: US-Leaks: So hoch sollen Kiews Verluste sein

von Nils Metzger
12.04.2023 | 17:38 Uhr
Geleakte Geheimpapiere geben seltene Einblicke in die Zahlen toter und verwundeter Soldaten im Ukraine-Krieg. Für die ukrainische Flugabwehr haben die USA eine düstere Prognose.
Bachmut: Ukrainische Soldaten feuern auf russische Stellungen (Archiv)Quelle: dpa
Wie viele ukrainische Soldatinnen und Soldaten sind bei der Verteidigung ihres Landes gegen den russischen Angriff gestorben? Auf diese zentrale Frage gab es seit Beginn des Ukraine-Krieges lange keine zuverlässige Antwort. Kiew wie auch Verbündete im Ausland schweigen; Moskau soll im Unklaren gelassen werden.
Doch nun geben geleakte US-Geheimdienstpapiere der Öffentlichkeit Einblick in diese sensiblen Informationen. Dutzende abfotografierte Dokumente wurden schon vor Wochen in Gaming-Foren im Netz veröffentlicht und verbreiten sich seitdem in den sozialen Medien.
Das Pentagon hat die Echtheit der Papiere bestätigt, warnt aber auch vor manipulierten Versionen. US-Behörden suchen nun intensiv nach der Quelle der teils als "streng geheim" eingestuften Papiere, die vom Militärgeheimdienst "Defense Intelligence Agency" zusammengestellt wurden.

Wie viele Soldaten der Ukraine wurden getötet?

Laut einer ZDFheute vorliegenden geleakten Übersicht vom 1. März hat die Ukraine zwischen 16.000 und 17.500 getötete Soldatinnen und Soldaten zu beklagen. In einem zweiten, nicht datierten Dokument wird die Zahl der ukrainischen Gefallenen mit 15.500 bis 17.000 angegeben. Dem gegenüber stehen die laut den US-Angaben deutlich höheren russischen Verluste von 35.500 bis 43.000.
Russland:
  • Tote: 35.500 - 43.000
  • Verwundete: 154.000 - 180.000
  • Gesamt: 189.500 - 223.000
Ukraine:
  • Tote: 15.500 - 17.500
  • Verwundete: 109.000 - 113.500
  • Gesamt: 124.500 - 131.000
Diese Zahlen weichen nicht grundsätzlich von bisherigen Angaben von Expertinnen und Experten ab. US-Generalstabschef Mark Milley etwa hatte bei einem Deutschland-Besuch im November gesagt, dass beide Seiten mehr als 100.000 Tote und Verwundete verzeichnen.
Worin sich die Zahlen Russlands und der Ukraine jedoch deutlich unterscheiden, ist das mutmaßliche Verhältnis von Toten zu Verwundeten. Hier steht die Ukraine deutlich besser da, was möglicherweise durch eine bessere medizinische Versorgung der ukrainischen Streitkräfte erklärt werden kann. Möglich ist aber auch eine Untererfassung der russischen Verletzten-Zahlen.

Wie viele Panzer hat die Ukraine verloren?

Die geleakten Dokumente geben auch seltenen Einblick in die Materiallage der ukrainischen Streitkräfte nach über einem Jahr Krieg. Die US-Zahlen verdeutlichen, wie wichtig die Lieferungen der internationalen Unterstützer inzwischen für die Ukraine sind.
Von den 802 Kampfpanzern, die Kiew zum Zeitpunkt des Berichts ins Feld führte, stammten 433 aus Lieferungen internationaler Partner. Bei den Artilleriegeschützen waren es 794 von 2.331. Zerstört worden seien laut den Leaks bislang 468 ukrainische Kampfpanzer, 1.020 Schützen- und Radpanzer und 328 Artilleriegeschütze.
Laut dem Bericht seien 83 Prozent dieser ukrainischen Waffensysteme einsatzbereit, bei Russland liege dieser Wert lediglich bei 63 Prozent. Die weitere Durchhaltefähigkeit sowohl Russlands wie auch der Ukraine wird im Bericht als "moderat" beschrieben. "Die Ukraine hat die Integration (...) gelieferter westlicher Systeme erfolgreich demonstriert", so ein Fazit der US-Geheimdienste.
Lesen Sie hier, was bislang zur Herkunft der geheimen Papiere bekannt ist:

Schwindende Flugabwehr als Risiko für die Ukraine

In einem geleakten Dokument von Februar wird jedoch der Bereich Flugabwehr als Problem identifiziert. Konkret geht es um schwindende Bestände an Raketen für Flugabwehrsysteme vom Typ S-300 und Buk. Beide Systeme aus sowjetischer Entwicklung machten aktuell 89 Prozent der Flugabwehr mittlerer und höherer Reichweite der Ukraine aus.
Basierend auf dem aktuellen Verbrauch werden die Buk zum 31. März 2023 (…), die S-300 zum 2. Mai 2023 komplett erschöpft sein.
US-Geheimdienstprognose vom 23. Februar
Laut dem Geheimdienst-Bericht kann eine Folge davon sein, dass Russlands Bomberflotte künftig freier agieren und Ziele effektiver als bislang angreifen könne. 92 Prozent der russischen Kampfflugzeuge und -hubschrauber sind laut der Analyse weiterhin einsatzbereit.

Wie kommen die USA zu diesen Einschätzungen?

Die genaue Herkunft der Informationen ist in den Dokumenten nur selten angegeben. Auch in solch sensiblen Papieren schützen die Geheimdienste ihre Quellen. "Verlusteinschätzungen, die je nach Quelle schwanken, stammen von Offiziellen Russlands, Wagners und der Ukraine", heißt es. Bereits eine Angabe, auf welchem Weg eine bestimmte Information gesammelt wurde, kann Folgen haben.
Wegen Informationslücken, operativer Sicherheit und möglichem Bias ukrainischer Stellen habe man nur ein "geringes Vertrauen" in diese Verlustangaben. "Geringes Vertrauen" ist dabei ein feststehender Geheimdienst-Terminus, der die niedrigste Glaubwürdigkeitsstufe einer Information bezeichnet.

Wie sind die USA an der Kriegsführung beteiligt?

Dass Nato-Staaten für die Ukraine Informationen sammeln und aufbereiten, hatten Medien bereits vor Monaten berichtet. Die neuen Leaks bestätigen und konkretisiert diese Zusammenarbeit. Enthalten sind etwa mehrere US-Schadensberichte, wobei Ziele nach erfolgtem Luftangriff anhand von Satellitenaufnahmen begutachtet werden. "US-produziertes Ziel" steht in mehreren dieser Berichte.
Auch auf die Präsenz von ausländischen Spezialkräften in der Ukraine deuten die Papiere hin. 97 Angehörige von Spezialkräften, mutmaßlich 50 davon aus Großbritannien, sollen sich Stand 23. März in der Ukraine aufgehalten haben. Zu ihren Aufgaben machen die geleakten Dokumente keine Angabe.
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