: Russland: Liste mysteriöser Todesfälle wächst
von Oliver Klein, Nils Metzger, Jan Schneider
22.09.2022 | 21:07 UhrDie Serie von mysteriösen Todesfällen bei einflussreichen Persönlichkeiten der politischen und wirtschaftlichen Elite Russlands scheint kein Ende zu nehmen.
Nun ist ein weiterer hochrangiger Beamter unerklärlicherweise in den Tod gestürzt, diesmal der frühere Leiter des Moskauer Luftfahrtinstituts (MAI), Anatoly Gerashchenko. Er sei Berichten zufolge am Hauptsitz des Instituts in der russischen Hauptstadt ausgerutscht und mehrere Treppen hinuntergestürzt.
Das MAI ist eine der führenden Forschungseinrichtungen Russlands. Es ist für die Entwicklung der Luft- und Raumfahrttechnologie verantwortlich und damit auch eng mit Putins Verteidigungsministerium verbunden ist.
Nicht der erste Todesfall in diesem Monat
Erst vor einer Woche starb der Chefredakteur der russischen Boulevardzeitung "Komsomolskaja Prawda", Wladimir Sungorkin. Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass sei die Todesursache ein Schlaganfall gewesen. Er wurde 68 Jahre alt.
Wladimir Sungorkin war einer der Top-Propagandisten Russlands, seine Zeitung die auflagenstärkste des Landes. Die "Komsomolskaja Prawda" gilt als Sprachrohr des Kremls, wird gar als "Lieblingszeitung Putins" bezeichnet. Laut dem Agenturbericht war Sungorkin gerade auf einer Expeditionsreise in einem Dorf namens Mel'nichnoe, gut 500 Kilometer nördlich von Wladiwostok.
Im Umkreis von 100 Kilometern um das Dorf herum gibt es nichts als Wald. In einer solchen Gegend ohne ärztliche Versorgung können ein Schlaganfall oder Herzinfarkt schnell ein Todesurteil sein.
In Wladiwostok von einem Schnellboot gestürzt
Seit Monaten schon häufen sich unerwartete und teils äußerst mysteriöse Todesfälle unter einflussreichen Vertretern der russischen Elite - Sungorkin ist bereits der dritte allein in diesem Monat. Erst Anfang der Woche wurde bekannt, dass Iwan Peschorin ums Leben gekommen ist.
Peschorin war Chef der Russischen Gesellschaft für die Entwicklung des Fernen Ostens und der Arktis und so unter anderem für die Erschließung von Bodenschätzen in der Arktis verantwortlich. Er stürzte Medienberichten zufolge am Samstag von seiner fahrenden Privatjacht nahe der Russki-Insel bei Wladiwostok.
Ebenfalls unter seltsamen Umständen starb Anfang September Rawil Maganow, Vorstandsvorsitzender beim Öl-Giganten Lukoil: Er stürzte aus einem Krankenhausfenster. Russische Medien berichten, er sei beim Rauchen gestolpert. Lukoil hatte sich im März öffentlich für ein Ende des Krieges in der Ukraine ausgesprochen.
Auch bei einer Reihe weiterer hochrangiger russischer Manager sind die Todesumstände bemerkenswert. ZDFheute mit einem Überblick:
Tod beim Schamanen - gescheiterter "Heilversuch"?
- Am 14. August wird die Leiche von Dan Rapoport nach einem Sturz vor seiner Washingtoner Wohnung gefunden. Der lettisch-amerikanische Unternehmer hat sein Vermögen in Russland gemacht, wurde dann jedoch zu einem bekannten Putin-Kritiker.
- Am 8. Mai wird Alexander Subbotin, Milliardär und Ex-Vorstand bei Lukoil, tot in der Moskauer Wohnung eines "Schamanen" gefunden. Angeblich nach einem gescheiterten Heilversuch wegen Alkoholsucht. Diese Details aus der russischen Presse wurden nicht offiziell bestätigt.
- Am 2. Mai stürzt der Chef des Gazprom-Skiressorts Krasnaja Poljana, Andrej Krukowski, bei einer Bergwanderung nahe Sotschi tödlich. Im Zuge der Olympischen Winterspiele 2014 waren Milliardensummen in den Ort geflossen.
Russische Elite: Etliche angebliche Suizide
- Am 19. April wird Sergej Protosenja, Manager beim russischen Energieunternehmen Novatek, erhängt im Garten seines Ferienanwesens im spanischen Lloret de Mar gefunden, seine Frau und Tochter mit tödlichen Stichverletzungen. Die Ermittler gehen von einem erweiterten Suizid aus.
- Am 18. April wird die Leiche von Wladislaw Avayew gefunden. Bis kurz vor seinem Tod war er Vizepräsident der Gazprombank. Avayew, seine Frau und seine 13-jährige Tochter wurden mit Schusswunden in einem Moskauer Apartment entdeckt. Auch hier gehen die Ermittler von erweiterten Suizid aus, Angehörige zweifeln an der Theorie.
- Am 23. März wird der Besitzer eines russischen Arzneimittelunternehmens tot aufgefunden. Die offizielle Version auch hier: Wassili Melnikow habe zuerst seine Frau und seine beiden Söhne, dann sich selbst erstochen.

Wie Deutschland bei der Beschlagnahmung von Vermögen russischer Oligarchen versagt.
16.08.2022 | 01:56 min- Am 28. Februar wird der russische Tycoon Mikhail Watford erhängt in der Garage seiner Villa im britischen Surrey aufgefunden. Der russische Oligarch hatte sein Vermögen mit Öl und Gas gemacht.
- Am 25. Februar wird die Leiche von Alexander Tjuljakow gefunden. Er war stellvertretender Generaldirektor von Gazprom. Medienberichten zufolge hatte er sich erhängt.
- Am 30. Januar, noch vor Kriegsbeginn, wurde der Gazprom-Manager Leonid Shulman tot im Badezimmer eines Landhauses aufgefunden. Die Polizei geht auch hier von Selbstmord aus.
Berichterstattung über Suizid
Normalerweise berichten wir nicht über Suizid. Dies gibt der Pressekodex vor. Dort heißt es: "Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände."
Ausnahmen sind zu rechtfertigen, wenn es sich um Vorfälle der Zeitgeschichte oder von erhöhtem öffentlichen Interesse handelt.
Zudem meiden wir Berichte über Selbsttötungen, da hierdurch die Nachahmerquote steigen könnte.
Sollten Sie von Suizidgedanken betroffen sein, so wenden Sie sich bitte an professionelle Helfer. Diese finden Sie jederzeit bei der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222.
Widerstand gegen Putin in Russland: Ein Lokalpolitiker erzählt bei ZDFheute live, warum er den Kreml-Chef öffentlich zum Rücktritt auffordert: