Interview

: "Jedes Zeichen der Solidarität wichtig"

14.11.2022 | 21:07 Uhr
Anhaltende Unterstützung aus dem Westen - das forderte die belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja in Brüssel. Die Diktatur dürfe nicht Oberhand gewinnen, sagte sie im ZDF.
Die belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja rief die rief die EU auf, ihr Land nicht zu vergessen (Archivbild).Quelle: Marcin Obara/PAP/dpa
Swetlana Tichanowskaja führt aus dem Exil die belarussische Opposition an. Heute war sie zum Treffen der EU-Außenminister nach Brüssel eingeladen. Und forderte dort anhaltendes Engagement des Westens in Belarus - aber auch etwa in der Ukraine und Iran. Sanktionen seien dabei eines der wichtigsten Instrumente. Und fast noch wichtiger: das Nicht-Vergessen.
ZDFheute: Was erwarten Sie von der EU mit Blick auf Ihr Land Belarus?
Swetlana Tichanowskaja: Ich muss sagen, dass fast alle Instrumente, die wir gefordert haben, bereits eingeführt wurden. Jetzt ist es an der Zeit, die Maßnahmen konsequent weiterzuführen. Wir fordern also die Fortsetzung der politischen und wirtschaftlichen Isolierung des Lukaschenko-Regimes - wegen der Menschenrechtsverletzungen, wegen der Kriegsverbrechen, wegen der möglichen Stationierung von Atomwaffen auf dem Territorium von Belarus.
Lukaschenko trägt die volle Verantwortung für all diese Verbrechen. Unsere Partner müssen zeigen, dass sie seine Verbrechen nicht vergessen, sie ihn nicht legitimieren.
Swetlana Tichanowskaja
Auf der anderen Seite fordern wir mehr Unterstützung für die Zivilgesellschaft. Sie müssen verstehen, dass die Menschen in Belarus seit mehr als zwei Jahren mit ständiger Angst, Tyrannei und Unterdrückung leben und jeden Moment verhaftet werden können.
Wir brauchen also Energie, um weiterzumachen. Aber wenn man sich verlassen fühlt, wenn man sich vergessen fühlt, dann schafft man das nicht. Daher ist jedes Zeichen der Solidarität, jede Unterstützung für die Medien, die Menschenrechtsverteidiger oder unsere kulturellen Initiativen wichtig, damit die Menschen in Belarus verstehen, dass Europa an unserer Seite ist. Dass die Werte, für die wir kämpfen, in Europa verstanden werden.
ZDFheute: Was können Sanktionen bewirken?
Tichanowskaja: Sanktionen sind hilfreich, wenn sie einheitlich und gemeinsam verhängt werden und keine Schlupflöcher haben. In unserem Fall sind die Sanktionen gegen Lukaschenkos Regime ziemlich hart. Aber es gibt noch einige Schlupflöcher, die das Regime durch die Zusammenarbeit mit Drittländern umgehen kann.
Es ist also sehr schwierig, die Ergebnisse der Sanktionen richtig zu bewerten.
Deshalb ist es jetzt sehr wichtig, in Europa Mechanismen zu entwickeln, um die Einhaltung der Sanktionen zu überwachen.
Swetlana Tichanowskaja
ZDFheute: Was kann die EU gegen Diktaturen ausrichten?
Tichanowskaja: Die Situation etwa in Iran und in Belarus ist unterschiedlich, wir haben einen anderen Kontext. Belarus ist ein Teil Europas und als solches müssen wir behandelt werden. Das künftige Belarus gehört definitiv zur europäischen Familie. Aber generell gilt, dass Diktatoren in der Regel Organisationen, Regeln und Abkommen missachten. Deshalb ist es so schwer, mit einer Diktatur zu kämpfen.
Der einzige Weg ist, zu zeigen, dass die Demokratien vereint sind, dass die Demokratien nicht müde werden, diesen Kampf zu führen, dass die Demokratien ihre Zähne zeigen, dass ihre Einheit stärker ist als die Diktaturen in den verschiedenen Ländern. Wir brauchen Konsequenz, Einigkeit und Kampfbereitschaft.
Ich verstehe auch, dass die Menschen in den demokratischen und wohlhabenden Ländern der verschiedenen Probleme in der Welt, der Kriege überdrüssig sind.
Die Menschen wollen sich um ihr eigenes Leben kümmern. Ich denke aber, es ist eine moralische Verpflichtung eines jeden Menschen, nicht zu vergessen.
Swetlana Tichanowskaja
Wenn man in einem wunderbaren, wohlhabenden Land lebt, reichen manchmal ein paar kleine Schritte, um anderen Ländern, die sich gerade auf dem Weg zu demokratischen Veränderungen befinden, zu helfen. Ich bitte Sie, sich nicht von den Schwierigkeiten der Nachbarländer ermüden zu lassen.
Manchmal denke ich selbst, dass ich das nicht mehr tun kann, weil es so schwierig ist, gegen dieses diktatorische Regime zu kämpfen. Aber dann denke ich an die, die im Gefängnis sitzen, an die Tausenden politischen Gefangenen, an die Menschen, die in Belarus geblieben sind, um zu kämpfen. 
Denken Sie jeden Tag eine Minute an die, die in der Ukraine sterben, an die, die in belarussischen Gefängnissen körperlich gedemütigt werden, an die, die im Iran die Todesstrafe erhalten. Nur eine Minute Ihres Lebens.
Manchmal ist es leichter zu vergessen. Aber die Welt wird nicht besser werden, wenn eine Diktatur die Oberhand gewinnt.
Swetlana Tichanowskaja
Das Interview führte Isabelle Schaefers in Brüssel. 

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