: Berlin und Paris: Streitthemen belasten EU

20.10.2022 | 15:43 Uhr
Es ist "nicht gut für Europa", wenn Deutschland "sich isoliert" - Frankreichs Präsident Macron kritisiert offen den Kurs von Kanzler Scholz. Zwischen Paris und Berlin kriselt es.
Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ist auf einem Tiefpunkt. (Archivbild)Quelle: AP
Es wäre ein hübscher Rahmen gewesen, das Schloss von Fontainebleau mit seinem wunderbaren Park in Herbstfarben: Doch eine Woche vor dem in der Nähe von Paris geplanten Treffen der deutschen und französischen Regierungsmitglieder - und am Vortag des EU-Gipfels - wurde es abgesagt. Dabei gaben beide Seiten überraschend offen zu, dass die Verschiebung des deutsch-französischen Ministerrats auch mit inhaltlichen Differenzen zu tun hat.

Tiefpunkt im deutsch-französischen Verhältnis

"Mein Wunsch ist es immer, die europäische Einheit zu bewahren, und auch die Freundschaft und das Bündnis zwischen Deutschland und Frankreich", betonte Macron am Donnerstag in Brüssel. Er traf sich vor Beginn des EU-Gipfels eine halbe Stunde mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Danach verkündete er, es sei "nicht gut für Europa", wenn Deutschland "sich isoliert".
Die kurzfristige Absage des Ministertreffens in Fontainebleau am Mittwoch war ein Eingeständnis, dass das deutsch-französische Verhältnis einen Tiefpunkt erreicht hat.
"Dass in diesen kritischen Zeiten ausgerechnet Deutschland und Frankreich nicht zusammenfinden, ist besorgniserregend für die ganze EU", meint Marc Berthold, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Paris. "Das ist genau das Szenario, das Wladimir Putin sich wünscht", kommentierte die französische Zeitung "Les Echos".

Paris und Berlin: Viele strittige Themen

Die Liste der deutsch-französischen Streitthemen ist lang -und sie birgt genug Zündstoff, um sich auf die gesamte EU auszuwirken. So wirft Frankreich Deutschland in der Energiekrise vor, mit seiner Wirtschaftskraft auf EU-Ebene für Wettbewerbsverzerrungen zu sorgen. Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel geht es daher auch um gemeinsame Gas-Einkäufe, die Deutschland mittlerweile ausdrücklich unterstützt.
Auch wenn beide Seiten zugesagt haben, sich im kommenden Winter gegenseitig mit Strom und Gas auszuhelfen, herrscht eine gewisse Häme mit Blick auf die jeweils andere Energiepolitik. Aus deutscher Sicht zahlt Frankreich gerade den Preis dafür, dass es allzu sehr auf Atomkraft gesetzt hat und nun viele Reaktoren gleichzeitig stillstehen. Frankreich wirft Deutschland hingegen vor, zu lange auf billiges, russisches Gas gesetzt zu haben und nun Kohlekraftwerke laufen lassen zu müssen, wodurch zu viel CO2 ausgestoßen wird.

Pipeline-Streit über Leitung aus Spanien

Unstimmigkeit herrscht auch beim Bau einer Pipeline von Spanien nach Frankreich. Dadurch könnte zunächst Gas und später auch Wasserstoff nach Frankreich fließen - und von dort weiter nach Deutschland. Das Projekt war 2019 wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit und Umweltbedenken gestoppt worden.
Frankreich hat wenig Interesse daran, dass Deutschland Gas oder Wasserstoff aus Spanien beziehen könnte, da es beides auch selber liefern könnte. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bekräftigt jedoch das deutsche Interesse am Bau der Leitung und nennt sie ein "Zukunftsprojekt".
Der jüngste Affront war aus französischer Sicht der Vorschlag von Scholz, eine europäische Luftverteidigung aufzubauen. Daran wollen sich nun 15 Staaten beteiligen, nicht aber Frankreich, das eine Lösung mit Italien entwickelt.

Scholz gegen Gaspreisdeckel - aber für gemeinsame EU-Gaseinkäufe

Kanzler Scholz verteidigte unterdessen die deutsche Haltung im Streit um hohe Energiepreise. "Es ist ganz klar, dass Deutschland sehr solidarisch gehandelt hat", sagte er bei seinem Eintreffen zum EU-Gipfel in Brüssel. Die Bundesregierung entlaste die Bürgerinnen und Bürger, sagte er unter Anspielung auf den deutschen "Abwehrschirm" von bis zu 200 Milliarden Euro. Das sei "genau das Gleiche", was viele andere Länder machten, explizit nannte er Frankreich, Italien und Spanien.
Zugleich erteilte Scholz einem europäischen Gaspreisdeckel erneut eine Absage. Offen zeigte sich der Kanzler dagegen für gemeinsame Gaseinkäufe der Mitgliedstaaten. Es sei wichtig, dass die EU ihre Strategien koordiniere, wie die Gasspeicher im kommenden Jahr gefüllt werden.
Eine Mehrheit der EU-Staaten drängt auf einen gemeinsamen Höchstpreis für Gas. Einige Länder um Deutschland, Dänemark und die Niederlande lehnen dies ab, weil sie Versorgungsprobleme fürchten, wenn Anbieter wie die USA oder Norwegen ihr Gas dann nach Asien verkaufen. Laut Diplomaten werden langwierige Diskussionen erwartet.
Quelle: AFP

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