FAQ
: Taktiken der Propaganda im Ukraine-Krieg
von Lukas Wagner
04.05.2022 | 10:32 UhrEgal, ob es um die Gräueltaten an Zivilisten in Butscha oder den Grund für die Invasion in die Ukraine geht, der Kreml kommuniziert alternative Erzählungen zur Faktenlage - mit Halbwahrheiten und falschen Informationen.
Prof. Florian Töpfl von der Universität Passau erforscht dieses Vorgehen der russischen Regierung schon seit rund zehn Jahren: "Man arbeitet durchweg mit Fälschungen, auf allen Ebenen und hat keine Bedenken, Falschinformationen zu verbreiten."
Wie das ZDF in seiner Berichterstattung zum Ukraine-Krieg damit umgeht, erklären wir hier:
Wie zuverlässig sind Angaben aus dem Ukraine-Krieg?
Viele Informationen, die uns aus dem Ukraine-Krieg erreichen, kommen von offiziellen russischen oder ukrainischen Stellen - also von den Konfliktparteien selbst. Solche Informationen sind deshalb nicht notwendigerweise falsch, aber zunächst nicht von unabhängigen Stellen überprüft. Eine solche Überprüfung ist wegen des Kriegsgeschehens oft nicht oder zumindest nicht unmittelbar möglich. Das ZDF trägt dieser Situation Rechnung, indem es Quellen nennt und Unsicherheiten sprachlich deutlich macht.
Zudem greifen die Informationsangebote des ZDF in ihrer Berichterstattung auf viele weitere Quellen zurück: Sie berichten mit Reportern von vor Ort, befragen Experten oder verweisen auf Recherchen anderer Medien. Zudem verifiziert ein Faktencheck-Team kursierende Aufnahmen und Informationen.
Warum werden dennoch Aussagen der Konfliktparteien zitiert?
Das ZDF ist in seiner Berichterstattung dem Grundsatz der Ausgewogenheit verpflichtet. Dazu gehört, grundsätzlich beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Gleichzeitig sehen wir es als unsere Aufgabe an, Aussagen auf Grundlage der vorliegenden Informationen einzuordnen und darüber hinaus - beispielsweise in Faktenchecks - Propaganda auch als solche zu entlarven und kenntlich zu machen.
Warum ist häufig von "mutmaßlich" die Rede?
Die Sorgfalt und Ausgewogenheit, denen das ZDF verpflichtet ist, beinhalten auch, sachliche Unwägbarkeiten transparent zu machen und Vorverurteilungen zu vermeiden. Ist ein Sachverhalt nicht eindeutig bewiesen, muss diese Unsicherheit offengelegt werden. Das geschieht in der Regel durch Formulierungen wie "mutmaßlich" oder "offenbar". Damit wird klar, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon ausgegangen wird, dass sich ein Ereignis so zugetragen hat wie dargestellt, die letzte Gewissheit allerdings (noch) fehlt.
Das gilt zum Beispiel auch bei der Berichterstattung über Gerichtsprozesse: Eine Person gilt so lange als "mutmaßlicher Täter", bis ein Gericht ein rechtskräftiges Urteil gesprochen hat.
Das gilt nicht nur für staatliche Medienunternehmen oder gesteuerte Trolle in den sozialen Medien, sondern auch für die Äußerungen von Spitzenpolitikern und anderen staatlichen Stellen wie Ministerien oder Botschaften.
Laut der Analystin Julia Smirnova vom Institute for Strategic Dialogue werden seit Beginn des Ukraine-Kriegs alle verfügbaren Ressourcen der Propaganda-Maschinerie der russischen Regierung aufgewendet.
Welche Taktiken der Desinformation setzt die Putin-Regierung ein?
Taktik 1: Verwirrung stiften, um Vertrauen zu erschüttern
Eine Taktik der russischen Staatspropaganda nennt Forscher Florian Töpfl schlicht "Verwirrung stiften".
Es wird eine Vielzahl an Narrativen verbreitet, die sich teils widersprechen
Das Ziel: Das Publikum so verwirren, dass es grundsätzlich das Vertrauen in Informationen verliert. Deutlich zu erkennen war diese Verwirrungs-Strategie bei der Bombardierung einer Klinik in Mariupol durch russische Truppen am 9. März 2022. Während Russlands Außenminister Sergej Lawrow den Angriff mit der vorgeblichen Anwesenheit rechtsradikaler, ukrainischer Kämpfer rechtfertigte, leugnete der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, die Attacke.
Der russische Botschafter im UN-Sicherheitsrat wiederum warf der Ukraine vor, die Bilder und Videos verletzter Menschen mit Schauspielern inszeniert zu haben.
Taktik 2: Nachrichten mit gefälschten Beweisen als "Faktenchecks" verbreiten
Kanäle der russischen Propaganda wie der teilstaatliche Fernsehsender "Erster Kanal" mit seiner Sendung "Anti-Fake" kopieren seit Kriegsbeginn verstärkt Faktenchecks, um zum Beispiel Vorwürfe von Kriegsverbrechen gegen die russische Armee zu entkräften. "Sie übernehmen die Sprache von unabhängigen Faktenchecks und versuchen dadurch, Seriosität auszustrahlen", sagt Julia Smirnova.

Wie wirkt Russlands Propaganda?
12.04.2022 | 03:44 minDiese Taktik finde im Gegensatz zur Verwirrungsstrategie, die auch schon beim Abschuss der Passagiermaschine MH17 oder der Vergiftung des Ex-Spions Sergej Skripal eingesetzt wurde, seit Beginn des Ukraine-Krieges stärker als früher statt.
Taktik 3: Wahre Informationen mit gezielten Falschmeldungen vermischen
Diese Strategie wurde bei den durch zahlreiche Quellen belegten Tötungen von Zivilisten in Butscha angewendet: Das russische Verteidigungsministerium ließ in einer Erklärung verlauten, dass der Bürgermeister von Butscha, Anatoly Fedoruk, in einem Video am 31. März bestätigt habe, dass sich keine russischen Truppen mehr in der Stadt aufhalten würden.
Von Leichen Einheimischer sei dabei keine Rede gewesen, was als Beleg für eine angebliche Inszenierung der Taten herangezogen wird. Dass der Bürgermeister gegenüber der Nachrichtenagentur AP bereits am 7. März über Leichen in den Straßen Butschas berichtete und auch später immer wieder russische Gewalttaten anprangerte, wird verschwiegen.
Propaganda ist gerade dann erfolgreich, wenn man die Lügen von den Fakten schwierig trennen kann. Dann verwischt die Wahrheit.
Taktik 4: "Whataboutism" - Bei Anschuldigungen gegen sich selbst, auf Fehler anderer hinweisen
Von eigenen Fehlern abzulenken, ist eine schon lange genutzte Strategie, auch vom Kreml. Beim sogenannten "Whataboutism" wird auf Anschuldigungen mit Gegenfragen reagiert und auf (vermeintliche) Fehler anderer hingewiesen. "Die russische Regierung wirft dem Westen beispielsweise vor, gegen die Werte zu verstoßen, für die er Russland eigentlich anprangert", sagt Florian Töpfl.
Das habe man unter anderem bei den zahlreichen Festnahmen während Anti-Kriegs-Demonstrationen in Russland beobachten können, bei denen dann als Konter auf Polizeigewalt in westlichen Ländern verwiesen wurde. Die Taktik des "Whataboutism" sei schon seit dem Kalten Krieg bekannt, sagt die Analystin Smirnova.
Wie kann man sich vor Propaganda schützen?
Eine effektive Maßnahme zum Eigenschutz vor staatlicher Propaganda ist es, sich über echte Faktenchecks unabhängiger Stellen und seriöse Quellen zu informieren, welche Falschinformationen aktuell gestreut werden, erklärt Julia Smirnova. "Wenn man schon im Vorfeld von kursierenden Fakes gehört hat, kann man sie leichter als solche erkennen."
Hier erfahren Sie, wie man Fake-Videos erkennen kann:
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Quelle: mit Material von AP, dpa