Exklusiv

: Russland sucht Nähe zu deutschen Abgeordneten

von Julia Klaus und David Gebhard
27.05.2022 | 16:37 Uhr
Der Vize-Chef des russischen Parlaments sucht engere Beziehungen zum deutschen Bundestag. In einem brisanten Schreiben wurde ein AfD-Abgeordneter nun für ein Treffen angefragt.
Russland versucht, Netzwerke bis in den Bundestag zu spannen.Quelle: dpa
Als Norbert Kleinwächter Anfang Mai die pikante Mail aus Russland erhält, ist er überrascht, sagt er. Denn kein geringerer als der stellvertretende Vorsitzende des russischen Parlaments schreibt ihm und sucht die Nähe des AfD-Abgeordneten. Auf Englisch formuliert der Duma-Parlamentarier Boris Chernyshov:
"Gern würde ich (...) die langjährige Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland zum Wohle unserer Länder und Menschen fördern und stärken."
Und weiter:
Um gemeinsam nach Antworten auf die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts an die internationale Gemeinschaft zu suchen, möchte ich Sie bitten, die Möglichkeit zu prüfen, persönliche Unterredungen in Form einer Videokonferenz abzuhalten (...).
Schreiben des Duma-Stellvertreters Boris Chernyshov
Kleinwächter trägt das Schreiben Mitte Mai an den AfD-Fraktionsvorstand heran. Dort sei man sich schnell einig geworden: "Wir haben ausgeschlossen, dass wir das Angebot aus Russland annehmen", sagt Kleinwächter, der stellvertretender Fraktionschef ist. Ein weiterer Sitzungsteilnehmer bestätigt den Vorgang gegenüber ZDFheute.

Anruf in Moskau: Keine Antwort von Chernyshov

Das Schreiben aus Russland scheint authentisch. Im Briefkopf steht ein händisch eingetragenes Datum, eine Art Vorgangsnummer sowie die Büro-Mail-Adresse und Telefonnummer von Chernyshov.
ZDFheute hat den Duma-Mann schriftlich angefragt, ob er noch weitere solcher Anfragen an Bundestagsabgeordnete versendet hat, doch aus Moskau gab es keine Reaktion. Unter der Telefonnummer melden sich Menschen auf Russisch, die aber auflegen, nachdem ZDFheute das Anliegen geschildert hat. Moskau schweigt.
ZDFheute hat auch alle Fraktionen im Bundestag angefragt, ob ihre Abgeordneten ein ähnliches Schreiben erhalten haben und eine Kontaktanbahnung stattgefunden hat. Ihnen sei so ein Vorgang nicht bekannt, melden die Sprecherinnen und Sprecher von Linken, Grünen, FDP, SPD und Union.
Ob Abgeordnete und Fraktionen einen solch pikanten Kontaktversuch überhaupt öffentlich machen würden, ist eine andere Frage.

Zu viel Nähe zum Kreml?

10.05.2022 | 05:43 min

Kleinwächter ist nicht als Putin-Fan bekannt

Kleinwächter gehört zum Lager der - für AfD-Verhältnisse - Gemäßigteren. Er ist nicht als Putin-Fan bekannt.
Als sein Fraktionskollege Steffen Kotré in einer Bundestagsrede Ende März behauptete, der Westen trage auch eine Mitschuld an Putins Krieg, verließ Kleinwächter laut eigenen Angaben das Plenum und schrieb danach bei Twitter: "Ich distanziere mich in aller Entschiedenheit von der widerlichen Putin-Propaganda, die Steffen Kotré heute im Bundestag verbreitet hat." Auch stimmte Kleinwächter für den Ausschluss Russlands aus dem Europarat - was parteiintern für Streit sorgte.
Tweet von Norbert Kleinwächter
Die AfD-Fraktion lehnt Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine weiterhin ab. Zwar einigte man sich in einem Positionspapier darauf, den Ukraine-Krieg als einen "völkerrechtswidrige(n) Angriffskrieg Russlands" zu verurteilen. Doch einige AfD-ler legen weiterhin eine problematische Nähe an den Tag. Kleinwächters Fraktionskollege Stefan Keuter etwa nahm kürzlich digital an einer umstrittenen Konferenz für die russische Wirtschaft teil.
Und Parteichef Tino Chrupalla musste viel Kritik einstecken, als er wenige Tage nach dem russischen Überfall sagte: "Es darf in diesen Tagen aber nicht unser Ziel sein, den einen Schuldigen auszumachen." Später schob er nach, dass der Krieg "viele Väter" habe.

Wer ist Boris Chernyshov?

Über den Absender Boris Chernyshov sagt Kleinwächter: "Ich kenne den Mann nicht." Bildungspolitiker Chernyshov ist Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei Russlands. Liberal ist an ihm und seiner Partei aber wenig. Andreas Umland vom Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien ordnet die LDPR als rechtsradikal ein, "in den 90er-Jahren auch klar faschistisch".
Wie die meisten Duma-Abgeordneten steht Chernyshov mittlerweile auf westlichen Sanktionslisten. Nach dem Sieg der Ukraine vor einer Woche beim Eurovision Song Contest schrieb Chernyshov den rassistischen Satz: "Warum sind nicht auch die anderen Künstler niedergekniet. Die Ukraine ist das neue 'Black Lives Matter'."
Chernyshovs LDPR-Parteichef Leonid Sluzkij forderte kürzlich gar die Todesstrafe für ukrainische Soldaten des Asow-Regiments.

Auch Kleinwächter ist gegen Russland-Sanktionen

Warum wurde gerade Kleinwächter kontaktiert? Der MdB vermutet, dass seine Rede in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats der Grund dafür sein könnte. Darin forderte er Gesprächsbereitschaft mit Russland und sprach sich gegen ein Öl- und Gas-Embargo aus. Vielleicht reichte dieser Umstand Chernyshov, um den Kontakt mit dem AfD-Mann zu suchen.
Chernyshovs Schreiben endet mit dem Satz:
Ich freue mich auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Ihnen in der Zukunft.
Schreiben von Boris Chernyshov
Kleinwächter sagt dazu: "Ich werde ihm kommende Woche per Mail absagen."
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