: Lützerath: Wenn aus Bankern Aktivisten werden

von Lothar Becker
08.01.2023 | 17:48 Uhr
Das alte Lützerath gibt es nicht mehr und doch gibt es den Kampf um seinen Erhalt. Als Symbol für einen kompromisslosen, sofortigen Ausstieg aus der Kohleverstromung.
"Lützerath bleibt" - in Anlehnung an "Hambi bleibt" - ist das Mantra vieler Klimaschützer derzeit bundesweit. Doch außer ein paar verlassenen und nun von Protestierenden besetzten Gebäuden ist da seit 2016 nicht mehr viel, das bleiben könnte.
Anders als im sogenannten "Hambi". Diesem letzten Rest des Hambacher Forsts, der tatsächlich bleiben kann, weil der Protest gegen den Tagebau dort vor gut vier Jahren am Ende funktioniert hat. Während der Räumungseinsatz der Polizei, richterlich bestätigt, unrechtmäßig war.
Letzteres dürfte ein Grund sein, warum Verantwortliche aus Politik, Sicherheitsbehörden und nicht zuletzt RWE im Fall von Lützerath genau überdenken dürften, ob sie Räumungsszenen und Bilder wie aus dem Hambacher Forst erneut riskieren wollen.
Aktivisten in Lützerath kurz vor der Räumung des Braunkohledorfes.Quelle: ZDF/Lothar Becker

Hunderte besetzen den Weiler Lützerath

Doch schon jetzt ist klar: Einfach wird die Räumung nicht. Der ehemalige Weiler ist jetzt ein Camp Hunderter Besetzer, aus RWE-Sicht oder Aktivisti, wie sie sich selbst nennen.
Einer von Ihnen ist Karo. Er trägt eine Sturmhaube, möchte lieber anonym bleiben. Er lebt seit 2020 immer wieder im Camp in Lützerath, phasenweise über Monate.
Jede Tonne Braunkohle, die aus der Erde gebaggert und zu einer Tonne CO2 in der Atmosphäre wird, ist eine zu viel.
Karo, Aktivist
Kurz vor der geplanten Räumung des Dorfes versammelten sich dort am Sonntag Dutzende Aktivisten und Aktivistinnen. Von dem Zuspruch der geschätzt Tausenden, die an diesem Sonntag das Camp besucht haben, ist Karo überwältigt. "Alle können hier sehen, was wir dem Planeten antun, können an der Abbruchkante stehen und sich selbst ein Bild von diesem Wahnsinn machen."
Teilnehmer eines Dorfspaziergangs in Lützerath stehen an der Kante des Tagebaus Garzweiler II.Quelle: dpa

Ehemaliger Broker unterstützt nun Aktivisten

Einer dieser Besucher nennt sich Oskar, ist schon seit Jahren Unterstützer der Menschen, die sich im ehemaligen Lützerath verbarrikadiert haben. Nahrungsmittel, Kleidung, Baumaterial für Hütten, Sozialräume, Toiletten, Küchen. All das gäbe es nicht, wenn nicht Unterstützer wie er mit Geld und Tat dabei wären.
Oskar ist Broker, hat sein Leben lang an der Börse Geld verdient, nicht zu wenig, wie er sagt. Doch die Gemeinschaft im Camp hat ihn bei seinen Aufenthalten hier zum Umdenken gebracht. Die Mechanismen der globalisierten Wirtschaft, die er sehr genau kenne, widerten ihn inzwischen an.
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Auf Kosten des Klimas Geld zu verdienen und dabei international vereinbarte Klimaziele sehenden Auges zu verfehlen, zeige, dass die dringend nötige Veränderung in der modernen Zivilgesellschaft noch längst nicht angekommen sei.
Weg vom Individualbesitz, hin zu einer nachhaltigen Energiepolitik und der Erkenntnis, dass unser Luxus nur auf Kosten anderer möglich ist. Zwei Nächte will er bleiben, schläft in seinem Elektroauto im Nachbarort.

"Die Politiker haben sich von RWE an der Nase herumführen lassen"

Vor einem der vier ursprünglichen Wohnhäuser in Lützerath trifft Oskar einen Bekannten, männlich um die 50, in Outdoorkleidung, großer Rucksack, Nickelbrille, frisch rasiert. Ein Bänker sei er, aus Frankfurt am Main.
Eine Woche hat er Urlaub genommen, um hier den Protest gegen den Tagebau Garzweiler II zu unterstützen. "Die Politiker haben sich von RWE an der Nase herumführen lassen", sagt er kopfschüttelnd mit Blick auf den Kohlekompromiss.
RWE habe längst seine Hausaufgaben gemacht und sehr früh günstige CO2-Zertifikate gekauft, die nun ein zigfaches wert seien. RWE würde seiner Einschätzung nach auch ohne die Kohle unter Lützerath genug Gewinne machen, deswegen sei er hier, um aktiv gegen die Räumung zu protestieren.
Gewalt lehnen beide ab, ähnlich wie wohl die meisten der Menschen, die am Sonntag zur Unterstützung ins ehemalige Lützerath gekommen sind.
"Selbst wenn Lützerath fällt, bleibt die Diskussion um ein Unternehmen wie RWE und wie es seine Gewinne macht", sagt Karo zum Abschied. Lützerath, sagt er, "wird nicht das Ende sein, sondern auch ein Anfang."
Es geht uns um etwas Größeres: Die Idee emotional, ökologisch und ökonomisch nachhaltig zu Leben.
Karo, Aktivist

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