: Russland: Heinrich-Böll-Stiftung verboten
23.05.2022 | 22:38 Uhr
Russland stuft die Heinrich-Böll-Stiftung als "unerwünscht" ein, russischer Diplomat tritt zurück, Polen kündigt Gasliefervertrag mit Russland. Das Wichtigste in Kürze
- US-Angaben: Dänemark liefert Anti-Schiffs-Raketen an Ukraine
- Russland stuft Heinrich-Böll-Stiftung als "unerwünscht" ein
- Russischer Diplomat legt Job wegen des Kriegs nieder
- UN: 6,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet
- Russischer Soldat im ersten Kriegsverbrecherprozess verurteilt
Anmerkung der Redaktion
Angaben zum Verlauf des Krieges oder zu Opferzahlen durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Seite können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Wir fassen für Sie im Folgenden die wichtigsten Entwicklungen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine zusammen. Weitere News-Updates zur Lage und zu Reaktionen erhalten Sie jederzeit auch in unserem Liveblog zu Russlands Angriff auf die Ukraine.
Die Lage an Tag 89:
- Dänemark wird nach US-Angaben der Ukraine Anti-Schiffs-Raketen des Typs Harpoon liefern. Damit könnten die Küsten verteidigt werden, erklärte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Montag. Die Lieferung gehöre zur einer Reihe von neuen Hilfspaketen, die etwa 20 Staaten bei einer virtuellen Konferenz zugesagt hätten. Währenddessen sorgt in Deutschland eine Aussage der Staatssekretärin aus dem Verteidigungsministerium zu Nato-Waffenlieferungen für Irritationen:
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat erneut schärfere Sanktionen gegen Russland gefordert. Das Maximum sei noch nicht erreicht, sagt er zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums in Davos per Videoschalte. Es sei ein Ölembargo nötig. Mit Russland sollte kein Handel betrieben werden. Er drängte auf einen vollständigen Rückzug ausländischer Unternehmen aus Russland, um die Unterstützung des russischen Kriegs gegen die Ukraine zu verhindern. Die Welt müsse einen Präzedenzfall schaffen.
- Die Ukraine schließt einen sofortigen Waffenstillstand mit Russland aus und ist nicht dazu bereit, der Regierung in Moskau territoriale Zugeständnisse zu machen. "Der Krieg muss mit der vollständigen Wiederherstellung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine enden", schrieb der Stabschef des Präsidialamts, Andrij Jermak, auf Twitter.
- Bei einer Pressekonferenz mit dem polnischen Präsidenten Duda sagte der ukrainische Präsident Selenskyj, jeden Tag würden an der Front im Osten des Landes 50 bis 100 Ukrainer sterben. Er bezieht sich dabei offenbar auf Soldaten und nicht Zivilisten.
- Russlands Präsident Wladimir Putin will sich am Montag in Sotschi mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko treffen. Dabei soll es um Fragen der weiteren Zusammenarbeit gehen, wie die Agentur Interfax in der Nacht zum Montag mitteilte. Zentrales Thema sei die Integrationszusammenarbeit der beiden Länder in einem Unionsstaat. Ein lange Zeit nur auf dem Papier geführter Unionsstaat der beiden Länder nimmt zunehmend Konturen an. Internationale Politikbeobachter schätzen die Möglichkeit eines Anschlusses von Belarus an Russland als durchaus real ein.
- Russland ist nach Angaben eines Beraters von Kremlchef Putin bereit, die Gespräche mit Kiew wieder aufzunehmen. Er sehe jedoch die Ukraine in Zugzwang, sagte Medinski der Agentur Interfax zufolge im belarussischen Staatsfernsehen. Medinski, der zuvor die Verhandlungen für die russische Seite geleitet hatte, schloss auch ein Treffen zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj nicht aus. Doch dafür werde eine "ernsthafte Vorbereitung" benötigt. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Reaktion auf die Aussagen. Die Ukraine hatte die Verhandlungen zur Beendigung des Krieges am Dienstag ausgesetzt. Die Gespräche sollten nur bei konkreten Vorschlägen wieder aufgenommen werden, hatte Kiews Unterhändler Podoljak gesagt.
Wie zuverlässig sind Angaben aus dem Ukraine-Krieg?
Viele Informationen, die uns aus dem Ukraine-Krieg erreichen, kommen von offiziellen russischen oder ukrainischen Stellen - also von den Konfliktparteien selbst. Solche Informationen sind deshalb nicht notwendigerweise falsch, aber zunächst nicht von unabhängigen Stellen überprüft. Eine solche Überprüfung ist wegen des Kriegsgeschehens oft nicht oder zumindest nicht unmittelbar möglich. Das ZDF trägt dieser Situation Rechnung, indem es Quellen nennt und Unsicherheiten sprachlich deutlich macht.
Zudem greifen die Informationsangebote des ZDF in ihrer Berichterstattung auf viele weitere Quellen zurück: Sie berichten mit Reportern von vor Ort, befragen Experten oder verweisen auf Recherchen anderer Medien. Zudem verifiziert ein Faktencheck-Team kursierende Aufnahmen und Informationen.
Warum werden dennoch Aussagen der Konfliktparteien zitiert?
Das ZDF ist in seiner Berichterstattung dem Grundsatz der Ausgewogenheit verpflichtet. Dazu gehört, grundsätzlich beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Gleichzeitig sehen wir es als unsere Aufgabe an, Aussagen auf Grundlage der vorliegenden Informationen einzuordnen und darüber hinaus - beispielsweise in Faktenchecks - Propaganda auch als solche zu entlarven und kenntlich zu machen.
Warum ist häufig von "mutmaßlich" die Rede?
Die Sorgfalt und Ausgewogenheit, denen das ZDF verpflichtet ist, beinhalten auch, sachliche Unwägbarkeiten transparent zu machen und Vorverurteilungen zu vermeiden. Ist ein Sachverhalt nicht eindeutig bewiesen, muss diese Unsicherheit offengelegt werden. Das geschieht in der Regel durch Formulierungen wie "mutmaßlich" oder "offenbar". Damit wird klar, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon ausgegangen wird, dass sich ein Ereignis so zugetragen hat wie dargestellt, die letzte Gewissheit allerdings (noch) fehlt.
Das gilt zum Beispiel auch bei der Berichterstattung über Gerichtsprozesse: Eine Person gilt so lange als "mutmaßlicher Täter", bis ein Gericht ein rechtskräftiges Urteil gesprochen hat.
Die Situation in den ukrainischen Städten:
- Nach Meinung des ukrainischen Parlamentsabgeordneten Dmytro Lubinets versucht die russische Besatzung in der Ostukraine, "ganze Ortschaften und Städte auszuradieren". Vor allem die zivile Infrastruktur werde angegriffen, sagte Lubinets am Montag im ARD-"Morgenmagazin" laut Übersetzung des Senders. Dies betreffe die Stromversorgung und Wasserleitungen, aber auch Schulen und Krankenhäuser. "Es sieht so aus, die Russen bekämpfen nicht die ukrainischen Streitkräfte, sondern das ganze Volk", sagte der Parlamentarier.
- Die medizinische Versorgung in der von Russland attackierten ukrainischen Stadt Sjewjerodonezk steht nach Angaben des Gebietsgouverneurs kurz vor dem Zusammenbruch. Das einzige noch im Betrieb befindliche Krankenhaus verfüge nur über drei Ärzte und habe Material für zehn Tage, sagte Serhij Hajdaj, der Gouverneur von Luhansk, am Sonntag. Sjewjerodonezk ist die wichtigste Stadt unter ukrainischer Kontrolle in der Region Luhansk.
- Im ostukrainischen Gebiet Donezk wurden nach Angaben des ukrainischen Militärs mindestens sieben Menschen getötet und acht verletzt. Bei einem Raketenangriff auf Malyn nordwestlich von Kiew wurde nach Angaben der Agentur Unian ebenfalls mindestens ein Mensch getötet. Das ukrainische Militär meldet zudem elf abgewehrte Angriffe russischer Truppen im Osten der Ukraine. Im Laufe der Woche sollen mehr als 200 russische Militärfahrzeuge sowie drei Flugzeuge zerstört worden sein.
- Der von Moskau eingesetzte Bürgermeister der südukrainischen Stadt Enerhodar soll bei einer Explosion verwundet worden sein. Er habe die Bestätigung, dass der pro-russische Bürgermeister Andrej "Schewtschik und seine Leibwächter bei der Explosion verletzt wurden", erklärte Dmytro Orlow, der gewählte ukrainische Bürgermeister von Enerhodar, auf Telegram. Sie befänden sich "mit unterschiedlich schweren Verletzungen" im Krankenhaus.
Ukraine: Hier können Sie spenden
Wenn Sie helfen wollen, können Sie das durch eine Spende tun. Alle Informationen hierzu im Überblick.
Wie arbeitet das Aktionsbündnis?
Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.
Reaktionen und Folgen des russischen Angriffs:
- Die Musikerinnen der russischen Punkband Pussy Riot fordern einen Importstopp für russisches Gas und Öl. Das Geld für den Krieg in der Ukraine komme aus Europa, sagten die Aktivistinnen am Montagabend in der ARD. So lange Gas und Öl in Russland gekauft werden, könne der Krieg nicht gestoppt werden.
- Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung zur "unerwünschten Organisation" erklärt und damit faktisch im Land verboten. Die Tätigkeit der Stiftung stelle "eine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung und die Sicherheit der Russischen Föderation" dar, teilte die Behörde am Montag in Moskau mit. Die den Grünen nahe stehende Heinrich-Böll-Stiftung hatte schon im April auf Druck von Russlands Behörden ihr Moskauer Büro schließen müssen.
- Bundeswirtschaftsminister Habeck geht davon aus, dass ein Öl-Embargo gegen Russland in greifbarer Nähe ist. Die Einigung könnte "innerhalb von wenigen Tagen" erzielt werden. Doch das Embargo führe nicht "automatisch" dazu, dass Putin geschwächt werde. Das ganze Interview sehen Sie hier:
- Ein erfahrener russischer Diplomat bei den Vereinten Nationen in Genf hat wegen des "aggressiven Kriegs" seines Landes in der Ukraine seinen Rücktritt eingereicht. In den 20 Jahren seiner diplomatischen Karriere habe er verschiedene Wendungen der russischen Außenpolitik erlebt, erklärte Boris Bondarew, der sich zuletzt mit der Rolle Russlands bei der Abrüstungskonferenz in Genf beschäftigt hatte. "Aber ich habe mich noch nie so für mein Land geschämt, wie am 24. Februar dieses Jahres", schrieb er.
- Mehr als 6,5 Millionen Menschen sind mittlerweile aus der Ukraine geflüchtet, das geht aus Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks hervor. Dazu kommen weitere 8 Millionen Menschen, die demnach innerhalb des Landes auf der Flucht sind.
- Die polnische Regierung hat beschlossen, ihren seit 1993 geltenden Gasliefervertrag mit Russland zu kündigen. Wie die polnische Nachrichtenagentur PAP am Montag berichtete, bestätigten das sowohl Klimaministerin Anna Moskwa als auch der Regierungsbevollmächtigte für Energie-Infrastruktur, Piotr Naimski. Im öffentlich-rechtlichen Polnischen Radio und auf Facebook verkündete er:
Nach fast 30 Jahren kann man sagen, dass die Gasbeziehungen zwischen Polen und Russland aufgehört haben zu existieren.
- Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat angesichts des Ukraine-Krieges eine rasche assoziierte Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union vorgeschlagen. Man solle keinen EU-Beitrittskandidatenstatus der Ukraine "ins Schaufenster stellen", wenn man wisse, dass in 10, 15 oder 20 Jahren nichts aus einer Vollmitgliedschaft werde, sagte Röttgen am Montag. Gebraucht würden nun schnelle und machbare Lösungen. Das gleiche gelte für die Staaten des westlichen Balkans.
Die EU wird jetzt östlicher werden.
- Im ersten ukrainischen Kriegsverbrecherprozess ist ein 21 Jahre alter russischer Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht in Kiew sah es am Montag nach einem Geständnis des Mannes als erwiesen an, dass der Panzersoldat nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 28. Februar einen unbewaffneten 62-Jährigen Zivilisten erschoss. Nach dem weltweiten Entsetzen über russische Gräueltaten in der Ukraine war dies der erste vor Gericht verhandelte Fall. Der Beschuldigte hat nun 30 Tage Zeit, um Berufung einzulegen. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.
- Auf seiner ersten Afrika-Reise seit seinem Amtsantritt hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zusammen mit dem senegalesischen Präsidenten Macky Sall intensive Gespräche über eine Zusammenarbeit im Bereich der Gasförderung angekündigt. Sall will im Dezember 2023 mit der Produktion beginnen, zunächst sind 2,5 Millionen Tonnen Flüssiggas pro Jahr vorgesehen, im Jahr 2030 dann 10 Millionen Tonnen. Sein Land sei bereit dafür, zukünftig den europäischen Markt mit Flüssiggas zu versorgen, sagte er bei der Pressekonferenz mit Scholz.
- Seit Beginn des Ukraine-Kriegs haben sich Hunderte von Fachkräften aus Russland für einen Umzug nach Deutschland entschieden. "Im April wurden in Moskau rund 350 Visa zum Zweck der Erwerbstätigkeit an russische Staatsangehörige erteilt", heißt es aus dem Auswärtigen Amt. In Sankt Petersburg stellte das deutsche Generalkonsulat den Angaben zufolge im gleichen Zeitraum 190 Arbeitsvisa aus. Nach dpa-Informationen war die Mehrheit der ausreisenden Fachkräfte bereits in Russland für ein deutsches Unternehmen tätig.
Das passierte an Tag 88:
Ukraine verlängert Kriegsrecht, Polens Präsident Duda hält Rede in ukrainischem Parlament. Der langjährige deutsche Botschafter in Russland glaubt, Putin will eine Flüchtlingkrise provozieren. Ukraine-Präsident Selenskyj bezeichnet die Lage im Donbass als "extrem schwierig". Die Lage an Tag 88.
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Quelle: dpa, AFP, Reuters, AP, ZDF