: Falschmeldung zu Putins "Atomschiffen"

von Oliver Klein
15.02.2023 | 19:00 Uhr
"Putin bringt Atomschiffe in Stellung" - die Meldung mancher Medien beunruhigte viele. Doch es ist offenbar eine Falschmeldung, die Fehlinterpretation eines Geheimdienstberichts.
Russisches Atom-U-Boot der Nordflotte (Archivbild).Quelle: dpa
Die Schlagzeilen klingen angsteinflößend: "Putin bringt Atom-Schiffe in Stellung" titelt die "Bild"-Zeitung. "Warnung: Putin lässt die Flotte in der Ostsee mit Nuklearwaffen auslaufen", schreibt das österreichische Online-Portal "Exxpress" und nennt das "Ereignisse, wie die Welt sie seit dem Kalten Krieg nicht gesehen hat".
"Russland setzt zum ersten Mal seit 30 Jahren atomar bewaffnete Schiffe in der Ostsee ein", warnt das News-Portal von Microsoft "msn". Doch die dramatischen Meldungen sind offenbar Resultat von falschen Übersetzungen eines Magazins - die viele Medien weiter verbreitet haben.
Alle berufen sich auf den aktuellen Jahresbericht des norwegischen Geheimdienstes. Daraus geht zwar hervor, dass für Russland die nukleare Abschreckung seiner Nordflotte in den arktischen Gewässern des hohen Nordens immer wichtiger wird. "Ein zentraler Teil der nuklearen Fähigkeiten befindet sich auf den U-Booten der Nordflotte und Oberflächenschiffen", heißt es in dem Report.
Aber: Von einem Szenario, dass aktuell russische Kriegsschiffe mit Atomraketen an Bord "in Stellung gebracht" würden, ist in dem Bericht nichts zu lesen.

Experten: Vermutlich keine Atomwaffen an Bord der Schiffe

Die Meldungen, Russland habe seine Atomschiffe auslaufen lassen, beruhen vermutlich auf einem Artikel des Magazins "Politico" vom 14. Januar. Die Überschrift der ersten Version des Artikels: "Russland setzt zum ersten Mal seit 30 Jahren nuklear bewaffnete Schiffe ein". Das griffen offenbar gleich mehrere Medien auf.
Inzwischen wurde der Artikel von "Politico" grundlegend geändert. Die Überschrift lautet jetzt, deutlich weniger dramatisch: "Norwegen warnt vor wachsender Bedeutung russischer nuklearer 'Abschreckung' in der Arktis".
Die Aussagen wurden geradezu ins Gegenteil verkehrt: Nun zitiert derselbe "Politico"-Artikel einen leitenden Forscher am UN-Institut für Abrüstungsforschung, Pavel Podvig. Er erklärt, es sei "höchst unwahrscheinlich", dass der norwegische Geheimdienstbericht so interpretiert werden könnte, dass Russland mit taktischen Atomwaffen bewaffnete Schiffe eingesetzt habe.

Experte: Russland will wohl konventionelle Unterlegenheit ausgleichen

Auch Atomwaffen-Experte Frank Sauer hält diese Befürchtung im Gespräch mit ZDFheute für übertrieben: "Die taktischen Atomwaffen Russlands, auch die seegestützten, sind zentral gelagert. Wenn diese Flotte tatsächlich nuklear bestückt worden wäre, dann müssten westliche Geheimdienste das eigentlich beobachtet haben."
Es schippern nach dem aktuellen Kenntnisstand keine taktischen Atomsprengköpfe durch die Barentssee.
Frank Sauer, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München
Doch warum wird die nukleare Abschreckung durch Kriegsschiffe für Russland offenbar zunehmend wichtig? "In dem Geheimdienstreport steht auch, dass die russische Armee ihre konventionellen Streitkräfte auf der Kola-Halbinsel dramatisch reduziert habe, auf ein Fünftel", erklärt Sauer. "Mit dem nuklearen Säbelrasseln will Russland seine konventionelle Unterlegenheit ausgleichen."

Frank Sauer ...

Quelle: Bundeswehr Universität München
... ist Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Atomwaffen, nukleare Abschreckung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz im Militär. Gemeinsam mit anderen Sicherheitsexpert*innen diskutiert Sauer im Podcast "Sicherheitshalber" die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die Lage in Europa und der Welt.

Russland setzt noch stärker auf nukleare Abschreckung

Die nukleare Abschreckung hat für Russland also weiterhin höchste Priorität - "das wird uns dauerhaft noch Kopfzerbrechen bereiten", so Sauer. Denn Russland baut seine atomaren Fähigkeiten immer weiter aus, so steht es auch in dem norwegischen Geheimdienstbericht.
"Da gibt es wahnsinnige Rüstungsprojekte wie 'Poseidon', eine nukleare Unterwasserdrohne", erklärt Sauer. Der vor fünf Jahren vorgestellte Torpedo sei in der Lage, ganze Küstenregionen zu verwüsten - durch Tsunamis und Radioaktivität. Nun soll zum ersten Mal ein U-Boot damit bestückt werden. "Das hätte man selbst zu den schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges für durchgeknallt gehalten", so Sauer. "Diese Aufrüstung ist in Russland total aus dem Ruder gelaufen."

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