: Mariupol: Zivilisten aus Stahlwerk evakuiert
06.05.2022 | 23:22 Uhr
Mehrere Zivilisten werden aus Stahlwerk in Mariupol gerettet, Selenskyj lädt Scholz ein, Biden sagt Kiew weitere Militärhilfen zu. Die Lage an Tag 72 des Ukraine-Kriegs.Das Wichtigste in Kürze
- Präsident Selenskyj lädt Kanzler Scholz für 9. Mai ein
- Mehrere Zivilisten können Stahlwerk in Mariupol verlassen
- Russland schließt Atomwaffen-Einsatz vorerst aus
- Deutschland liefert Ukraine sieben Panzerhaubitzen
Anmerkung der Redaktion
Angaben zum Verlauf des Krieges oder zu Opferzahlen durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Seite können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Wir fassen für Sie im Folgenden die wichtigsten Entwicklungen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine zusammen. Weitere News-Updates zur Lage und zu Reaktionen erhalten Sie jederzeit auch in unserem Liveblog zu Russlands Angriff auf die Ukraine.
Die Lage an Tag 72 im Ukraine-Krieg:
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Bundeskanzler Olaf Scholz für den 9. Mai zu einem Besuch in Kiew eingeladen. Zwischen Kiew und Berlin hatte es Verstimmungen gegeben, weil die Ukraine einen Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier abgelehnt hatte. Bei einem Telefonat am Donnerstag räumten Steinmeier und Selenskyj die Irritationen aus.
- Außerdem hat Bundesfinanzminister Christian Lindner seinem ukrainischen Amtskollegen nach eigenen Angaben vorgeschlagen, in die Ukraine zu reisen.
- Russlands Außenministerium hat Spekulationen über einen möglichen Atomwaffen-Einsatz in der Ukraine zurückgewiesen. Für einen solchen Einsatz gebe es klare Richtlinien in der russischen Atomdoktrin, betonte Ministeriumssprecher Alexej Saizew laut der Nachrichtenagentur Interfax. "Sie sind nicht anwendbar für die Verwirklichung der Ziele, die im Rahmen der militärischen Spezialoperation in der Ukraine, gesetzt wurden", fügte er hinzu. Die russische Atomdoktrin sieht einen Einsatz der Atomwaffen nur bei einer Gefährdung der Existenz des Landes selbst vor.
- Das russische Militär hat nach eigenen Angaben ein großes Munitionsdepot in der ukrainischen Großstadt Kramatorsk im Gebiet Donezk zerstört. "Mit luftbasierten Hochpräzisionsraketen wurde ein großes Munitionslager der ukrainischen Streitkräfte vernichtet, das auf dem Territorium der Fabrik Energomaschstal in der Stadt Kramatorsk angelegt war", sagt ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums.
- Präsident Selenskyj hält an seiner Idee für eine Art Marshall-Plan für die Ukraine nach dem Krieg fest. Die in Warschau zugesagten Milliarden einer Geberkonferenz seien wichtig, aber "nur ein Teil dessen, was wirklich notwendig ist, um das normale Leben in dem gesamten Gebiet wiederherzustellen, in das Russland den Krieg gebracht hat".
- Die russische Armee hat in ihrem Krieg gegen die Ukraine nach den Worten von Selenskyj bisher 2.014 Raketen gegen diverse Ziele eingesetzt. Darüber hinaus seien seit Beginn der Invasion der russischen Armee am 24. Februar bereits 2.682 Luftangriffe registriert worden.
- Geheimdienstinformationen der USA haben Medienberichten zufolge dem ukrainischen Militär dabei geholfen, das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte "Moskwa" zu versenken. Die US-Regierung habe aber keine Kenntnis über die Pläne der Ukraine gehabt, berichteten mehrere US-Medien. Die USA hätten das Schiff auf Nachfrage des ukrainischen Militärs als "Moskwa" identifiziert und bei der Lokalisierung geholfen, berichtete der Sender "NBC News". Das Weiße Haus wertet Berichte über die Rolle von US-Geheimdienstinformationen im Ukraine-Krieg jedoch als überzogen.
Die Situation in den ukrainischen Städten:
- In der ukrainischen Hafenstadt Mariupol haben mehrere Zivilisten das Stahlwerk verlassen. "Heute konnten wir 50 Frauen, Kinder und ältere Menschen aus dem Azov-Stahlwerk herausholen", erklärte die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk im Messengerdienst Telegram. Russische Agenturen berichteten, Dutzende Zivilisten seien gerettet worden. Am Samstagmorgen soll die Aktion fortgesetzt werden.
- Zuvor hatten ukrainische Kämpfer Russland einen erneuten Bruch der Waffenruhe rund um das belagerte Stahlwerk in Mariupol vorgeworfen. Dabei sei ein Auto, mit dem eigentlich Zivilisten hätten evakuiert werden sollen, mit einer Panzerabwehrrakete beschossen worden, teilten die Kämpfer des Nationalgarderegiments "Asow" mit. Einer ihrer Soldaten sei getötet und sechs weitere seien verletzt worden.
Wie zuverlässig sind Angaben aus dem Ukraine-Krieg?
Viele Informationen, die uns aus dem Ukraine-Krieg erreichen, kommen von offiziellen russischen oder ukrainischen Stellen - also von den Konfliktparteien selbst. Solche Informationen sind deshalb nicht notwendigerweise falsch, aber zunächst nicht von unabhängigen Stellen überprüft. Eine solche Überprüfung ist wegen des Kriegsgeschehens oft nicht oder zumindest nicht unmittelbar möglich. Das ZDF trägt dieser Situation Rechnung, indem es Quellen nennt und Unsicherheiten sprachlich deutlich macht.
Zudem greifen die Informationsangebote des ZDF in ihrer Berichterstattung auf viele weitere Quellen zurück: Sie berichten mit Reportern von vor Ort, befragen Experten oder verweisen auf Recherchen anderer Medien. Zudem verifiziert ein Faktencheck-Team kursierende Aufnahmen und Informationen.
Warum werden dennoch Aussagen der Konfliktparteien zitiert?
Das ZDF ist in seiner Berichterstattung dem Grundsatz der Ausgewogenheit verpflichtet. Dazu gehört, grundsätzlich beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Gleichzeitig sehen wir es als unsere Aufgabe an, Aussagen auf Grundlage der vorliegenden Informationen einzuordnen und darüber hinaus - beispielsweise in Faktenchecks - Propaganda auch als solche zu entlarven und kenntlich zu machen.
Warum ist häufig von "mutmaßlich" die Rede?
Die Sorgfalt und Ausgewogenheit, denen das ZDF verpflichtet ist, beinhalten auch, sachliche Unwägbarkeiten transparent zu machen und Vorverurteilungen zu vermeiden. Ist ein Sachverhalt nicht eindeutig bewiesen, muss diese Unsicherheit offengelegt werden. Das geschieht in der Regel durch Formulierungen wie "mutmaßlich" oder "offenbar". Damit wird klar, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon ausgegangen wird, dass sich ein Ereignis so zugetragen hat wie dargestellt, die letzte Gewissheit allerdings (noch) fehlt.
Das gilt zum Beispiel auch bei der Berichterstattung über Gerichtsprozesse: Eine Person gilt so lange als "mutmaßlicher Täter", bis ein Gericht ein rechtskräftiges Urteil gesprochen hat.
Reaktionen und Folgen des russischen Angriffs:
- US-Präsident Joe Biden hat weitere Militärhilfe für die Ukraine zugesagt. Mit einem zusätzlichen Paket sollen dem Land weitere Artilleriemunition, Radargeräte und andere Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden, sagte Biden. Er forderte den US-Kongress auf, weitere angeforderte Milliardenhilfen freizugeben.
Seit Kriegsbeginn sagten die USA der Ukraine Waffen und Munition im Wert von mehr als 3,7 Milliarden US-Dollar zu oder lieferten auch schon. Biden hat den US-Kongress außerdem um weitere 33 Milliarden US-Dollar für Militärhilfe und humanitäre Unterstützung gebeten.
- Der UN-Sicherheitsrat hat sich mehr als zwei Monate nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erstmals auf eine gemeinsame Stellungnahme geeinigt. Das mächtigste UN-Gremium erklärte einstimmig - also auch mit Zustimmung von Aggressor Russland -, man sei "zutiefst besorgt" über den Konflikt in der Ukraine. Gleichzeitig begrüßte der Sicherheitsrat die Vermittlungsbemühungen von UN-Generalsekretär António Guterres.
- Die Außenminister der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind in die Ukraine gereist. "Wir sind hier, um unsere Solidarität zu bekräftigen und über weitere Unterstützung zu sprechen", schrieb der lettische Außenminister Edgars Rinkevics auf Twitter über ein gemeinsames Bild mit seinen beiden Amtskollegen Eva-Maria Liimets (Estland) und Gabrielius Landsbergis (Litauen). Auf der vorab nicht angekündigten Reise sollen die Chefdiplomaten der drei EU- und Nato-Länder nach Regierungsangaben aus Tallinn mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba zusammenkommen.
- Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International können russischen Truppen in der Ukraine zahlreiche Kriegsverbrechen nachgewiesen werden. Für die in der Region nordwestlich von Kiew begangenen Verbrechen sollten alle Verantwortlichen der russischen Streitkräfte vor Gericht gestellt werden, forderte die Organisation. In dem Bericht "He's Not Coming Back: War Crimes in Northwest Areas of Kyiv Oblast" werden demnach rechtswidrige Luftangriffe auf Borodjanka sowie außergerichtliche Hinrichtungen in anderen Städten und Dörfern, darunter Butscha, Andrijiwka, Zdvyzhivka und Worsel dokumentiert.
- Die EU-Staaten müssen sich nach den Worten von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht nur aus der Abhängigkeit von russischen Öl-, sondern auch Gaslieferungen lösen. "Russland ist kein zuverlässiger Partner mehr", sagte sie am Freitag in Frankfurt beim Kongress der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)" zum Thema "Die Zukunft Europas".
- Deutschland wird der Ukraine sieben Panzerhaubitzen 2000 liefern. Dazu sei eine Übereinkunft erzielt worden, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in Sliac in der Slowakei. Die Waffensysteme sollten aus einer laufenden Instandsetzung kommen und damit der Bundeswehr nicht unmittelbar fehlen. Zu den Haubitzen solle eine Ausbildung angeboten werden.
Das war an Tag 71 passiert:
Außenministerin Baerbock reist demnächst nach Kiew. Putins belarussischer Verbündeter Lukaschenko erklärt, er habe mit einem schnelleren Sieg Russlands gerechnet. Die Lage an Tag 71 im Ukraine-Krieg:
Quelle: dpa, Reuters, AP, AFP, epd, ZDF