Interview

: Patriot-Flugabwehr: Game-Changer für Ukraine?

22.12.2022 | 08:31 Uhr
Die geplante Patriot-Lieferung an die Ukraine ist allein noch kein Game-Changer, stellt Militärökonom Keupp bei ZDFheute live klar. In dem Milliarden-Paket stecke aber noch mehr.
Die USA liefern das Patriot-Flugabwehrsystem an die Ukraine. Könnte das eine Wende im Ukraine-Krieg bringen? Militärökonom Marcus Keupp mit einer Einschätzung bei ZDFheute live (Sehen Sie oben das komplette Interview im Video):

Wie wichtig ist das Patriot-Flugabwehrsystem für die Ukraine?

"Es ist natürlich ein symbolischer Akt, weil Patriots mit Abstand eines der leistungsfähigsten Abwehrsysteme sind", stellt Militärökonom Keupp klar. Sie dienten beispielsweise der Abwehr von Marschflugkörpern und Drohnen. "Das zeigt, dass weder die Ukraine noch die Unterstützer der Ukraine sich abfinden werden mit der verbrecherischen russischen Kriegsführung."
Die Sicherheit Europas hänge von den USA ab, so Keupp. Die USA hielten Europa militärisch zusammen. "Diese Gleichung, dass die USA letztlich das militärische Rückgrat für Europa sind, die gilt immer noch. Und die gilt gerade wieder heute."
Der Support der USA ist entscheidend für die Durchhaltefähigkeit der Ukraine.
Marcus Keupp, Militärökonom

Ist das Patriot-System für den aktuellen Kriegsverlauf ein Game-Changer?

Das Patriot-System verbessere die Verteidigung, vor allem der zivilen Infrastruktur, macht Keupp klar.
Es [Patriot] ist sicher eine Ergänzung der derzeitigen ukrainischen Luftabwehr, aber ein Game-Changer ist es in dem Sinne nicht.
Marcus Keupp, Militärökonom
Es sei aktuell eher ein "symbolischer Akt", der klar zeige, dass die USA und ihre westlichen Partner die Ukraine weiter unterstützen, so Keupp.
"Man muss aber auch sagen, dieses Paket enthält natürlich mehr als nur das Patriot-System", stellt der Militärökonom fest. Es beinhalte vor allem Artillerie und Munition. Dafür würden die westlichen Rüstungsindustrien angeworfen, um nachzuproduzieren. Das sei ein Effekt, den man langfristig nicht unterschätzen dürfe, so Keupp.
Bislang führe Russland den Krieg aus seinen Reserven. "Und die große Frage, die sich ab nächstem Jahr stellen wird, ist: 'Wie leistungsfähig sind die jeweiligen Rüstungsindustrien?' Das heißt, was passiert, wenn die Lager einmal leer sind? Dann stellt sich nämlich die Frage, wer kann logistisch länger durchhalten und wer kann mehr und besser produzieren?" 

Was wäre ein Game-Changer im Ukraine-Krieg?

"Wenn die Ukraine die Russen mit Gewalt aus ihrem Staatsgebiet herauswerfen will, dann braucht sie Offensivmittel und das primäre Offensivmittel sind nun mal Kampfpanzer. Es gibt weder technische noch politische Gründe, diese Kampfpanzer nicht zu liefern."

Dr. Marcus Keupp

Quelle: ZDF
Marcus Keupp arbeitet als Militärökonom an der Militärakademie der ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich). Dort werden die Berufsoffiziere der Schweizer Armee aus- und weitergebildet. Die ETH Zürich ist ein international anerkanntes Kompetenzzentrum für Militärwissenschaften.

Keupp weiter: "Wir kommen in eine Phase hinein, in der die Ukraine die Initiative hat und sie ausnutzen muss, spätestens im Frühjahr 2023. Denn sie hat nicht so viele Zeitfenster, in denen sie diese Offensive führen kann. Und dafür braucht sie Offensivmittel."

Wie könnte eine neue Weltordnung aussehen?

"Wir sehen die kommende Weltordnung des 21. Jahrhunderts hier herauf ziehen", macht Militärökonom Keupp klar.
Ich persönlich rechne damit, dass wir nach diesem Krieg sicherlich kein freundliches Russland bekommen werden.
Marcus Keupp, Militärökonom
Keupp geht davon aus: "Es wird ein ultra-nationalistisches Russland sein, das sich im Wesentlichen von der Idee europäischer Staatlichkeit, von der Idee des Völkerrechts verabschieden wird."
"Es wird ein Staat sein, der sich primär nach Osten ausrichtet. China wird das Ganze pragmatisch sehen. Das heißt, sie nehmen gerne die Energieressourcen, werden sich ansonsten aber nicht auf diese russischen, inneren politischen Spielchen einlassen."
"Und der Westen wird natürlich gezwungen sein, an der polnisch-weißrussischen und der ukrainisch-russischen und weißrussischen Grenze eine Abwehrfront zu errichten - das heißt einen neuen Eisernern Vorhang mit befestigten Grenzen. Ich denke, das wird die Realität für einen Großteil dieses Jahrhunderts bleiben."
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Quelle: ZDF

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