: Baerbock besucht Ukraine
10.05.2022 | 23:55 Uhr
Der russische Angriffskrieg hat 14 Millionen Ukrainer zu Flüchtlingen gemacht, Präsident Selenskyj empfängt Baerbock, Azovstal-Werk weiter unter Beschuss. Die Lage an Tag 76.Das Wichtigste in Kürze
- Selenskyj dankt Baerbock in Kiew für Unterstützung Deutschlands
- Deutsche Botschaft in Kiew nimmt wieder Arbeit auf
- Ukraine stellt Gas-Transit in Region Luhansk ein
- Kiew: Hunderte verletzte Soldaten im Azovstal-Werk in Mariupol
- Laut UN sind 14 Millionen Ukrainer vor Krieg geflüchtet
Anmerkung der Redaktion
Angaben zum Verlauf des Krieges oder zu Opferzahlen durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Seite können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Wir fassen für Sie im Folgenden die wichtigsten Entwicklungen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine zusammen. Weitere News-Updates zur Lage und zu Reaktionen erhalten Sie jederzeit auch in unserem Liveblog zu Russlands Angriff auf die Ukraine.
Tag 76 im Ukraine-Krieg:
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Außenministerin Annalena Baerbock in Kiew empfangen und ihr für die Hilfe des Landes im Krieg gegen Russland gedankt. Baerbock kündigte an, dass in Kürze mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten an der Panzerhaubitze 2000 begonnen werden soll, die Deutschland zusammen mit den Niederlanden an die Ukraine liefern wird. Baerbock machte sich unter anderem in dem Kiewer Vorort Butscha ein Bild von der Zerstörung durch den Krieg und zeigte sich erschüttert. Die deutsche Botschaft in Kiew nahm ihre Arbeit wieder auf.
- Die US-Geheimdienste gehen nicht davon aus, dass der Krieg im Falle eines russischen Sieges im Donbass enden würde. Wladimir Putin bereite sich auf einen längeren Konflikt in der Ukraine vor - er wolle immer noch Ziele erreichen, die über die Ostukraine hinausgingen, sagte US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines bei einer Anhörung des Senats in Washington. Sie warnte zudem vor einer Eskalation des Konflikts. Die Ungewissheit des Kampfes, der sich zu einem Zermürbungskrieg entwickele, bedeute in Verbindung mit dem Missverhältnis von Putins Ambitionen und den militärischen Fähigkeiten Russlands einen "unvorhersehbaren und potenziell eskalierenden Kurs".
- Präsident Selenskyj dringt auf ein sechstes Sanktionspaket der EU gegen Russland. Das geplante Paket inklusive eines Öl-Embargos sei nötig, sagt er in einer Videoansprache vor slowakischen Abgeordneten. Über die Strafmaßnahmen wird derzeit in der EU beraten.
- In der Ukraine sind UN-Beobachtern zufolge weitaus mehr Zivilisten getötet worden als die von ihnen offiziell angegebene Zahl von 3.381. Allein in der Hafenstadt Mariupol seien schätzungsweise Tausende Menschen ums Leben gekommen, sagte Matilda Bogner, die Leiterin des UN-Einsatzes zur Beobachtung der Menschenrechtslage in der Ukraine.
Die Situation in den ukrainischen Städten:
- Das Stahlwerk Azovstal in Mariupol ist nach ukrainischen Angaben weiter unter schwerem Beschuss. Auf dem Gelände des Industriekomplexes sollen sich noch mehr als tausend ukrainische Soldaten befinden. "Hunderte sind verletzt", sagte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk der AFP. Einige Soldaten seien "schwer verletzt" und müssten "dringend" dort herausgeholt werden. Am Wochenende hatte Wereschtschuk mitgeteilt, dass alle Zivilisten aus dem Werk in Sicherheit gebracht worden seien. Laut Stadtverwaltung sollen dort aber immer noch rund 100 Zivilisten ausharren.
- In der ostukrainischen Stadt Isjum sind laut Regionalregierung die Leichen von 44 Zivilisten aus den Trümmern eines zerstörten Hauses geborgen worden. Das fünfstöckige Gebäude sei Anfang März von der russischen Armee bombardiert worden, erklärte der Gouverneur der Region Charkiw, Oleg Synegubow, auf Telegram. In der Gegend wird weiterhin gekämpft. Bewohner hätten die Trümmer weggeräumt, "als es keine Bombenangriffe" gab. Isjum steht seit Anfang April unter russischer Kontrolle. Die ukrainische Staatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung wegen möglicher Kriegsverbrechen ein.
Wie zuverlässig sind Angaben aus dem Ukraine-Krieg?
Viele Informationen, die uns aus dem Ukraine-Krieg erreichen, kommen von offiziellen russischen oder ukrainischen Stellen - also von den Konfliktparteien selbst. Solche Informationen sind deshalb nicht notwendigerweise falsch, aber zunächst nicht von unabhängigen Stellen überprüft. Eine solche Überprüfung ist wegen des Kriegsgeschehens oft nicht oder zumindest nicht unmittelbar möglich. Das ZDF trägt dieser Situation Rechnung, indem es Quellen nennt und Unsicherheiten sprachlich deutlich macht.
Zudem greifen die Informationsangebote des ZDF in ihrer Berichterstattung auf viele weitere Quellen zurück: Sie berichten mit Reportern von vor Ort, befragen Experten oder verweisen auf Recherchen anderer Medien. Zudem verifiziert ein Faktencheck-Team kursierende Aufnahmen und Informationen.
Warum werden dennoch Aussagen der Konfliktparteien zitiert?
Das ZDF ist in seiner Berichterstattung dem Grundsatz der Ausgewogenheit verpflichtet. Dazu gehört, grundsätzlich beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Gleichzeitig sehen wir es als unsere Aufgabe an, Aussagen auf Grundlage der vorliegenden Informationen einzuordnen und darüber hinaus - beispielsweise in Faktenchecks - Propaganda auch als solche zu entlarven und kenntlich zu machen.
Warum ist häufig von "mutmaßlich" die Rede?
Die Sorgfalt und Ausgewogenheit, denen das ZDF verpflichtet ist, beinhalten auch, sachliche Unwägbarkeiten transparent zu machen und Vorverurteilungen zu vermeiden. Ist ein Sachverhalt nicht eindeutig bewiesen, muss diese Unsicherheit offengelegt werden. Das geschieht in der Regel durch Formulierungen wie "mutmaßlich" oder "offenbar". Damit wird klar, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon ausgegangen wird, dass sich ein Ereignis so zugetragen hat wie dargestellt, die letzte Gewissheit allerdings (noch) fehlt.
Das gilt zum Beispiel auch bei der Berichterstattung über Gerichtsprozesse: Eine Person gilt so lange als "mutmaßlicher Täter", bis ein Gericht ein rechtskräftiges Urteil gesprochen hat.
- In der Region Luhansk im Osten der Ukraine gab es dem Gouverneur Serhij Gaidai zufolge binnen 24 Stunden bis zum Dienstagmorgen 22 Angriffe. Die russischen Streitkräfte hätten am Montag tagsüber massiv die Region beschossen. Am Dienstagmorgen waren in mehreren ukrainischen Regionen Sirenen zu hören, die vor Luftangriffen warnten, darunter in Lukansk, Charkiw und Dnipro.
- Bei russischen Raketenangriffen auf die Hafenstadt Odessa sollen in der Nacht zum Dienstag mindestens ein Mensch getötet und fünf weitere verletzt worden sein. Das berichtete die Agentur Unian und berief sich auf die örtliche Militärführung. Die Stadt wurde am Montagabend von zahlreichen Explosionen erschüttert. Kurz zuvor hatte die russische Luftwaffe nach Darstellung des ukrainischen Militärs mehrere Hyperschallraketen vom Typ Kinschal auf Odessa abgefeuert. Das US-Pentagon teilte jedoch mit, es habe keine Hinweise auf den Einsatz von Hyperschallraketen bei Angriffen auf Odessa.
Reaktionen und Folgen des russischen Angriffs:
- Innerhalb der Ukraine sind seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar mehr als acht Millionen Menschen vertrieben worden. Das berichtet die UN-Organisation für Migration (IOM) am Dienstag in Genf. Zusätzlich sind gut 5,9 Millionen Menschen ins Ausland geflüchtet. Vor dem russischen Einmarsch am 24. Februar hatte die Ukraine etwa 44 Millionen Einwohner.
ZDFheute Infografik

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- Die Europäische Union strebt einen Importstopp für russisches Öl an, der für die meisten Länder bis Ende des Jahres greifen soll. Ungarn ist stark von Öl aus Russland abhängig und lehnt ein Embargo ab. Nach EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gesprochen. Ergebnisse des Gesprächs wurden nicht mitgeteilt, Orbans Sprecher sagte lediglich, beide Staatschefs hätten über "Fragen der Energiesicherheit" gesprochen.
Ungarn kündigt ein Veto gegen das geplante Embargo der Europäischen Union gegen russische Erdöl-Importe an. Um das Sanktionspaket umzusetzen, müssen aber alle Länder zustimmen.
10.05.2022 | 02:14 min- Kriegsbedingt stellt die Ukraine ab Mittwoch den Transit von russischem Gas im Gebiet Luhansk im Osten des Landes ein. Damit fielen bis zu 32,6 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag weg - das sei fast ein Drittel der täglich über die Ukraine nach Europa transportierbaren Höchstmenge, teilte der ukrainische Gasnetzbetreiber am Dienstag mit. Aufgrund der russischen Besatzung sei es unmöglich geworden, über den Punkt Sochraniwka Gas an andere Verteilstationen weiterzuleiten, hieß es. Der Betreiber berief sich auf einen Fall "höherer Gewalt".
- Das litauische Parlament hat den russischen Angriffskrieg als Völkermord am ukrainischen Volk anerkannt. Die Abgeordneten verabschiedeten in Vilnius eine entsprechende Entschließung einstimmig. Die Volksvertretung des baltischen EU- und Nato-Landes verwies auf "massenhafte Kriegsverbrechen" der russischen Armee wie etwa Mord, Folter und Vergewaltigung von ukrainischen Zivilisten. Alle Täter müssten zur Rechenschaft gezogen und ein Internationaler Sondergerichtshof zur Untersuchung des Verbrechens der russischen Aggression eingerichtet werden.
- Der Panzer- und Artillerie-Hersteller Rheinmetall geht davon aus, dass er sein Geschäft mit der Bundeswehr künftig verdoppelt. In den vergangenen Jahren habe man pro Jahr etwa zwei Milliarden Euro vom Bund bekommen, künftig dürften es mindestens vier Milliarden Euro pro Jahr werden, sagte Rheinmetall-Chef Armin Papperger in Düsseldorf bei der Hauptversammlung.
Das war an Tag 75 passiert:
Der Besuch von EU-Ratspräsident Michel in Odessa musste unterbrochen werden, Selenskyj verbittet sich die "Aneignung" des Siegs über Nazi-Deutschland durch Moskau. Eine Übersicht von Tag 75 im Ukraine-Krieg:
Ukraine: Hier können Sie spenden
Wenn Sie helfen wollen, können Sie das durch eine Spende tun. Alle Informationen hierzu im Überblick.
Wie arbeitet das Aktionsbündnis?
Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.
Quelle: dpa, Reuters, AP, AFP, ZDF