: Ampel steuert auf nächsten Eisberg zu

von Daniel Pontzen
11.05.2023 | 15:22 Uhr
Die aktuelle Steuerschätzung zeigt: Auch beim Etat prallen fundamental unterschiedliche Ansätze aufeinander. Finanzminister Lindner bleibt entspannt - aus einem speziellen Grund.

Der finanzielle Spielraum für Finanzminister Lindner sinkt: Laut Steuerschätzung nimmt der Bund bis 2027 70 Milliarden Euro weniger Steuern ein als bisher angenommen.

11.05.2023 | 01:05 min
Es gibt Sätze, die im Wesentlichen überflüssig sind, weil sie ausdrücken, was längst jeder weiß. "Dieser Flug ist ein Nichtraucher-Flug", ist so ein Satz - trotzdem wurde er auch vor Christian Lindners Abflug zum G7-Finanzministertreffen nach Japan aufgesagt, das Gesetz will es so. 
Nicht lange nach der Landung gab es einen Satz, der jedenfalls innerhalb der Ampelkoalition einen sehr ähnlichen Klang hat - auch wenn er dort von vielen nach wie vor nicht akzeptiert wird. Der Satz stammt von Finanzminister Christian Lindner, er lautet (sinngemäß): Dieser Haushalt ist ein "Keine-Extrawünsche-Haushalt". Es gibt diesen Satz in mehreren leicht abgewandelten Varianten. Diesmal sagte der FDP-Chef:
Ein Mehr an Ausgabewünschen können wir gegenwärtig mit den gegebenen Einnahmen nicht realisieren.

Steuerminus 2024 deutlich größer als erwartet

Und doch steckte diesmal etwas Neues in dieser mantrahaft wiederholten Kernbotschaft. Denn nun trug Lindner sie - in einer eigens einberufenen Pressekonferenz im fernen Japan - als Reaktion auf die deutsche Steuerschätzung vor. Manche Ampel-Politiker hatten gehofft, dass die Schätzung einen warmen Geldregen in Aussicht stellen würde, gespeist durch die Inflation, da durch sie in der Regel auch die Steuereinnahmen steigen.
Durch das Inflationsausgleichsgesetz aber wurde genau dieser Effekt sehr erheblich gedämpft. So liegt die aktuelle Schätzung deutlich unter der letzten aus dem Oktober, insgesamt ergeben sich demnach für 2024 voraussichtlich Mindereinnahmen von rund 31 Milliarden Euro.

Beim Flüchtlingsgipfel am Mittwoch haben sich Bund und Länder auf zusätzlich eine Milliarde Euro zur Versorgung der Flüchtlinge geeinigt.

11.05.2023 | 02:02 min

Lindner: Ausgaben priorisieren

Heißt - da wäre sie wieder, die "Message": Es gebe schlicht nichts zu verteilen für Extrawünsche, im Gegenteil: Schon ohne sie klaffe ein Loch von rund 20 Milliarden Euro im Haushalt, jüngst noch einmal angewachsen durch die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst. Deswegen gelte es vielmehr für jedes Kabinettsmitglied, selbst nochmal zu schauen, was man weglassen könne an Ausgaben. Das Zauberwort, so Lindner, sei "Priorisieren". Notfalls, so klingt das, werde er dabei helfen - mögliches Instrument wäre ein Haushaltsbegleitgesetz.
Und so groß die Diskrepanz zwischen nehmen wollen und geben wollen ist, so wenig zeichnet sich eine harmonische Lösung innerhalb der Ampel-Koalition ab: Nachdem Lindner im März kurzfristig die Verkündung der Eckwerte abgesagt hatte, ließ er nun wissen: Die für den 21. Juni erwartete Verkündung des Haushaltsentwurfs werde es auch nicht geben - mit dem Verweis, sein Ziel sei das eh' nie gewesen. Es werde mehr Zeit benötigt, vielleicht klappe es bis zur Sommerpause, zur Not halte man sich an die gesetzliche Frist Anfang September.

Die Inflation ist hoch, kommen die Löhne da noch hinterher? Einmalzahlungen für Beschäftigte klingen gut, doch in Wahrheit verpuffen solche Prämien als Inflationsausgleich oft.

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Ampel steuert auf nächsten Eisberg zu

Und so steuert die rot-grün-gelbe Koalition - so jedenfalls scheint es von außen - recht zielgenau auf den nächsten Eisberg zu. Allerdings: Der Erste Offizier Christian Lindner macht bei all dem einen demonstrativ gelassenen Eindruck. Als wüsste er, dass er sich im entscheidenden Moment auf Kapitän Olaf Scholz verlassen kann - weil der seinen Kurs stützt.
Dies entspräche jenem Farbmuster, das zuletzt bei immer mehr zentralen Streitpunkten innerhalb des Dreierbündnisses erkennbar wurde: Rot-Gelb gegen Grün. Denn die Ausgabenwünsche der Grünen - etwa die zwölf Milliarden Euro, die Familienministerin Lisa Paus für die Kindergrundsicherung verlangt – lächelte Lindner in den vergangenen Monaten meist besonders kühl weg. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) dagegen erhielt zumindest eine Teilzusage für die von ihm gewünschten zehn Milliarden Euro extra für die Bundeswehr.
Vielleicht ist das aus Sicht der Grünen die beunruhigendste Nachricht: Der Finanzminister reißt Deadline um Deadline bei seinem Haushalt (auch wenn er die formal nie selbst ausgegeben hat), und trotzdem wirkt er bei all dem - im Sport würde man sagen: siegesgewiss, in seinem Fall: haushaltsgewiss. Für das interessierte Publikum bleibt derweil auch bei diesem Thema die Frage: Wie genau will sich diese Koalition eigentlich gemeinsam ins Ziel retten? Noch ist nicht mal die Hälfte 'rum. 
Dr. Daniel Pontzen ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio und Moderator des "ZDF-Mittagsmagazins".

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