte, sie von Bord gehen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft auf Sizilien klagte Salvini wegen seiner Anti-Migranten-Politik an. In einem Fall wurde er für unschuldig befunden. Ein Prozess in Palermo läuft noch.

Silvio Berlusconi

Quelle: Roberto Monaldo/LaPresse via ZUMA Press/dpa
Der fast 86-jährige Berlusconi bemüht sich bei den Wahlen um keine vierte Amtszeit als Ministerpräsident. Stattdessen will er einen Senatssitz gewinnen. Vor knapp zehn Jahren war Berlusconi wegen einer Verurteilung wegen Steuerbetrugs aus dem Senat geworfen worden. Berlusconi verspricht, er würde im Amt die zwei größeren Parteien im rechten Bündnis mäßigen. Er meint damit die Parteien von Meloni und Salvini. Berlusconi hat wie Salvini Bewunderung für den russischen Staatschef Wladimir Putin geäußert.

Giuseppe Conte

Quelle: Francisco Seco/AP Pool/dpa/Archivbild
Der frühere Ministerpräsident Conte war 2018 als politisch Unbekannter ins Amt gekommen. Die Regierung des heutigen Vorsitzenden der euroskeptischen Fünf-Sterne-Bewegung zerbrach etwa 15 Monate später, als Salvini versuchte, ihm das Ministerpräsidentenamt wegzunehmen.

Der 58-jährige Anwalt Conte, der auf Schlichtungsverfahren spezialisiert ist, führte einige der strengsten Lockdowns wegen des Coronavirus weltweit ein. Seine zweite Regierung zerbrach im Januar 2021 nach 16 Monaten, als die kleine Partei des früheren Ministerpräsident Renzi aus der Koalition ausschied.

Quelle: AP

Starkes rechtes Bündnis befürchtet

Beim derzeitigen Wahlrecht sehen Beobachter durchaus die Gefahr, dass ein starkes Rechts-Bündnis an die Macht kommen könnte, das mit einer großen Mehrheit in beiden Parlamentskammern am Ende die Demokratie Italiens schwächen könnte und auf europäischer Bühne vermutlich alle wichtigen Reformvorhaben vorerst ausbremsen würde. Der Applaus aus dem Kreml wäre ihnen sicher. Für Europa wäre es ein fatales Signal in der Krise.
Sollte Meloni tatsächlich stärkste Kraft werden, hätten ausgerechnet die Rechten die Chance, erstmals eine Ministerpräsidentin in Italien zu stellen. Fraglich, ob dieser langersehnte Durchbruch in der italienischen Machogesellschaft als Triumph der Feministen gefeiert werden könnte. Ihre Partner Silvio Berlusconi und Mateo Salvini sind bislang erst recht nicht durch feministische Bestrebungen aufgefallen.

Frauenbild von Meloni konservativ

Aber auch das Frauenbild der 45-jährgen Giorgia Meloni ist konservativ. Ihr Dreiklang: "Ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin eine Christin", soll ihr Einstehen für die traditionelle, christlich geprägte Familie unterstreichen. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass sie selbst ohne Trauschein mit dem Vater ihres Kindes zusammenlebt.
Weil das italienische Wahlrecht zehn Tage vor der Wahl keine Umfragen mehr zulässt, herrscht dieser Tage große Unsicherheit im politischen Rom, zumal die Zahl der Unentschlossenen zuletzt bei rund 30 Prozent lag.
Da aber auch der Anteil der Politikverdrossenen durch die Ränkespiele der vergangenen Wochen sicherlich nicht abgenommen haben dürfte, könnten am Ende sogar die Stimmenthaltungen wahlentscheidend sein. Alle Italiener wurden vor der Wahl nochmals dazu aufgerufen, am 25. September von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.

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