: Kleben fürs Klima: Sicher oder saugefährlich?

05.11.2022 | 17:29 Uhr
Stören, Festkleben, Blockieren: Die Störaktionen der "Letzten Generation" sind umstritten. Ob sie Sinn machen, darüber debattieren Klima-Aktivistin Rochel und FDP-Politiker Kuhle.
Nach einer Klima-Protestaktion in Berlin und dem Tod einer Radfahrerin steht die Gruppe "Letzte Generation" zunehmend in der Kritik. Wie radikal ziviler Ungehorsam sein darf - oder muss - darüber diskutierten Carla Rochel, Aktivistin bei der Gruppe "Letzte Generation", und Karsten Kuhle, FDP-Politiker, bei ZDFheute live.
Sehen Sie oben alle Argumente im Video und lesen Sie sie hier in Auszügen. Das sagen die beiden ....

...dazu, wie extrem der öffentliche Protest sein darf oder muss:

Carla Rochel: "Wir gehen auf die Straße, weil wir das unglaubliche Unrecht in der Gesellschaft nicht mehr hinnehmen können. Wir gehen auf die Straße, um das Leben zu schützen. Es ist immer schlimm, wenn Menschen im Verkehr zu Schaden kommen, wenn Menschen im Verkehr sterben. Unsere Proteste haben mit diesem Unfall nichts zu tun.
Wir sind auf der Straße, weil wir auf die Klimakatastrophe aufmerksam machen müssen. Wir sind auf der Straße, weil Regierungen nicht handeln, weil sie versagen. 
Carla Rochel
Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Verstorbenen. Wir sehen aber auch, dass uns die Zeit davon rennt. Wir haben nur noch wenige Jahre. (...) Wir steuern auf eine drei bis vier Grad heißere Welt zu. Diese Welt werden wir nicht erleben, weil die Welt vorher in Bürgerkriegen versinkt.
Jetzt ist nicht die Zeit, einfach abzuwarten. Wir müssen friedlich auf die Straße gehen. Wir wissen, dass es unangenehm ist, dass wir damit konfrontiert werden. Aber wir wissen auch, dass friedlicher ziviler Widerstand in der Geschichte schon funktioniert hat. Es kann einen Wandel herbeibringen". 
Karsten Kuhle: "Die Klimaproteste in vielen Orten in Deutschland in den letzten Jahren waren ein wertvoller Beitrag für politische Diskussionen. Viele junge Menschen haben sich für ein wichtiges Thema eingesetzt. Viele Menschen sind durch Proteste politisiert worden.
Durch Straßenblockaden werden alle Errungenschaften zunichte gemacht. Physischer Druck führt dazu, dass sich Menschen abwenden. Man wird am Ende rausfinden bei einem Ermittlungsverfahren, ob man sowas anklagt oder nicht. Unabhängig davon, ist das, was die "Letzte Generation" da macht "saugefährlich". Ich appelliere an Sie, damit aufzuhören".
Sie helfen weder dem Klima, noch der demokratischen Diskussion. Diese Attitüde ist im Kern totalitär und anti-demokratisch. So werden wir das Klima nicht retten. 
Karsten Kuhle

...dazu, ob extreme öffentliche Proteste ihr Ziel erreichen

Rochel: "Die Menschen wissen, dass wir bereits mitten in der Klimakatastrophe stecken und die Menschen wollen Maßnahmen. Maßnahmen wie ein 9-Euro-Ticket oder ein Tempolimit. Eigentlich spricht nichts mehr dagegen, diese Maßnahmen umzusetzen. Wir setzen uns friedlich hin, bilden eine Rettungsgasse, stehen auf, wenn der Krankenwagen kommt. Das ist friedlicher Protest.
Auch am Anfang gab es bei Fridays For Future (FFF) keinerlei Sympathie. Sympathie kam erst später. Alle Protestformen von FFF, die Schilder, die Millionen Menschen, die Petitionen, haben am Ende dazu geführt, dass wir ein verfassungsfeindliches Klimapaket haben. Keine Regierung auf der Welt tut genug oder übernimmt Verantwortung. Wir müssen weiter auf die Straße gehen. Damit können wir den Wandel herbeibringen. Immer mehr Menschen sind bereit in den friedlichen zivilen Widerstand zu treten". 
Im ZDF ist Klima-Experte Latif gegen radikale Proteste:

Karsten Kuhle: "Selbst wenn an dem strafrechtlichen Vorwurf nichts dran ist, sind solche Aktionen trotzdem daneben. Es ärgert mich, dass wir statt über Klimapolitik über solche Aktionen diskutieren. Wir erleben Aktionen, die so absurd, gefährlich, extremistisch und abseits von der Mitte sind, dass die Diskussion weg vom Thema Klima führt. "Letzte Generation" schadet dem Thema. 
Dem Argument der Aktivisten, die Mehrheit sei gegen die aktuelle Politik muss ich klar entgegentreten. Die Mehrheit hat diese Politik gewählt. In einer Demokratie muss man sich diesem Ergebnis stellen. Wir haben das 49-Euro-Ticket auf den Weg gebracht, den früheren Kohlausstieg. Darüber soll man sprechen. Darüber, was ist nicht genug. Aber auf Gewalt und auf solche Geschichten zu setzen, wird am Ende scheitern. 

...dazu, welche Motivation die Klima-Aktivisten antreibt

Rochel: "Wir haben jeden Tag erlebt, dass uns viel Hass entgegenschlägt. Wir wussten, dass es unangenehm wird. Aber die Leute bedanken sich auch.
Wir machen das nicht für uns, es ist nicht schön auf der Straße zu sitzen. Studien zeigen, dass solche Aktionen Menschen nicht abstoßen, sondern dass sie eher teilnehmen wollen
Carla Rochel
( ...) Es kommen immer mehr Menschen dazu. Wir wollen nicht die Autofahrer im Stau überzeugen. Unser Ziel ist, politischen Druck aufzubauen.Die internationale Verpflichtung von 1,5 Grad ist nicht einhaltbar und darüber findet zu wenig Berichterstattung der Medien statt. Das Thema wird immer wieder vom Tisch gewischt und in Beratungsgremien gesteckt. Wir kriegen nicht mal die einfachsten Schritte hin. (...) Ich möchte in einem Land mit einer Demokratie leben. Wir werden weiter friedlich auf die Straße gehen".
Kuhle: "Der Frust ist verständlich und nachvollziehbar, wenn man eine demokratische Entscheidung trifft und ein Kompromiss reicht nicht aus. Dann muss man die Leute abwählen, oder sich selber zur Wahl stellen. Das klingt altmodisch, aber so ist das organisiert in der Demokratie.
Was aktuell gemacht wird, ist zu wenig, um die Klimaziele zu erreichen. Aber aktuell herrscht Krieg mitten in Europa, Deutschland hat dadurch Probleme: Stromrechnungen, Gasversorgung in Betrieben. (...) Ich weiß, wir laufen Gefahr, dass Menschen sterben, weil es zu heiß wird, das ist mir klar. Aber wir müssen das gemeinsam in den Griff kriegen und uns nicht durch solche Aktionen spalten lassen. Das führt in die falsche Richtung". 

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