: Anne Spiegel und das Schweigen der Grünen
Als das grüne Spitzenduo um 14:45 Uhr aus dem Klinkerbau eines Husumer Tagungshotels in die Frühlingssonne tritt, wirkt ihre Mimik wie erstarrt. Und das liegt nicht allein am Make-up, das die beiden für die aufgereihten Fernsehkameras tragen. Ricarda Lang und Omid Nouripour sind sichtlich geschockt - über den Rücktritt der grünen Familienministerin Anne Spiegel. Aber vermutlich auch darüber, dass sie bei Spiegels Erkenntnis, dass dieser Schritt mindestens im Interesse der Partei unausweichlich war, auch noch nachhelfen mussten.
Minuten vorher hat Spiegel in einer kurzen E-Mail ihren Rücktritt als Familienministerin verkündet. "Aufgrund des politischen Drucks", wie sie schrieb, und um Schaden vom Amt abzuwenden.
Spiegel-Personalie verhagelt Grünen-Tagung in Husum
Eigentlich sollte es bei der Klausur des Grünen-Bundesvorstandes in Husum um den Ukraine-Krieg gehen, um Bevölkerungsschutz, die Zukunft der Energieversorgung. Spiegels Auftritt am Vorabend und neue Erkenntnisse über eine verheimlichte Urlaubsreise kurz nach der Hochwasserkatastrophe aber warfen alle Planungen über den Haufen. Wie Dominosteine fielen die fein abgestimmten Terminpunkte in Husum, während in der Hotellobby zwei Dutzend Medienschaffende zunehmend ungeduldig warteten.
Derweil ließ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über die stellvertretende Regierungssprecherin in Berlin ausrichten, er arbeite vertrauensvoll mit Spiegel zusammen. Aber was hieß das schon. Am Ende vielleicht nur, dass Scholz nicht derjenige sein wollte und sein würde, der den Stab über Spiegel brach. Das musste schon die grüne Spitze tun.
Kaum Unterstützung für Spiegel von Partei-Kollegen
Auffallend war jedenfalls an diesem langen Vormittag, dass von den Grünen nur wenig öffentliche Unterstützung für Spiegel, schon gar kein flammendes Plädoyer für ihren Verbleib im Amt zu hören war. Gerade auch nicht vom linken Flügel, der sich für ihre Ernennung zur Ministerin eingesetzt hatte. In den entscheidenden Stunden blieb es dröhnend still.
Bis eben Lang und Nouripour auftreten:
Wir haben größten Respekt vor ihrem Mut, vor ihrer Klarheit.
Spiegel habe "unglaublich gute Arbeit geleistet", betont Nouripour. Und dass es noch keine Nachfolgerin, keinen Nachfolger gebe.
Die Grünen wollen sich Zeit lassen. Immerhin das. Sie haben in den letzten Monaten genug Fehler in der Vorbereitung wichtiger Personalien gemacht. Annalena Baerbocks Kanzlerkandidatur hat sich nie erholt von Patzern wie dem geschönten Lebenslauf und vergessenen Sonderzahlungen, die ein funktionierender Parteiapparat eigentlich vor der Kandidatur hätte ausbügeln müssen.
Grüne machten Spiegel trotz Flut-Hypothek zur Ministerin
Und auch bei Anne Spiegel hätte bereits vor ihrer Berufung zur Familienministerin klar sein müssen, dass sie mindestens angeschlagen und risikobehaftet nach Berlin kommt. Schon im September 2021 hatte der Landtag von Rheinland-Pfalz einen Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe eingesetzt, der sich unter anderem auf Spiegels Fehler als Umweltministerin des Landes konzentrieren wollte. Spiegel wurde trotzdem Bundesministerin.
Nouripour behauptet am Ende des kurzen Statements, der Rücktritt Spiegels schade der Partei nicht. Aber das ist natürlich nur ein Teil der Wahrheit. Der schnelle Rücktritt birgt die Chance, dass der Schaden nicht allzu groß sein wird. Für die Wahlen in NRW und in Schleswig-Holstein. Dass er der Partei dennoch schadet, steht außer Frage. Dafür musste man nur in die Gesichter von Lang und Nouripour schauen.