Exklusiv

: Wie korrupt ist Ihr Parlament, Frau Metsola?

18.01.2023 | 13:34 Uhr
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola verspricht im Exklusiv-Interview mit ZDFheute: ihren eigenen Laden aufzuräumen. Und hat eine klare Botschaft an Kritiker wie Viktor Orban.
Roberta Metsola ist am heutigen Mittwoch genau ein Jahr im Amt. Ihr Jubiläum hätte sie sich wohl anders vorgestellt: Statt andere vor sich herzutreiben, wird Metsolas Institution seit Wochen von dem größten europäischen Korruptionsskandal seit langem erschüttert. Im ZDF-Interview gibt sich die 44-jährige EVP-Politikerin entschlossen - und kritisiert auch die Praxis von gesponserten Dienstreisen, über die ZDFheute am Dienstag berichtet hatte.
Sehen Sie das Interview oben im Video und lesen Sie es hier in Auszügen.
ZDFheute: Frau Metsola, lassen Sie mich direkt beginnen: Wie korrupt ist das Europäische Parlament?
Roberta Metsola: Ich bin stolz darauf, dass das Europäische Parlament das Haus der Demokratie ist, das Gesetze erlässt, das sehr hart arbeitet, um die Einigkeit zu bewahren, wie wir sie in den letzten Jahren während der Pandemie, seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine hatten. Was vor einem Monat bekannt wurde, ist deshalb nicht nur bedauerlich, sondern auch sehr traurig. Denn es hat das Vertrauen zerstört, das über viele, viele Jahre hinweg aufgebaut wurde. Deshalb haben wir sofort reagiert. Nicht nur ich, sondern auch meine Kollegen, meine Vizepräsidenten, die Fraktionsvorsitzenden.
Wir müssen jetzt zusehen, wo noch Lücken sind. Wir sehen uns die Regeln an, die besser hätten durchgesetzt werden müssen - und die, die nicht genutzt und vor allem missbraucht wurden. Wir wollen sicherstellen, dass sich so etwas nie wiederholen kann.
Wir sprechen hier über kriminelle Korruption, die von einem ausländischen Akteur betrieben wird, um die Prozesse zu untergraben, auf die wir so stolz sind.
Kann ich sagen, dass so etwas nie wieder vorkommen wird? Nein. Aber ich werde mein Bestes tun, um dafür zu sorgen, dass alle Schlupflöcher und Lücken geschlossen werden.
ZDFheute: Sie haben einen 14-Punkte-Plan vorgelegt, um die Regeln zu reformieren. Wären diese 14 Punkte bereits in Kraft gewesen, hätten sie den Skandal dann wirklich verhindert?
Metsola: Ich würde einen Unterschied machen zwischen krimineller Korruption und nicht deklarierten Reisen, Geschenken und anderen Dingen, die man hätte besser machen können. Kriminelle Korruption lässt sich niemals absolut verhindern. Hier geht es um die Einmischung eines ausländischen Akteurs, der gegen Geld Einfluss auf die hiesige Gesetzgebung nehmen wollte. Und in dieser Institution ließen sich eine Reihe von Personen dazu benutzen, um das zu ermöglichen.
Mein 14-Punkte-Plan ist eine Zusammenstellung von bestehenden Regeln - und solchen, die wir einführen könnten. Es ist ein angemessener selbstkritischer Blick auf uns selbst, ein mutiger Sprung nach vorn. Er zeigt, was wir besser machen können - und ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir es können. Wir müssen etwas offener sein nicht nur in Bezug darauf, mit wem wir uns treffen und wie wir Gesetzgebung betreiben, sondern auch in Bezug darauf, wie wir unsere Öffentlichkeit, der wir rechenschaftspflichtig sind, darüber informieren, was wir im Parlament tun.
ZDFheute: Sie sagen, das sei mutig - aber vielen Kritikern fehlt Ihren Vorschlägen der Ehrgeiz. Zum Beispiel, wenn es um Sanktionen geht. Warum sind Sie da so wenig ehrgeizig?
Metsola: Ich würde diese Analyse zurückweisen. Das sind erste Schritte. Man muss immer irgendwo anfangen. Wir haben in der vergangenen Woche auf höchster Ebene des Parlaments darüber diskutiert, wie es weitergehen könnte. Es gibt auch Fragen, die von verschiedenen nationalen Traditionen abhängen. Wir können immer noch weiter gehen und die Möglichkeit gemeinsamer Regeln für die Immunität prüfen.
Im Moment heben wir die Immunität verschiedener Mitglieder auf. Und Sie haben Sanktionen erwähnt: Es gibt bereits eine Reihe von Sanktionen. Tatsächlich habe ich gestern im Plenum eine Sanktion gegen ein Mitglied angekündigt. Können wir das auf Mitglieder ausweiten, die in diesem speziellen Fall die Regeln missbraucht haben? Ich denke ja. Und das wäre ein sehr großer Schritt, der bereits noch weiter geht als die 14 von mir vorgeschlagenen Punkte.
Wir werden also mittelfristig weitere Schritte unternehmen. Und es gibt eine Reihe von längerfristigen Reformen, die ich vor einem Jahr bei meiner Wahl versprochen habe - und ich bin entschlossen, sie weiter zu verfolgen.
ZDFheute: Ein Thema sind auch die gesponserten Reisen: wenn Abgeordnete des EU-Parlaments sich von Drittstaaten einladen lassen. Halten Sie das generell für legitim?
Metsola: Nun – ich selbst habe das nie getan. Ich kann mittlerweile auf zehn Jahre hier im Parlament zurückblicken und mir ansehen, was besser gemacht werden könnte. Jetzt liegt es in meiner Verantwortung. Im Moment ist das Problem, dass viele Reisen nicht angemeldet wurden – dabei muss jede Einladung dem Parlament gemeldet werden. Die Regeln müssen verschärft werden, die Sichtbarkeit muss besser werden.
Und wenn wir über Transparenz reden, müssen wir auch über das Transparenzregister reden: Wer hat Zugang zum Parlament? Wer lädt ein? Wir würden gerne wissen, wie sich diese Organisationen, diese Unternehmen, diese NGOs finanzieren. In den letzten zehn Jahren habe ich im Rahmen meiner Arbeit verschiedene Akteure der Zivilgesellschaft und des Privatsektors getroffen - und habe diese Fragen gestellt. Ich möchte meine Kollegen bitten, genau diese Fragen zu berücksichtigen, wenn sie ihre Gespräche und Reisen durchführen.
ZDFheute: Tatsächlich war dieser ganze Skandal eine Art Weihnachtsgeschenk für Kritiker wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. Wie glaubwürdig kann das EU-Parlament Ungarn für Versäumnisse bei der Korruptionsbekämpfung kritisieren, wenn es selbst ein solches Problem mit Korruption hat?
Metsola: Jedem, der versucht, das europäische Projekt zu untergraben, möchte ich sagen: Es ist immer leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
In unserem Fall übernehme ich die Verantwortung, ich mache meine Arbeit und ich sorge dafür, dass meine Kollegen mit mir zusammenarbeiten, um die Arbeit zu erledigen.
Als ich vor einem Jahr von der konstruktiven pro-europäischen Mehrheit dieses Hauses gewählt wurde, war es diese konstruktive pro-europäische Mehrheit, die wollte, dass das Projekt überlebt. Wo es Probleme gibt, lösen wir sie. Wo wir das Licht auf das Gute scheinen lassen sollen, tun wir es auch.
Das Interview führte Florian Neuhann.

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