Interview
: Wie tief sitzt der Frust der Linken?
26.06.2022 | 13:17 Uhr
Sören Pellmann wollte Linken-Chef werden - und ist gescheitert. Pellmann gehört nun zu einer Gruppe von Unzufriedenen um Sahra Wagenknecht, die der Partei Probleme machen könnten.ZDFheute: Sie gelten als "Lebensretter der Partei". Ihr Direktmandat war eines von dreien, die den Einzug der Linken ins Parlament mit abgesichert haben. Auf diesem Parteitag aber gab es mit 32 Prozent keine Mehrheit für Sie. Wie verstehen Sie dieses Ergebnis?
Sören Pellmann: Ich bin mir in der Einordnung dieses Ergebnisses noch nicht ganz sicher. Zum einen könnte man es als schallende Ohrfeige und Niederlage interpretieren für den, der zumindest ein Drittel Anteil daran hat, dass es diese Partei bundesweit im Parlament noch gibt.
Zum anderen haben auch ein Drittel der Delegierten gesagt: Das, was er als Angebot für die Partei mitbringt, ist uns wichtig und soll auch weiter in der Partei stark sein. Ich bin hin- und hergerissen, suche viele Gespräche - und finde dann hoffentlich auch die passenden Antworten.
ZDFheute: Es gab heute Morgen eine Meldung, Sie würden darüber nachdenken zu gehen. Was ist da dran?
Pellmann: Nun, ich habe gestern gesagt, dass ich mir nach dem Ergebnis mal zwei Wochen Zeit nehme, um meine Rolle in der Partei zu finden, die eigene Rolle vielleicht neu zu definieren oder vielleicht auch zu sagen: Besinn Dich auf das, was Du tust. Aber mitnichten werde ich heute oder morgen irgendwas entscheiden.

Janine Wissler bleibt an der Spitze der Linken – neu an ihrer Seite ist Martin Schirdewan. Der Bundesparteitag in Erfurt stand auch im Zeichen der Wahlniederlagen, Machtkämpfe und des #MeToo-Skandals in der Partei.
25.06.2022 | 02:10 minZDFheute: Sie sind hier nicht der Einzige, der sich von dem Parteitag nicht mitgenommen fühlt. Wie groß ist die Gruppe der Unzufriedenen?
Pellmann: Ich bin hier nach Erfurt gefahren mit der klaren Maßgabe, dass wir nach den Wahlniederlagen - von der Europawahl bis zur Bundestagswahl - das mit dem Gräbenzuschütten und Brückenbauen sehr ernst nehmen und ich habe auf dem Parteitag dazu ein Angebot gemacht.
Ich habe den Eindruck, dass die, die jetzt mit einer kleinen Frustration nach Hause fahren, ungefähr ein Drittel sind.
ZDFheute: Der Machtkampf mit dem Parteiflügel um Sahra Wagenknecht scheint gestern zugunsten des Parteivorstandes entschieden worden zu sein, zumindest vorerst. Der außenpolitische Änderungsantrag von Wagenknecht und anderen wurde abgeräumt. Es ist niemand aus dem Umfeld von Wagenknecht in der Parteispitze. Ist das jetzt eine Richtungsentscheidung - weg von Sahra Wagenknecht?
Pellmann: Zunächst bedauere ich, dass Sahra Wagenknecht aufgrund einer Erkrankung nicht hier sein konnte. Ob und welche Auswirkungen das jetzt hat, weiß ich noch nicht. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wir es weiterhin nur gemeinsam mit ihr in der Partei zu alter Stärke schaffen - und nicht ohne sie. Und schon gar nicht durch ein Rausdrängen und Ausschließen.
ZDF-Reporter Ralph Schumacher erklärt, was von der neugewählten Linken-Spitze zu erwarten ist.
25.06.2022 | 01:16 minZDFheute: Halten Sie es für denkbar, dass Abgeordnete die Fraktion verlassen?
Pellmann: Ich habe mit allen, die darüber mal nachgedacht haben, gestern Abend versucht zu sprechen. Ich habe alle bestärkt, diesen Schritt nicht zu gehen. Und habe auch von keinem und keiner das Signal bekommen, dass sie das vorhaben. Ob und wie sich dann einzelne vielleicht nochmal anders entscheiden, das weiß ich nicht. Ich sehe uns als DIE linke Kraft für das Soziale im Bundestag, deswegen müssen wir das unbedingt als Fraktion tun und in größtmöglicher Geschlossenheit.
ZDFheute: Welches Signal hätte denn Ihrer Meinung nach von diesem Parteitag ausgehen müssen?
Pellmann: Man hätte bei den Leitanträgen mehr Kompromissbereitschaft zeigen müssen - auch durch Übernahmen. Die Übernahmen durch den Parteivorstand waren sehr einseitig. Das kam nicht zwingend bei allen gut an. Ich hätte mir auch einen gemischteren Parteivorstand gewünscht.
Klar ist man selbst vielleicht ein bisschen enttäuscht und auch frustriert, aber da geht es nicht um mich.
Wenn ein Parteivorstand de facto ein Drittel der Mitgliedschaft und der Delegierten nicht mehr abbildet, ist das ein schlechtes Zeichen.
Das Interview führte Andrea Maurer, Redakteurin im ZDF-Hauptstadtstudio.
Linke grenzt sich gegen Russland ab
Die Linke hat ihre Haltung zu Russland nachgeschärft und den russischen Angriff auf die Ukraine klar verurteilt. Mit dem Beschluss des Erfurter Parteitags vom Sonntag setzte sich die Parteispitze um die Vorsitzende Janine Wissler gegen eine Gruppe um die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht durch. Diese wollte die Mitverantwortung der Nato im Vorlauf zum Ukraine-Krieg betonen.
Für die Linke war das ein Grundsatzstreit.
- Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar hatten viele in der Partei großes Verständnis für russische Interessen geäußert. Das gültige Parteiprogramm verlangt die Auflösung der Nato, die durch ein "kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands" ersetzt werden soll. Von dieser Linie setzt sich der neue Beschluss ein Stück weit ab.
- Die Fassung, für die auch Wissler geworben hatte, wirft Russland eine imperialistische Politik vor. Moskau versuche, unter postsowjetischen Staaten "autoritäre Vasallen-Regime einzurichten oder - wo das nicht gelingt - die Staaten zu destabilisieren". Russland sei "eines der geostrategischen Machtzentren im fossilen Kapitalismus". Auch dieser Antrag kritisiert die Nato für ein "Denken in geopolitischen Einflusszonen und ein Wettrüsten insbesondere zwischen der Nato, Russland und China". Das 100-Milliarden-Euro-Programm für die Bundeswehr wird erneut verurteilt, Waffenlieferungen an die Ukraine werden abgelehnt. Quelle: dpa