: Föderale Atomkraft? Wie Söders Idee verpufft

von Kristina Hofmann
17.04.2023 | 14:59 Uhr
Das passiert Markus Söder selten. Er macht einen Vorschlag, aber niemand nimmt ihn so richtig ernst. Noch nicht einmal die, die auch für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke sind.

Bayerns Ministerpräsident Söder will Isar 2 auch nach dem AKW-Ende vergangenen Samstag weiter betreiben. Die Bundesregierung hat diesem Vorhaben eine klare Absage erteilt.

17.04.2023 | 02:09 min
Markus Söder scheint die Welt nicht mehr zu verstehen. Bei der Pressekonferenz nach der Vorstandssitzung der CSU in München wirkt der bayerische Ministerpräsident angefasst. Er beantwortet Fragen der Journalisten schulmeisterhaft mit Gegenfragen. Er kritisiert, der Fragesteller habe ja die ganze Pressekonferenz noch keinen einzigen Satz mitgeschrieben.
Und sagt am Schluss: "Ich hoffe auf eine Berichterstattung, die nicht den Eindruck erweckt, man sei doch zu sehr persönlich gebunden."

Vorschlag aus Wahlkalkül?

Söders Appell an die Bundesregierung, die Atomkraft in die Zuständigkeit der Länder zu stellen und damit das bayerische Kernkraftwerk Isar 2 weiterlaufen zu lassen, hat ihn in eine Defensivhaltung gebracht. Ein Vorschlag, weil Bayern auf Landtagswahlen im Herbst zusteuert? Das ist der Vorwurf.
Söder war 2011 noch vehement für den Ausstieg aus der Atomkraft und hatte sogar mit seinem Rücktritt als damaliger Umweltminister gedroht, weil dieser verzögert werden sollte. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima wollte man raus aus der Atomkraft, auch die Union. Jetzt sind die Umfragen anders.
Warum er den Vorschlag nicht früher gesagt habe, wird Söder gefragt. Eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ist kurzfristig kaum möglich: Weil die Sicherheitsüberprüfungen bis zu einem Jahr dauern, weil Brennstäbe fehlten und so weiter. Söder sagt, man habe bis zum Schluss auf Einsicht der Bundesregierung gehofft. Auch weil die FDP gegen die Abschaltung gewesen sei, habe man gehofft, dass sich noch etwas bewegt.
Wir haben einen ernstgemeinten Vorschlag gemacht.
Markus Söder (CSU)
Die Länder hätten ohnehin die fachliche und rechtliche Aufsicht über den Betrieb der Atomkraftwerke, so Söder. Die Reaktionen daher eher "hysterisch", sie zeugten vom "schlechten Gewissen" der Ampel-Koalition. Die habe "grob falsch gehandelt". Denn, sagt Söder: "Das Wohlstandseis wird jeden Tag dünner und schmilzt mehr."

Söders Kehrtwende in der Atompolitik

  • Als Markus Söder im Juni 2010 Umweltminister im Freistaat ist, macht er sich noch für eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke stark: "Wer Klimaschutz ernst nimmt, weiß: Wir sind weiter auf Kernkraft angewiesen", sagt er damals.
  • Nach der verheerenden Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 schwenken er und die Partei um auf einen Anti-Atom-Kurs.Nach heftigen internen Debatten setzt die CSU unter Parteichef Horst Seehofer im Mai 2011 als erste der drei damaligen Berliner Regierungsparteien CDU, CSU und FDP ein konkretes Ziel für den Ausstieg aus der Kernenergie fest: das Jahr 2022. "Es ist ein Lackmustest für die Glaubwürdigkeit, wie ernst wir es mit der Energiewende meinen", sagt Söder damals. In Bayern geht seinerzeit in dieser Frage der koalitionsinterne Krach mit Juniorpartner FDP über eine gemeinsame Linie so weit, dass Söder mit seinem Rücktritt als Umweltminister gedroht haben soll, sollte sich der Freistaat nicht auf das Ziel 2022 festlegen. Er habe von "tiefgreifenden Konsequenzen" für das Kabinett wie auch für ihn "ganz persönlich" gesprochen, heißt es.
  • Noch im November 2021 lehnt Söder einen Wiedereinstieg in die Kernenergie ab: "Der Beschluss zum Atomausstieg basiert auf einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz."
  • Doch mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 und den damit verbundenen Fragen nach der Sicherheit der Energieversorgung nimmt der CSU-Chef nun wieder einen neuen - oder seinen alten - Standpunkt ein.

Lemke-Ministerium: Söder kann Antrag stellen

Die Reaktionen in Berlin auf den Münchner Vorschlag sind jedoch viel weniger hysterisch als eher kühl bis gleichgültig. Wollte Bayern sein Atomkraftwerk weiter betreiben, müsste als erstes das Grundgesetz geändert werden. Artikel 73 legt fest: Der Bund hat die "ausschließliche Gesetzgebung" über die "Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb der Anlagen".
Sollten das künftig die Länder in Eigenregie übernehmen, braucht es zur Änderung eine zwei Drittel Mehrheit im Bundestag und Bundesrat. Ein Sprecher von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hält den Appell Söders an die Bundesregierung jedoch für unnötig:
Ich verrate kein Geheimnis: Bayern ist Mitglied des Bundesrates.
Bastian Zimmermann, Bundesumweltministerium
Söder müsse sich also gar nicht an den Bund wenden, will er die Grundgesetzänderung beantragen. Ob er eine Mehrheit in den Parlamenten dafür bekommt, ist eine andere Frage.

Lang: Meinungswechsel "wie andere die Unterhosen"

Die Stimmen der Grünen dürfte Söder wohl kaum bekommen. Parteivorsitzende Ricarda Lang warf ihm vor, er schüre Angst. Außerdem wechsele Söder beim Thema Atomkraft seine Meinung "wie andere die Unterhosen". Da sei es ganz gut, dass die Kompetenz beim Bund bleibe.
Auch bei der SPD dürfte er es schwer haben. "Politische Geisterfahrt" warf ihm SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil vor. Man habe die Laufzeiten verlängert, als es nötig war. Nun sei Schluss: "Wir brauchen Klarheit und nicht diesen Zickzackkurs der Union."

"Den erneuerbaren gehört die Zukunft, aber sie sind zurzeit nicht verlässlich", so die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Gitta Connemann, CDU. Sie kritisiert den beschlossenen Atomausstieg.

17.04.2023 | 05:15 min
Der dritte Ampel-Partner, die FDP, ist zwar auch für Laufzeitverlängerung. Aber offenbar nicht im Bund mit Söder. "Bis ein Gesetz zur Föderalisierung der Stromerzeugung aus Kernenergie beschlossen wäre, hätte er seine Meinung vermutlich wieder geändert", vermutet Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in der "Rheinischen Post".

CDU: Sympathie, aber keine Diskussion

Und die CDU? Söders eigene Parteifamilie? Der Vorstoß aus Bayern, so CDU-Chef Friedrich Merz an diesem Montag, finde bei der CDU "viel Sympathie". Die Alternativen für die Atomkraft würden von der Bundesregierung "praktisch ohne Bayern" gesucht, so Merz. Ein "unfreundlicher Akt" sei das. Überhaupt sei der Atomausstieg zum jetzigen Zeitpunkt eine völlig überstürzte und "rein ideologische" Entscheidung der Ampel.
Und stellt man sich nun hinter Söders Vorschlag? So weit dann doch nicht. Man habe heute weder im CDU-Präsidium noch CDU-Vorstand darüber gesprochen, wie Generalsekretär Mario Czaja einräumt. Man verstehe den "Unmut", so Czaja. Aber:
Die Ausgestaltung des bayerischen Vorschlags spielte in den Gremien der CDU keine Rolle.
Mario Czaja (CDU)

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