: Kissinger: Nicht nur Kreml schuld am Krieg

24.05.2023 | 14:12 Uhr
Ex-US-Außenminister Kissinger sieht die Verantwortung für den Ukraine-Krieg nicht nur beim Kreml. Gespräche im Vorfeld des Kriegs über einen Nato-Beitritt der Ukraine bemängelt er.
Ex-US-Außenminister Henry Kissinger sieht inzwischen eine Beitrittsperspektive der Ukraine zur Nato als gerechtfertigt.Quelle: epa
Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger sieht die Schuld am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht allein beim Kreml. Der Friedensnobelpreisträger von 1973 erinnerte in der Wochenzeitung "Die Zeit" daran, dass er schon 2014 Zweifel am Vorhaben geäußert habe, "die Ukraine einzuladen, der Nato beizutreten". Kissinger, der an diesem Samstag 100 Jahre alt wird, fügte hinzu:
Damit begann eine Reihe von Ereignissen, die in dem Krieg kulminiert sind.
Henry Kissinger, ehemaliger US-Außenminister

"Befürworte den Widerstand der Ukrainer"

Kissinger sprach in dem Interview von einem "höchst rücksichtslosen" Angriffskrieg Russlands unter Präsident Wladimir Putin.
Der Krieg selbst und die Kriegsführung sind höchst rücksichtslos, der Angriff muss zurückgeschlagen werden, und ich befürworte den Widerstand der Ukrainer und des Westens.
Henry Kissinger, ehemaliger US-Außenminister
Russland dürfe nicht gewinnen. Er sei aber weiterhin der Auffassung, "dass es nicht weise war, die Aufnahme aller Länder des ehemaligen Ostblocks in die Nato mit der Einladung an die Ukraine zu verbinden, ebenfalls der Nato beizutreten".

Henry Kissinger ...

... wurde am 27. Mai 1923 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern in Fürth geboren. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wanderte die Familie 1938 in die USA aus und lebte in New York. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte Kissinger zunächst in den Ardennen und kam 1945 als Angehöriger des Counter Intelligence Corps nach Deutschland. Dort leitete er eine Spionageabwehr-Einheit in Bensheim und war Lektor an der US-Agentenschule in Oberammergau.

Nach seiner Promotion ...

... unterrichtete er bis 1969 in Harvard und erwarb sich einen Ruf als Spezialist für internationale, besonders europäische Politik. 1969 holte ihn der republikanische Präsident Richard Nixon als Sicherheitsberater ins Weiße Haus. Später wurde er gleichzeitig Außenminister - und blieb zumindest letzteres auch unter Nixons Nachfolger Gerald Ford.

Die sogenannte Pendeldiplomatie ...

... wurde von Kissinger geprägt. Er reiste zwischen Hauptstädten hin und her und verhandelte zwischen Konfliktparteien. Als Außenminister war er eine Art Berühmtheit, bekannt für sein Machtbewusstsein und seine Frauengeschichten.

Kissinger plädiert für Nato-Beitritt der Ukraine nach Kriegsende

Damals sei er der Meinung gewesen, "dass die Ukraine am besten neutral geblieben wäre, mit einem Status ähnlich wie seinerzeit Finnland". Inzwischen spricht er sich jedoch dafür aus, dass die Ukraine nach Kriegsende ins westliche Militärbündnis kommt.
"Heute bin ich absolut dafür, die Ukraine nach dem Ende des Krieges in die Nato aufzunehmen. Jetzt, da es keine neutralen Zonen mehr zwischen der Nato und Russland gibt, ist es besser für den Westen, die Ukraine in die Nato aufzunehmen." Auch Finnland gehört inzwischen zur Nato.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg hat Kiew besucht. Dabei sprach er davon, dass die Ukraine langfristig in die Nato gehöre.

20.04.2023 | 02:09 min

Ex-Außenminister kritisiert Haftbefehl gegen Putin

Kissinger sagte weiter, er glaube nicht, dass Putin gegen die Ukraine Atomwaffen einsetzen werde. "Aber je mehr es um den Kern der russischen Identität geht, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass er es tut."
Den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den Kreml-Herrscher kritisierte er. "Putin vor Gericht? Besser nicht!" Es werde "unmöglich oder sehr viel schwieriger, einen Krieg zu begrenzen, wenn man den Ausgang des Krieges mit dem persönlichen Schicksal eines politischen Führers verknüpft".

Die politische Karriere von Kissinger

Der in Fürth geborene Kissinger war unter dem früheren republikanischen US-Präsident Richard Nixon nationaler Sicherheitsberater und von 1973 bis 1976 US-Außenminister. Er gilt als Inbegriff eines Realpolitikers und trieb im Kalten Krieg eine Verbesserung der Beziehungen zum Erzrivalen Sowjetunion voran.
Für die Rolle der USA im Vietnamkrieg, gerade bei der Bombardierung der Nachbarländer Laos und Kambodscha, sowie beim Pinochet-Putsch in Chile 1973 stand der Diplomat zeitlebens in der Kritik, blieb aber ein in Washington viel gefragter und einflussreicher Berater.
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Quelle: dpa, AFP

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