: Protest in München: Bunt, skurril, friedlich

von Stefan Leifert, München
18.02.2023 | 20:07 Uhr
In München kreuzen sich kurz alle Dramen der Weltpolitik, Ansichten, Skurrilitäten und Absurditäten. Knapp 15.000 Menschen wollen der Sicherheitskonferenz ihre Botschaft zurufen.
Münchens Geschäfte haben gerade erst ihre Türen geöffnet, da geht die erste Demonstration des Tages bereits zu Ende. Männer rollen Iran-Flaggen ein, bündeln sie zu Zehnerpacks und stopfen die langen Holzstangen in die angemieteten Transporter. Polizisten stehen entspannt daneben, plaudern und scherzen mit nach Hause gehenden Teilnehmern. "Die kennen uns schon," sagt Javad Dabiran von der Gesellschaft von Deutsch-Iranern, die die Kundgebung angemeldet und organisiert hat. "Mit der Polizei arbeiten wir gut zusammen."
Protest für die iranische Sache.Quelle: Reuters
Einige hundert Iraner sind auf den Odeonsplatz gekommen, um am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz gegen das Mullah-Regime und für Freiheit in Iran zu demonstrieren. Von EU und Bundesregierung fordern sie, die Islamischen Revolutionsgarden, die im Namen des Regimes seit Wochen Demonstranten einsperrt, foltert und tötet, als Terrororganisation zu listen. Die Organisatoren fegen die letzten Flugblätter vom Boden, und die erste Kundgebung des Tages ist vorbei.

Ukraine im Mittelpunkt der Proteste

Einen Kilometer weiter, auf der anderen Seite des Bayerischen Hofs, versammeln sich da schon die Teilnehmer der wohl traditionsreichsten Demo gegen die dort tagende Sicherheitskonferenz, des "Aktionsbündnisses gegen die Münchner Sicherheitskonferenz". Ein Teil von ihnen beginnt eine Menschenkette zu bilden, ein anderer zieht durch die Straßen der Innenstadt.
Die "Verhandeln statt Schießen"-Plakate zieren seit Wochen Münchens Straßen des Bündnisses, in dem sich von Attac über Linken-Politiker bis zur Münchner Marxistischen Linken viele Organisationen und Personen versammeln. Seit jeher sehen sie in der Nato einen Verein von Kriegstreibern, in der Sicherheitskonferenz ein Forum für Militarisierung und Aufrüstung. Heute fordern sie den Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine und sofortige Friedensverhandlungen.

Bunte Mischung bei Demos

Die Teilnehmer sind in Alter und Geschlecht bunt gemischt. Gruppen tragen Großplakate vor sich her, Zielscheibe dabei immer wieder die Grünen: "Die Grüne Partei: Kriegstreiber, Klimakiller, ArbeiterfeindInnen."
Ein älterer Herr versucht es auf Bayerisch: "Masskriag statt Weltkriag", trägt es auf einem handbeschriebenen Papp-Plakat über seinem Kopf durch München. Aus einem Lautsprecher schallt psychedelische Musik, aus einem anderen ruft ein Redner: "Der Sozialismus muss wieder auf die Tagesordnung." Applaus, Gejohle, "Jawoll"-Rufe. Knapp 3.000 Menschen kamen laut Polizei bei dieser Veranstaltung zusammen.

Ukrainer versammeln sich auf Odeonsplatz

Am Odeonsplatz zieht das Bündnis am Nachmittag an einer dritten Kundgebung vorbei: Über 1.000 Menschen haben sich dort versammelt, um für Unterstützung für die Ukraine zu werben. Für die Polizei ein neuralgischer Moment, doch bis auf ein paar Beschimpfungen und Pfiffe bleibt das kurze Aufeinandertreffen friedlich.
Vor allem in Deutschland lebende Ukrainerinnen und Ukrainer sind auf den Odeonsplatz gekommen. "Danke, danke," skandieren sie immer wieder, wenn die Redner auf der Bühne aufzählen, was schon alles an Unterstützung geleistet wurde. "Kampfjets jetzt," rufen sie, als eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten die Bühne betritt, eine bunte Koalition aus Anton Hofreiter (Grüne), Roderich Kiesewetter (CDU), Florian Hahn (CSU) und Agnes Strack-Zimmermann (FDP).

Ermüdungserscheinungen oder kein Nachlassen?

"Ich habe nicht den Eindruck, dass die Unterstützung für die Ukraine nachlässt," sagt Hofreiter nach seinem Auftritt vor beeindruckender blau-gelber Kulisse. Verteidigungs-Experte Carlo Masala, der ebenfalls zu den Demonstranten gesprochen hat, sieht das anders. "Es gibt deutliche Ermüdungserscheinungen," sagt er, auch mit Blick auf Umfragen. Der Krieg gehe nun in eine schwierige Phase – sowohl was die Kriegsführung angehe, als auch in Sachen Unterstützung von außen.
Militärexperte Carlo Masala im ZDF-Interview:
Auf dem Odeonsplatz klatschen sich alle Mut zu. Die Kundgebung dient auch der Selbstvergewisserung, dass die Unterstützung nun nicht nachlassen dürfe. Die Stimmung ist emotional, auch Tränen fließen.

"München steht auf" zieht am Nachmittag vom Königsplatz durch die Stadt

Die größte Zahl Menschen bringt ein Bündnis auf die Straßen, das schon zu Corona-Zeiten aktiv war. "München steht auf" zieht im Nachmittag vom Königsplatz durch die Stadt und wieder zurück, unüberhörbar mit Trommelgruppen, Schweizer Kuhglocken und Lautsprechern. 10.000 seien gekommen, schätzt die Polizei, 4.000 waren angemeldet.
Flaggen mit Friedenstauben sind genauso zu sehen wie Russland-Flaggen, auch Russland-Flaggen mit Friedenstauben sind dabei. "Der Feind sitzt nicht in Russland, sondern in Brüssel und Berlin", steht auf dem Plakat eines Mannes, das er auf dem Rücken trägt, mit seinen Händen schwenkt er eine Russland-Flagge.  
"München steht auf" ist ein Querdenker-Bündnis, das zu Coronazeiten gegen die Corona-Maßnahmen protestierte. Manche haben ihre "Freiheit"-Schilder auch heute wieder mitgebracht. Auch AfD-Logos sind zu sehen. Das "Aktionsbündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz" hatte sich im Vorfeld von der Kundgebung der Initiative "München-steht-auf" distanziert und ihr Nähe zu rechts-nationalistischen Positionen und zur AfD vorgeworfen. 
Auf Münchens Straßen kreuzen sich für ein paar Stunden alle Dramen der Weltpolitik, politische Strömungen, Skurilitäten und Absurditäten. Knapp 15.000 Menschen, die den Teilnehmern der Sicherheitskonferenz im Bayerischen Hof ihre Botschaft zurufen wollen. So unterschiedlich und laut die Demonstranten, so friedlich bleibt am Ende der Tag.  Zumindest darauf können sich alle einigen. 
Stefan Leifert ist Leiter des ZDF-Studios in München.

Fakten zur Münchner Sicherheitskonferenz

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist das weltweit wichtigste Treffen von Politikern und Experten zum Thema Sicherheitspolitik. Dieses Mal werden 40 Staats- und Regierungschefs und fast 100 Minister erwartet. Die russische Führung ist zum ersten Mal seit den 1990er Jahren nicht eingeladen.

Wichtigstes Thema dieses Jahr: der Ukraine-Krieg. Seit Freitag soll es drei Tage lang darum gehen, wie dieser Krieg beendet werden kann. Eröffnet wurde das Treffen am Freitag mit einer Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: "Goliath wird dieses Jahr fallen".

Themen

Mehr von der Sicherheitskonferenz