: Vom drögen Redner zum lebendigen Europäer

von Klaus Brodbeck, Straßburg
09.05.2023 | 13:23 Uhr
Die Rede von Olaf Scholz vor dem Europäischen Parlament in Straßburg enthält nicht viel Neues. Dennoch schafft er es, am Ende einen neuen Eindruck zu vermitteln.

Vor dem EU-Parlament in Straßburg wirft Bundeskanzler Olaf Scholz Putin Machtgehabe vor. In der Flüchtlingskrise mahnt er eine europäische Lösung an, erfährt aber auch Kritik.

09.05.2023 | 02:52 min
Der Kurztrip von Olaf Scholz Richtung Europäisches Parlament beginnt mit einem Versprecher. "Guten Morgen, Herr Bundespräsident", krächzt es aus den Bordlautsprechern der Regierungsmaschine. Pause. Knacken. "Entschuldigung - Herr Bundeskanzler". Wie Scholz vorne im VIP-Bereich reagiert hat, spricht sich nicht bis in die hinteren Reihen herum, die die mitreisende Hauptstadtpresse bevölkert, der Kanzler wird das kurzzeitige Upgrade verkraften können.
Der Rest ist Routine, jedenfalls, was Scholz betrifft. Der Kanzler zitiert sich selbst, wiederholt in seiner Straßburger Rede weitestgehend, was er bereits vergangenen August in der Prager Karls-Universität gesagt hat: Europa müsse seine geopolitische Rolle wahrnehmen. Die Europäische Union müsse sich erweitern und reformieren. Sie müsse zukunftsoffen sein. "No News", murmelt einer der Mitreisenden im Flieger, wo der Text vorab schon studiert wird.

Beifall vor allem für Ukraine-Unterstützung

Im Europäischen Parlament erntet Scholz dennoch immer wieder Beifall. Wenn er den Staaten des Westbalkans, der Ukraine, Georgien und Moldau zuruft: "Ihr gehört zu uns" (leicht). Wenn er sich für die Normalisierung des Verhältnisses zwischen Serbien und dem Kosovo ausspricht (spärlich).

Die EU versucht, eine pragmatische Zusammenarbeit zwischen Serbien und dem Kosovo zu etablieren, doch die serbischen Gemeinden im Kosovo bleiben weiter Streitthema.

02.05.2023 | 02:15 min
Wenn er im Rat Mehrheitsentscheidungen fordert statt Einstimmigkeit (schon mehr), ein endlich funktionierendes gemeinsames europäisches Asylsystem und Europas Voranschreiten in eine klimaneutrale Zukunft (breit) und der Ukraine Unterstützung zusichert, solange das nötig sei (sehr breit). So weit, so bekannt.

Scholz bekommt einen härteren politischen Sound zu hören

Interessant machen diesen Auftritt die Abgeordneten. Sie sind nach Scholz an der Reihe. Das politische Spektrum des Europäischen Parlaments ist deutlich breiter als das des Bundestags, der Weg von ganz rechts nach ganz links viel weiter. Hinzu kommt, dass grüne und liberale Vertreter in Straßburg sich nicht unbedingt maximaler Loyalität zur Ampel verpflichtet fühlen. Viele wenden sich auf Deutsch an den Kanzler.
Es klingt auch ein bisschen wie im Bundestag. Wenn Manfred Weber (CSU) mangelnde Führung und Orientierung für Europa durch den deutschen Kanzler beklagt und dazu Panzer für die Ukraine, aufgekaufte Wärmepumpenproduzenten und verprellte Landwirte in Stellung bringt.

Heizungsbauer Viessmann verkauft seine Kima-Sparte an den US-Konzern Carrier Global. Wirtschaftsminister Habeck sieht dabei Chancen für stärkere Investitionen in die Produktion.

26.04.2023 | 02:47 min
Wenn deutsche Sozialdemokraten den Deutschen loben und deutsche Linke seine Politik unsozial finden. So weit, so erwartbar. Doch der politische Sound ist gelegentlich dann doch härter, gerade zwischen Parteien, die sich in Berlin in der Ampel zusammenraufen müssen.
Wenn französischen Liberalen deutsche Vorschläge für stabile Stromnetze fehlen. Wenn italienische Grüne Christian Lindners Politik einen Sprung in die Vergangenheit nennen und Deutsche sich bei Scholz beschweren, dass er nicht verhindere, dass die FDP Deutschland in Europa blamiere und Scholz selbst mit seinen Vorschlägen zum neuen Europa doch sehr im Vagen bleibe.

Zu dem europapolitischen Kurs der Bundesregierung gibt es von vielen Seiten Kritik. Ulf Röller berichtet, ob die Erwartungen an die Rede von Kanzler Scholz deshalb größer sind.

09.05.2023 | 01:20 min

Scholz: 20 Jahre Wartezeit für Balkanstaaten "peinlich"

Und der Kanzler? Erst hört er äußerlich ungerührt zu, am Ende sind für ihn fünf Minuten reserviert für eine Erwiderung. Scholz spricht frei, der Inhalt unverändert, der Eindruck ein völlig anderer. So, wie er nun versichert, er wolle sich für Reformen einsetzen, nimmt man es ihm schon eher ab.
Wenn er einräumt, dass 20 Jahre Wartezeit für die Staaten des westlichen Balkens bis zu ernsthaften Beitrittsgesprächen "peinlich" seien, kann man sich vorstellen, dass das dort für positive Aufmerksamkeit sorgt.

Scholz verwandelt sich in Straßburg

Wie er betont, Europa könne nur gelingen, wenn Nord und Süd, Ost und West zusammenstünden und dem Kontinent bei der grünen Transformation ein wirtschaftliches Wachstum vorhersagt, wie es Europa lange nicht mehr erlebt habe - auf einmal verwandelt sich der dröge Redner von eben in einen lebendigen Europäer.
Die gemeinsame Zukunft sei Europa, klingt wie ein Versprechen. Demokratie brauche Streit, Debatte und Kompromisse, um zu guten Ergebnissen zu kommen, betont Scholz an diesem Vormittag in Straßburg.

Cum-Ex-Skandal, mangelnde Führungsstärke, die zerstrittene Ampel: Kritik und Krisen scheinen immer wieder an Olaf Scholz abzuprallen.

07.05.2023 | 09:29 min

Termine für SPD-Fraktionssitzung abgesagt

Diesen Satz dürfte er nachmittags in Berlin wiederholen, diesmal vor eigenen Leuten. Gleich mehrere Termine in Straßburg sagte der Kanzler kurzfristig wieder ab, um die Fraktionssitzung der SPD im Bundestag nicht zu versäumen.
Einen Tag vor dem Treffen mit den Ministerpräsidenten zur Flüchtlingskrise gibt es auch hier Redebedarf - für mehr als Versprechen.

Thema

Mehr zum Thema Olaf Scholz