: Demokratie ist noch nicht sicher

von Cathryn Clüver Ashbrook
09.11.2022 | 17:49 Uhr
Am Ende der Zwischenwahlen werden die USA einen Kongress haben, der so gespalten ist wie das Land selbst. Damit ist die Demokratie nicht gerettet. Ein Gastbeitrag.
Das Kapitol in Washington: Sitz von Repräsentantenhaus und Senat. Die Zukunft der Demokratie im Land wird hier mitentschieden.Quelle: AP
Die Jugend hat sie ausgebremst, die vermeintlich "rote Welle", die die Umfragewerte für den Wahlausgang für das US-Repräsentantenhaus, den Senat und die Gouverneurswahlen voraussahen. Unter den 18- bis 29-jährigen Wählern konnten die Demokraten ein Plus von 28 Prozent verzeichnen.
Die hohe Wahlbeteiligung beider Lager, der oft gerichtlich zwischen beiden Parteien umkämpfte neue Zuschnitt von Wahlkreisen, die Sorge um eine erneute Präsidentschaft von Donald Trump unter unabhängigen Wählern und die Stimmen der Erstwähler -zusammengenommen haben diese Faktoren dafür gesorgt, dass im Weißen Haus die vorläufigen Ergebnisse dieser Zwischenwahl mit Erleichterung aufgenommen werden.

Cathryn Clüver Ashbrook ...

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.
... ist eine deutsch-amerikanische Politologin, USA-Expertin und Senior Advisor bei der Bertelsmann Stiftung.

Funktionalität der amerikanischen Demokratie auf dem Wahlzettel

Mit Umfragewerten unter der 50-Prozent-Marke und einer historisch hohen Inflationsrate musste Präsident Joe Biden in die letzten Wochen des Wahlkampfs starten. Bei jedem Auftritt betonte er deshalb, dass die Funktionalität der amerikanischen Demokratie auf dem Wahlzettel stünde.
Bei den Demokraten kam die Nachricht an: 42 Prozent - so eine Umfrage der Nachrichtensender PBS und NPR - sahen die Verteidigung der Demokratie neben dem Schutz der Abtreibungsrechte als Hauptmotivation ihrer eigenen Wahlentscheidung, während bei Republikanern und unabhängigen Wählern die wirtschaftliche Entwicklung im Vordergrund stand.
Nur 15 Prozent der Republikaner sahen ihre eigene Demokratie so gefährdet, dass es die eigene Wahlentscheidung beeinflusst hat.

Demokraten könnten Mehrheit im Senat knapp halten

Dennoch scheint die Kombination von Appellen von Joe Biden und Barack Obama sowie die Riege an Trumpistischen Kandidaten insbesondere für den Senat dazu geführt zu haben, dass gerade unabhängige Wähler ihre Stimme parteipolitisch getrennt haben: Republikanisch im Bundesstaat - das belegt der Ausgang der Gouverneurswahlen - aber demokratisch auf nationaler Ebene, sonst wären der mögliche Ausgang der Senatswahl im Bundesstaat Georgia, der auf eine Stichwahl Anfang Dezember zusteuert, nicht so eng.
Somit hat die demokratische Partei ein kleines Wunder produziert: Während Bill Clinton und Barack Obama beide jeweils über 50 Sitze im Repräsentantenhaus der anderen Seite überlassen mussten (Clinton 53; Obama 63 nach den ersten zwei Jahren der ersten Amtszeit), kann es sehr wohl sein, dass die Republikaner nur mit einer dünnen Mehrheit dort die Macht übernehmen, und die Demokraten den Senat knapp halten können.

Bidens Pläne nicht komplett aufzuhalten

Diese Umstände werden die Agenda eines Präsidenten Biden im Repräsentantenhaus ausbremsen, aber mit einer knappen Senatsmehrheit die Pläne der Demokraten - besonders auch nicht außenpolitische Funktionen, wie die Ernennung von Botschaftern oder die Finanzierung der Ukrainehilfe - nicht komplett aufhalten können.
Die "Make American Great Again" (MAGA)-Fraktion hatte im Vorfeld der Wahl angekündigt, sie würden ein Amtsenthebungsverfahren anstreben, Untersuchungsausschüsse zu Afghanistan und den geschäftlichen Verstrickungen von Präsidenten-Sohn Hunter Biden nachgehen und die Ergebnisse des Ausschusses zur Untersuchung der Kapitol-Erstürmung vom 6. Januar 2021 begraben.
Mit einer knappen Mehrheit werden diese "Vorhaben" nur wirklich tragbar, wenn Republikaner der MAGA-Agenda geschlossen Gefolgschaft leisten.

Wahlstimmen für Schlüsselfunktionen noch nicht vollständig ausgezählt

Ist die amerikanische Demokratie damit gerettet? Nein. Noch sind zum Beispiel die Wahlstimmen für Schlüsselfunktionen im amerikanischen Wahlsystem noch nicht vollständig ausgezählt: 27 Secretary of State Positionen waren neu zu besetzen - die Wahlleiter des jeweiligen Staates, die zwar der Verfassung verpflichtet sind, aber parteipolitisch gewählt werden.
Bislang obskur in ihrer Funktion wurde die Rolle 2020 wichtig, als Donald Trump versuchte, gerade auf republikanische "Staatssekretäre" einzuwirken, sie mögen ihm doch fehlende Stimmen "finden" oder gar andere Wahlmänner am 6. Januar nach Washington schicken.
Unter den Kandidaten für dieses Amt sind in diesem Jahr diverse Wahlleugner, die der Wahl 2020 die Legitimität abgesprochen haben.

Jeder Sieg der Leugner ist Verlust für Demokratie

Insgesamt standen am 8. November fast 200 Kandidaten auf unterschiedlicher Ebene in den Bundesstaaten, die weiterhin der "großen Lüge" des massiven Wahlbetrugs nachlaufen.
Noch werden die Stimmen gezählt, aber jeder Sieg der Leugner ist ein Verlust für die amerikanische Demokratie - und deren Einfluss auf die Präsidentschaftswahl 2024 könnte erheblich sein.
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