: Putin und die handverlesenen Soldatenmütter

von Oliver Klein
28.11.2022 | 16:11 Uhr
Die Soldatenmütter beim Treffen mit Putin sind regierungstreue Politikerinnen und Aktivistinnen. Ein Experte sagt: Der Kreml gebe sich bei seiner Propaganda keine Mühe mehr.
Bei der Inszenierung wurde nichts dem Zufall überlassen: Russlands Präsident Putin bei einem Treffen mit Müttern von Militärangehörigen.Quelle: AP
Es sollte eine emotionale Botschaft des Präsidenten an sein Volk sein: Bei einem Treffen mit 17 Müttern und Frauen von Soldaten anlässlich des russischen Muttertags am Wochenende inszenierte sich Russlands Präsident Wladimir Putin als einfühlsam. Seine Stimme brach, als er den Müttern gefallener Soldaten zurief, er und die gesamte Führung des Landes "teilen den Schmerz". "Ich habe dieses Treffen vorgeschlagen, weil ich Ihnen zuhören und Ihre Einschätzungen aus erster Hand hören wollte", so Putin.
Doch die Einschätzungen der eingeladenen Frauen werden Putin wenig überrascht haben: Sie sind nicht irgendwelche Mütter aus der Mitte des Volkes, die Kritik am Ukraine-Krieg üben könnten - sie sind vor allem handverlesene, regierungstreue Politikerinnen, Aktivistinnen, Beamtinnen. Ob alle tatsächlich Angehörige haben, die in der Ukraine kämpfen, ist unklar. ZDFheute hat einige von ihnen identifiziert:
Olesya Shigina und Nadezhda Uzunova beim Treffen der Soldatenmütter mit Putin.Quelle: ZDF/AFP

Nadezhda Uzunova: Stand mit Putin in Moskau auf der Bühne

Uzunova ist Aktivistin bei der ultrapatriotischen Veteranen-Vereinigung "Kampfbruderschaft". Erst am 30. September trat Uzunova mit Putin bei einem riesigen Konzert auf dem Roten Platz auf. Sie stand direkt neben dem Präsidenten, sang die Nationalhymne - und trug sogar dasselbe Outfit wie beim Treffen zum Muttertag, wie in einem Video zu sehen ist. Anlass des Konzerts: Die Annahme der Scheinreferenden, mit denen sich der Kreml den Osten der Ukraine einverleibte.
Uzunova mit Putin in einem Video vom 30.09.2022 auf dem Roten Platz in Moskau - sie trägt sogar das selbe Outfit.Quelle: ZDF/Vesti.ru
Uzunowa steht dem Krieg positiv gegenüber, das zeigte sie bei einer Ansprache. Obwohl sie nach eigenen Angaben drei Söhne hat, von denen zwei dienen würden, erklärt sie: "Heute mache ich mir natürlich wie jede russische Mutter Sorgen um meine Kinder", so Uzunova. "Aber Angst tötet mehr als eine Kugel, wir sollten keine Angst haben."

Olesya Shigina: Kremltreue Regisseurin

Shigina ist eine ultrakonservative russische Aktivistin und Regisseurin. Nach Recherchen der britischen Tageszeitung "The Guardian" war sie erst kürzlich in die Donbass-Region gereist, um einen Pro-Kriegsfilm mit russischen Truppen zu drehen.
In einer Gesprächsrunde im russischen Radio erklärte Shigina, es gebe an der Front unter russischen Wehrpflichtigen keinen Ärger über schlechte Ausrüstung oder mangelnde Ausbildung. Ganz auf Kreml-Linie sagte sie: "An der Front ist niemand wütend auf die Regierung".

Julia Belekhova: Leitet kremltreue Bewegung

Auch sie ist in Moskau keine Unbekannte, leitet die kremltreue Bewegung "Gesamtrussische Volksfront" der Region Moskau. Die Organisation sammelt Geld, um die prorussischen Separatisten in der ukrainischen Region Donbass zu unterstützen. Belekhova kandidierte bereits für die Staatsduma für Putins Partei "Einiges Russland".
Die 40-Jährige postete im Sozialen Netzwerk VK im Oktober Fotos eines jungen Mannes in Uniform, offenbar ihr Sohn. Dazu schrieb sie voller Stolz: "Er lief nicht wie eine Kakerlake davon, er gab nicht vor, mit 24 Jahren behindert zu sein, er suchte keine Ausreden. Er erhielt eine Vorladung, packte seine Sachen und ging."
Putin trifft Soldatenmütter Quelle: ZDF/imago/Alexander Shcherbak/TASS PUBLICATION

Russlandexperte: Kreml gibt sich keine Mühe mehr

Auch weitere Frauen des Treffens mit Putin wurden von Medien als kremlnah beschrieben. Für Russlandexperte Nico Lange ist diese Art von Inszenierung keine Überraschung: "Es gibt eine ganze Gruppe von Personen, die in unterschiedlichen Rollen regelmäßig bei Veranstaltungen mit Putin auftreten - da wird nichts dem Zufall überlassen", erklärt er. Es sei auch wahrscheinlich, dass vorab die Texte festgelegt werden, die gesprochen werden sollen.
Doch warum wurden für das Treffen ausgerechnet Frauen engagiert, die fast schon prominent sind und die man dadurch leicht dem Regime zuordnen kann? "Inzwischen gibt sich der Kreml nicht mal mehr Mühe, das zu verschleiern - das richtet sich an ein Publikum in Russland, das älter ist. Menschen, die ihre Informationen vor allem aus dem Fernsehen beziehen. Denen so was nicht unbedingt auffällt." Dennoch sei der Auftritt letztendlich ein Zeichen, dass Putin unter Druck stehe, so Lange.

Nico Lange ...

Quelle: Tobias Koch
... arbeitet für die Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Von 2004 bis 2006 forschte und lehrte er in St. Petersburg. Später leitete er die Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine und in den USA. Von 2019 bis 2022 war er Leiter des Leitungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung.
Hier können Sie die ganze Folge ZDFheute live "Zum Sterben an die Front" sehen.

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