: EU-Ratschef während Raketenangriff in Odessa

09.05.2022 | 23:33 Uhr
Der Besuch von EU-Ratspräsident Michel in Odessa muss unterbrochen werden, Selenskyj verbittet sich "Aneignung" des Siegs über Nazi-Deutschland durch Moskau. Tag 75 im Krieg.
In der ukrainischen Hafenstadt Odessa hat EU-Ratspräsident Michel mit dem ukrainischen Premierminister Shmyhal gesprochen. Quelle: Ukrainian Governmental Press Service via Reuters

Das Wichtigste in Kürze

  • Putin vergleicht Krieg in der Ukraine mit Kampf im Zweiten Weltkrieg
  • Selenskyj verbittet sich Russlands "Aneignung" von Sieg über Nazi-Deutschland
  • EU-Ratspräsident Michel muss sich in Odessa vor Raketenangriff in Sicherheit bringen
  • Ungarn kündigt Veto gegen EU-Sanktionsbeschluss zu russischem Öl an
  • Biden unterzeichnet Gesetz für Rüstungslieferungen an Ukraine

Anmerkung der Redaktion

Angaben zum Verlauf des Krieges oder zu Opferzahlen durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Seite können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Wir fassen für Sie im Folgenden die wichtigsten Entwicklungen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine zusammen. Weitere News-Updates zur Lage und zu Reaktionen erhalten Sie jederzeit auch in unserem Liveblog zu Russlands Angriff auf die Ukraine.

Das war Tag 75 im Ukraine-Krieg

  • EU-Ratspräsident Charles Michel hat sich während eines Besuchs in der ukrainischen Hafenstadt Odessa vor Raketenangriffen in Sicherheit bringen müssen. Michel habe ein Gespräch mit dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal unterbrochen, "um Schutz zu suchen, als erneut Raketen in der Region Odessa einschlugen", sagte ein EU-Vertreter.
  • Russland feiert am heutigen 9. Mai den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland. Tausende Soldaten sind über den Roten Platz marschiert, gefolgt von Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und Raketenwerfern. Eine Flugshow wurde abgesagt. Russlands Präsident Wladimir Putin würdigte in seiner Rede zum Tag des Sieges in Moskau den Einsatz der russischen Truppen in der Ukraine und zog Parallelen zum Kampf im Zweiten Weltkrieg.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verbat sich eine "Aneignung" des Sieges über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg durch Russland. "Heute feiern wir den Tag des Sieges über den Nationalsozialismus", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. "Wir sind stolz auf unsere Vorfahren, die gemeinsam mit anderen Nationen in der Anti-Hitler-Koalition den Nationalsozialismus besiegt haben." "Und wir werden nicht zulassen, dass sich jemand diesen Sieg aneignet", sagte Selenskyj weiter. "Wir haben damals gewonnen. Wir werden auch jetzt siegen".
  • ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf sagte in Kiew, Selenskyj habe Putins Auftritt mit dem Video vorausgegriffen. "Er dreht es eben genau um und er sagt: Die Ukraine hat Nazi-Deutschland bekämpft, zurückgeschlagen. Und die Ukraine wird genauso, wie sie es damals geschafft hat, Nazi-Deutschland zurückzuschlagen, es auch schaffen, heute die russische Armee hier zurückzuschlagen." Man habe es mit "einer Neuschreibung der Geschichte zu tun", betonte Eigendorf.
  • US-Präsident Joe Biden hat ein Gesetz unterzeichnet, das schnellere Waffenlieferung an die Ukraine ermöglichen soll. Der US-Präsident wird somit bis 2023 ermächtigt, der Ukraine und anderen Staaten in Osteuropa, die vom russischen Angriffskrieg betroffen sind, militärische Ausrüstung zu leihen oder zu verpachten. Bestimmte formale Anforderungen beim Prozedere sollen ausgesetzt werden. Ein ähnliches Leih- und Pachtgesetz hatte der US-Kongress 1941 während des Zweiten Weltkriegs verabschiedet.
  • Das britische Militär hat angesichts knapper werdender Vorräte Russlands an präzisionsgelenkter Munition vor noch größeren Zerstörungen im Krieg in der Ukraine gewarnt. Dass Russland diese Munition ausgehe, bedeute, dass sich Moskau zunehmend ungenaueren Raketen und Bomben zuwenden werde, die zu noch weitreichenderer Zerstörung führen könnten, hieß es in einem geheimdienstlichen Lagebild, das das britische Verteidigungsministerium bei Twitter veröffentlichte. 

Wie zuverlässig sind Angaben aus dem Ukraine-Krieg?

Viele Informationen, die uns aus dem Ukraine-Krieg erreichen, kommen von offiziellen russischen oder ukrainischen Stellen - also von den Konfliktparteien selbst. Solche Informationen sind deshalb nicht notwendigerweise falsch, aber zunächst nicht von unabhängigen Stellen überprüft. Eine solche Überprüfung ist wegen des Kriegsgeschehens oft nicht oder zumindest nicht unmittelbar möglich. Das ZDF trägt dieser Situation Rechnung, indem es Quellen nennt und Unsicherheiten sprachlich deutlich macht.

Zudem greifen die Informationsangebote des ZDF in ihrer Berichterstattung auf viele weitere Quellen zurück: Sie berichten mit Reportern von vor Ort, befragen Experten oder verweisen auf Recherchen anderer Medien. Zudem verifiziert ein Faktencheck-Team kursierende Aufnahmen und Informationen.

Warum werden dennoch Aussagen der Konfliktparteien zitiert?

Das ZDF ist in seiner Berichterstattung dem Grundsatz der Ausgewogenheit verpflichtet. Dazu gehört, grundsätzlich beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Gleichzeitig sehen wir es als unsere Aufgabe an, Aussagen auf Grundlage der vorliegenden Informationen einzuordnen und darüber hinaus - beispielsweise in Faktenchecks - Propaganda auch als solche zu entlarven und kenntlich zu machen.

Warum ist häufig von "mutmaßlich" die Rede?

Die Sorgfalt und Ausgewogenheit, denen das ZDF verpflichtet ist, beinhalten auch, sachliche Unwägbarkeiten transparent zu machen und Vorverurteilungen zu vermeiden. Ist ein Sachverhalt nicht eindeutig bewiesen, muss diese Unsicherheit offengelegt werden. Das geschieht in der Regel durch Formulierungen wie "mutmaßlich" oder "offenbar". Damit wird klar, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon ausgegangen wird, dass sich ein Ereignis so zugetragen hat wie dargestellt, die letzte Gewissheit allerdings (noch) fehlt.

Das gilt zum Beispiel auch bei der Berichterstattung über Gerichtsprozesse: Eine Person gilt so lange als "mutmaßlicher Täter", bis ein Gericht ein rechtskräftiges Urteil gesprochen hat.

Die Situation in den ukrainischen Städten:

  • In der Region Odessa im Süden der Ukraine sind nach Angaben des ukrainischen Militärs vier Raketen eingeschlagen. Es handele sich um Hochpräzisionsraketen vom Typ Onyx, die von der von Russland annektierten Halbinsel Krim aus abgeschossen worden seien.
  • Aus dem seit Wochen von russischen Truppen beschossenen Mariupol im Süden der Ukraine sind mehr als 170 Menschen herausgeholt worden. Dies teilte die UN-Nothilfekoordinatorin für das Land, Osnat Lubrani, mit. Die Evakuierten seien nach Saporischschja gebracht worden, einer Stadt im Südosten des Landes. Am Samstag hatten die letzten verbliebenen Zivilisten das Asov-Stahlwerk in Mariupol verlassen.
  • Der ukrainische Generalstab erklärte heute, in von Russland kontrollierten Gebieten in der Region Saporischschja hätten russische Truppen damit begonnen, "persönliche Dokumente der lokalen Bevölkerung ohne triftigen Grund zu beschlagnahmen". Mit den Beschlagnahmungen sollten die Menschen dort zur Teilnahme an Gedenkfeiern zum Tag des Sieges gezwungen werden, hieß es. 

Ukraine: Hier können Sie spenden

Quelle: ZDF
Wenn Sie helfen wollen, können Sie das durch eine Spende tun. Alle Informationen hierzu im Überblick.

Wie arbeitet das Aktionsbündnis?

Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.

Reaktionen und Folgen des russischen Angriffs:

  • Die USA setzen ihre Zölle auf ukrainischen Stahl für ein Jahr aus. Das Handelsministerium verweist auf die Bedeutung der Branche für die Wirtschaft des Landes. Der damalige US-Präsident Donald Trump verhängte 2018 Strafzölle von 25 Prozent auf Stahlimporte aus mehreren Staaten, darunter auch die Ukraine.
  • EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist vor dem Hintergrund der verfahrenen Verhandlungen um ein Öl-Embargo gegen Russland nach Ungarn gereist. Das Gespräch mit Premierminister Orban sei hilfreich gewesen, um Fragen im Zusammenhang mit Sanktionen und Energiesicherheit zu klären, schrieb sie auf Twitter. Zuvor hatte der ungarische Außenminister angekündigt, eine Entscheidung zu dem geplanten Importstopp zu blockieren.
Tweet von ZDF-Korrespondentin Anne Gellinek
  • Nach Ungarn, der Slowakei und Tschechien fordert auch Bulgarien eine Ausnahme vom geplanten russischen Öl-Embargo der EU. Andernfalls werde Bulgarien sein Veto einlegen, sagt der Vize-Ministerpräsident Assen Wassilew dem bulgarischen Sender BNT. Eine Ausnahme sei notwendig, weil die bulgarische Raffinerie Burgas Zeit für die Ausweitung ihrer Entschwefelung benötige, sollte sie nur noch nicht-russisches Öl verarbeiten.
  • Großbritannien hat neue Sanktionen gegen Russland und Belarus verhängt, darunter Einfuhrzölle auf Edelmetalle und Exportverbote. Die Strafzölle unter anderem auf Platin und Palladium betreffen ein Handelsvolumen von insgesamt 1,4 Milliarden Pfund (1,6 Milliarden Euro). Die Exportverbote für Waren im Wert von 250 Millionen Pfund richten sich gegen die russische Industrie.
  • Die EU-Kommission will bereits im Juni beurteilen, ob die Ukraine offizieller EU-Beitrittskandidat werden kann. Das gab Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter bekannt. Unterdessen hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Hoffnungen auf einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine gedämpft. Das Verfahren könne "Jahrzehnte" dauern, sagte er. Macron schlug die Schaffung einer "europäischen politischen Gemeinschaft" für die Ukraine und andere beitrittswillige Länder vor.

Das passierte an Tag 74:

Der ukrainische Präsident schließt die Befreiung von Mariupol derzeit aus. In Berlin tobte ein Streit um das Verbot ukrainischer Flaggen beim 8. Mai-Gedenken. Eine Übersicht von Tag 74 im Ukraine-Krieg:
Quelle: dpa, Reuters, AP, AFP, ZDF

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