: Migranten frieren immer noch im Wald

von Kinga Woloszyn-Kowanda
17.12.2022 | 21:20 Uhr
Seit 2021 dauert an der polnisch-belarussischen Grenze eine Migrationskrise an. Polen reagierte mit einem Zaunbau. Das erschwert den Grenzübertritt, löst aber das Problem nicht.
Migranten an der polnisch-belarussischen Grenze (Archivbild)Quelle: dpa
Trotz aller Hindernisse werden immer noch im Schnitt 1.000 versuchte Grenzübertritte pro Monat registriert. Die lokale Gemeinschaft bleibt gespalten. Während der Zaun für einige als Symbol der Sicherheit gilt, halten ihn andere für eine Scheinlösung.

Wetter lebensgefährlich für die Geflüchteten

Marta Kurzyniec lebt in Krynki, nah an der Grenze. Sie betreibt ein kleines Antiquariat und patrouilliert in der Gegend im Rahmen eines freiwilligen Notdiensts. Ihr Ziel: Migranten zu helfen, die sich im Wald verstecken - oft hungrig, unterkühlt, nass.
Dieses Land gehörte vor einem halben Jahrhundert meiner Familie, und ich kenne es gut. Das Gebiet hinter uns ist ein Feuchtgebiet. Es gibt nur eine einzige Straße, die zur Grenze führt. Hier gibt es Sümpfe. Wenn man diese Sümpfe betritt, ist das das Ende.
Marta Kurzyniec, lebt an der Grenze
Es ist der zweite Winter in dieser Krise. Das Überleben im Wald ist unter den derzeitigen Bedingungen sehr schwierig. Es liegt Schnee, es herrschen tiefe Minusgrade. Dies stellt eine große Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Menschen dar, die sich unter diesen Bedingungen im Wald aufhalten.

Der Grenzzaun an der polnisch-belarussischen Grenze soll illegale Grenzübertritte verhindern.

01.06.2022 | 02:27 min

Kontakt mit Helfern bei dem Wetter schwierig

Für die Flüchtlinge ist es schwieriger, mit den Aktivisten in Kontakt zu treten, weil es Probleme mit der Abdeckung des Mobilfunknetzes und der Kommunikation gibt. Die Helfer sind nicht immer in der Lage, die hilfsbedürftigen Gruppen zu erreichen, geschweige denn zu finden.
Auch Regina Skibińska ist Aktivistin und patrouilliert im Wald oft gemeinsam mit Marta. Sie lebt erst seit einem halben Jahr in der Gegend. Zusammen mit anderen sammelt sie alte Sachen, die Migranten hinterlassen, zum Beispiel Kleidung. So entsteht ein geheimes Magazin, wo Fundstücke repariert und dann wieder benutzt werden. Für andere, neue Menschen in Not.

Unterschiedliche Reaktionen auf Flüchtlinge

Wie verhalten sich die meisten Bewohner? Regina sieht die Sache differenziert.
Die Bewohner sind sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die helfen. Es gibt aber auch Leute, die sofort die Grenzbeamten anrufen.
Regina Skibińska, Aktivistin
Die meisten Menschen seien gegen die Flüchtlinge. Sie hätten Angst, dass eine andere Art von Gefahr kommen könnte - Angst vor einem Krieg, vor den belarussischen Geheimdiensten und Putin und davor, dass Lukaschenko mit den Flüchtlingen ein politisches Spiel treibt.
"Die meisten sind aber in der Lage, trotz ihrer Angst zu helfen. Es gibt Situationen, in denen sie unauffällig Essen im Stall zurücklassen. Sie tun es nicht direkt, aber sie geben Wasser oder Essen", erklärt Regina.

Grenzzaun als Zankapfel in der Bevölkerung

Für einige ist der Zaun unmenschlich, für andere die einzige Lösung in dieser dramatischen Situation. Marian Wiszniewski lebt in Teremiski bei Białowieża, direkt an der Grenze. Er verteidigt die Entscheidung den Zaun zu bauen.
Wenn ich wählen müsste, ob hier nachts, tagsüber, zu jeder Stunde völlig unbekannte Menschen kommen, derer ich mir nicht sicher bin, dann ziehe ich aufgrund meiner angeborenen Faulheit die selige Ruhe und Gewissheit vor.
Marian Wiszniewski, Anwohner
"Ich weiß, wer mein Nachbar ist und was ich zu erwarten habe. Aber diese Unsicherheit… . Ich verstehe nicht, was sie damit bezwecken, uns zu überschwemmen. Sie sind ungeladene Gäste. Denn schließlich könnten sie eine offizielle, legale Grenze überschreiten und hier einen Platz finden", erklärt Marian.

Grenzschutz verteidigt Pushbacks

Besonders umstritten ist die Strategie der Pushbacks, bei denen Migranten vom Grenzschutz gezwungen werden nach Belarus zurückzukehren. Viele Aktivisten betonen, dass diese Taktik äußerst brutal und menschenverachtend ist.
Diese Kritik wird vom polnischen Grenzschutz entschieden zurückgewiesen. Katarzyna Zdanowicz ist Pressesprecherin der Grenzschutzeinheit in der ostpolnischen Woiwodschaft Podlachien.
Wir handeln im Einklang mit den geltenden Rechtsvorschriften. Wenn diese Menschen internationalen Schutz beantragen, warten sie in Polen auf eine Entscheidung.
Katarzyna Zdanowicz, Grenzschutz
Diese Personen seien jedoch nicht an einem Schutz in Polen interessiert. "Sie wollen in den polnischen Systemen keine Rolle spielen. Sie wissen, dass sie in unser Land zurückgeschickt werden, wenn sie Polen in Richtung Deutschland verlassen, ohne auf die Entscheidung über ihre Anträge zu warten", betont Zdanowicz.
So war die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze Ende 2021:

Keine Lösung in Sicht

Eine Lösung der Krise ist nicht in Sicht. Für den belarussischen Diktator Aleksander Lukaschenko bleibt die Situation an der Grenze ein gutes Mittel, Polen und die ganze EU zu destabilisieren.
Und für viele Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, symbolisiert diese Grenze immer noch die Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie sind bereit, alles zu riskieren, inklusive ihr Leben. Ein Zaun wird sie kaum abschrecken.

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