: Staudamm Nova Kakhovka womöglich gefährdet

von Christian Mölling und András Rácz
21.10.2022 | 18:18 Uhr
Russland evakuiert Cherson - der Kreml könnte dort eine Staudamm-Sprengung vorbereiten. Zudem droht neue Gefahr für die Ukraine durch weitere Waffenlieferungen des Irans.
Ein russischer Soldat patrouilliert im Wasserkraftwerk Kachowka (Archivbild)Quelle: dpa
Die russischen Besatzungsbehörden in Cherson befürchten einen bevorstehenden ukrainischen Angriff auf die westlichen Teile der Region, die am rechten Ufer des Flusses Dnipro liegen. Aus diesem Grund wurde die Evakuierung der Verwaltung und von Teilen der Bevölkerung eingeleitet.
Es gibt jedoch Berichte, dass Russland die Zivilisten als Schutzschild nutzt, um in ihrem Strom Nachschub nach Cherson zu transportieren, ohne, dass die Ukraine diese angreifen kann.

Russische Gerüchte um angeblich geplante Staudamm-Zerstörung

Parallel dazu verbreitete Moskau das Narrativ, dass die ukrainische Armee beabsichtigt den Staudamm und das Kraftwerk von Nowa Kachowka zu sprengen. Allerdings handelt es sich hierbei wohl aller Wahrscheinlichkeit nach um ein gezielt gestreutes Gerücht, um eine "false flag"-Aktion vorzubereiten: Also, dass Russland den Damm zerstört und die Schuld dann der Ukraine gibt.
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor dieser Möglichkeit gewarnt. Sollte der Damm gesprengt oder beschädigt werden, würde die anschließende Flut Dutzende von Siedlungen in den flussabwärts gelegenen Gebieten zerstören, darunter auch große Teile der Stadt Cherson. Angesichts der zu erwartenden katastrophalen Zerstörungen ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Ukraine das Risiko eingeht, den Damm zu beschädigen, geschweige denn ihn zu sprengen.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.

Russisches Kriegsrecht gibt der Besatzung mehr Möglichkeiten

Außerdem hätte die Ukraine, wenn sie den Damm hätte sprengen wollen, dies im letzten halben Jahr jederzeit tun können. Die russischen Streitkräfte könnten die aus einer Sprengung resultierende Überschwemmung leicht nutzen, um ihren Rückzug aus dem westlichen Teil der Region Cherson zu decken.
Seit dem 20. Oktober hat Russland in den vier besetzten Regionen der Ukraine, das heißt in den Regionen Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk, das Kriegsrecht verhängt. Es bleibt abzuwarten, wie die Besatzungsbehörden die durch das Kriegsrecht gewährten zusätzlichen Befugnisse nutzen werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie versuchen werden, die örtliche ukrainische männliche Bevölkerung für Arbeits- oder Kampfeinsätze gegen die ukrainische Armee zu mobilisieren.

Russische Truppen in Belarus: Operationsbasis aber keine weitere Front

Russland hat seine Truppen in Belarus weiter aufgestockt. Derzeit reichen Größe und Zusammensetzung der russischen Streitkräfte in Belarus nicht aus, um eine neue Front gegen die Ukraine zu eröffnen. Das russische Kontingent ist jedoch bereits stark genug, um erhebliche ukrainische Kräfte entlang der belarussischen Grenze zu binden und so zu verhindern, dass Kiew diese Einheiten an anderen Fronten einsetzt.
Gleichzeitig nutzen die russischen Streitkräfte Belarus zunehmend als Ausgangsbasis für Luft- und Raketenangriffe auf ukrainische Ziele.

Iranische Drohnen gegen zivile Infrastruktur

Russland setzte seine groß angelegte Kampagne zur Zerstörung der kritischen zivilen Infrastruktur der Ukraine fort. Mehrere Kraftwerke, Umspannwerke und Transformatoren wurden im ganzen Land getroffen.
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Selenskyi sind bereits 40 Prozent der ukrainischen Kraftwerke beschädigt worden. Die Zerstörung der Infrastruktur ist so gravierend, dass der Stromverbrauch der Bevölkerung in Kiew und in anderen Großstädten eingeschränkt werden musste.

Iranische Raketen können von Belarus aus fast gesamte Ukraine erreichen

Es ist bekannt geworden, dass der Iran Russland weitere Selbstmorddrohnen sowie ballistischen Raketen liefern wird. Bei Letzteren handelt es sich um zwei Typen Boden-Boden-Raketen: die Fateh-110 und die Zolfaghar, die eine Reichweite von circa 300 beziehungsweise 700 Kilometer haben.
Je nach gelieferter Variante hat die Fateh-110 einen Sprengkopf von 450 oder 650 Kilogramm, während die Zolfaghar eine Ladung von 580 Kilogramm trägt. Beide Raketentypen sind hochpräzise und dürften aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit die ukrainische Luftabwehr vor ernsthafte Probleme stellen.
Wenn sie nicht nur von Russland, sondern auch von Belarus aus abgefeuert werden, können sie fast das gesamte ukrainische Staatsgebiet abdecken. Wenn Russland also beschließt, seine Attacken gegen die kritische zivile Infrastruktur der Ukraine fortzusetzen, könnten die iranischen Raketen die Angriffe noch deutlich zerstörerischer machen.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

Thema

Aktuelle Nachrichten zur Ukraine