: Wie viele Gastarbeiter starben für Katar-WM?

von Wolfgang Zimmermann
15.11.2022 | 09:22 Uhr
Tausende Gastarbeiter haben in Katar auf den Baustellen für die Fußball-WM geschuftet. Auch Tote gab es beim Bau von Stadien und Hotels, doch welchen Zahlen kann man trauen?
Baustelle des Lusail Iconic Stadiums (Archivbild)Quelle: Nikku/XinHua/dpa
Für einen Hungerlohn haben sie die pompösen Stadien zur Fußball-WM in Katar gebaut, die teuren Hotels: Wanderarbeiter aus aller Herren Länder. Viele sind in Katar gestorben. Allerdings variieren die Todeszahlen stark - von drei bis über 15.000 Opfern ist die Rede.

Drei Tote?

Hinter jedem Toten stehen Schicksale, unendliches Leid: Angehörige, Frauen, Kinder, die ihren Vater, Ehemann, Sohn verloren haben - den Hauptversorger, der ganze Familien in der Heimat ernährt. Nur zu diesem Zweck haben sie ihr Land verlassen und oft teure Vermittlungsgebühren bezahlt. Ihren Familien muss es wie Hohn vorkommen, wenn FIFA-Präsident Gianni Infantino die Zahl von drei Toten nennt.
Sie stammt vom katarischen WM-Organisationskomitee und bezieht sich auf Männer, die bei Arbeitsunfällen auf offiziellen WM-Baustellen gestorben sind, also vor allem rund um die Stadien. Interessant ist, was diese Zahl nicht beinhaltet: nämlich die Baustellen für die Infrastruktur der WM und alle Todesfälle, die keine Arbeitsunfälle waren.

40 Tote?

Die katarischen WM-Organisatoren sprechen von 37 weiteren Todesfällen. Allerdings werden diese offiziell nicht als Arbeitsunfälle deklariert, sondern als "Non-Work-Related-Deaths", stünden also nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Arbeit.
Das können beispielsweise Todesfälle durch Herz-/Kreislauf-Stillstand sein oder nach einem Hitzeschlag - wie Recherchen von Amnesty International ergeben haben. Arbeiter also, die zum Beispiel nach tagelanger Arbeit in der Hitze im Schlaf verstorben sind. Solche Todesfälle werden in Katar meist nicht weiter untersucht und somit eine natürliche Ursache angenommen.

Eine WM in der Wüste. Im Winter. Aller Kritik zum Trotz: Sportjournalist Jochen Breyer und Autorin Julia Friedrichs gehen der Frage nach, wie Katar dieser Coup gelingen konnte.

15.12.2022 | 43:26 min

6.751 Tote?

Das ist die Zahl, die der britische "Guardian" in einem Artikel von Februar 2021 veröffentlicht hat - seitdem tobt auch die Debatte um die Zahlen. Das WM-Organisationskomitee nennt sie undifferenziert und verkürzt.
Und diese 6.751 Toten umfassen tatsächlich nicht - wie fälschlicherweise danach immer wieder zu lesen war - Todesopfer auf WM-Baustellen; Beruf und Arbeitsort der Todesopfer sind vielmehr nicht bekannt. Der "Guardian" hat in den Entsendeländern ganz allgemein Todesopfer in Katar abgefragt für die Zeit zwischen der WM-Vergabe 2010 und Ende 2020. Dabei fehlen Angaben aus großen Entsendeländern wie den Philippinen oder Kenia.

15.021 Tote?

Diese Zahl wiederum stammt von der katarischen Statistikbehörde und taucht jetzt auch in einem Bericht von Amnesty International auf. Sie bezieht sich auf Tote nicht-katarischer Staatsangehörigkeit seit WM-Vergabe 2010 bis zum Jahr 2020. Wie viele der Opfer im Zusammenhang mit WM-Projekten stehen, wird nicht veröffentlicht. Es gibt auch hier keine Angaben zu Alter, Geschlecht, Beruf.
Und damit zeigt sich das Hauptproblem: Solange Katar weiter intransparent mit Todeszahlen umgeht, solange nimmt jede Interessensgruppe einfach die Zahl, die gerade am besten passt.

Und jetzt?

Keine dieser Zahlen ist richtig verlässlich.
Katja Müller-Fahlbusch, Amnesty International
"Wir wissen nichts über die Menschen dahinter - wer sind sie, woran sind sie gestorben?", fragt Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International (AI). Nur eines sei klar: Die meisten der Toten sind junge Männer. Wenzel Michalski von Human Rights Watch (HRW) spricht von gut 70 Prozent der Todesfälle, bei denen die Ursache nicht genannt oder sehr vage gehalten werde.
Und damit kommen Amnesty und Human Rights Watch zu ihrer Hauptkritik an der katarischen Regierung: Alle Todesfälle müssten richtig untersucht werden, nur fehle dafür Katar aber anscheinend der politische Wille.
Allerdings haben auch die Entsendeländer wenig Interesse an Aufklärung. Geldrücksendungen in die Heimat machen oft einen wichtigen Teil des Bruttoinlandsproduktes der jeweiligen Länder aus.

Die Fußball-WM und das Leid der Gastarbeiter

08.11.2022 | 21:38 min

Katar lehnt Entschädigungsfonds ab

AI und HRW fordern wie viele andere NGOs auch, dass Katar und FIFA einen Entschädigungsfonds für Opferfamilien einrichten - in Höhe des Gesamtpreisgeldes, das die FIFA bei der Endrunde ausschüttet, also 440 Millionen Dollar (rund 462 Millionen Euro). Das hat Katar abgelehnt.
Jetzt wird auch auf den Deutschen Fußball-Bund der Druck größer: Zahlreiche Fanvertreter hierzulande fordern den Verzicht auf Preisgelder zugunsten eines Fonds für die Gastarbeiter.

Eine prekäre Menschenrechtslage, Korruptionsvorwürfe, heißes Wüstenklima: Micky Beisenherz und Jonas Hummels diskutieren mit dem Psychologen Leon Windscheid über die WM in Katar.

14.11.2022 | 29:27 min

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