FAQ
: EU stuft Atomkraft und Gas als nachhaltig ein
02.02.2022 | 12:54 Uhr
Die EU-Kommission hat Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich eingestuft. Warum ist das problematisch? Fragen und Antworten.Sind Gaskraftwerke und Atomkraft gut für das Klima? Nach Ansicht der EU-Kommission zumindest vorübergehend. Das hat die Brüsseler Behörde heute entschieden. Trotz massiver Kritik im Vorfeld hat sie einen sogenannten delegierten Rechtsakt angenommen, der Investitionen in Gas und Atomkraft künftig als klimafreundlich einstuft und damit die Klimawende ankurbeln soll.
Klimaexperten und einige Mitgliedsstaaten - darunter auch Deutschland - haben den Entwurf ganz oder in Teilen kritisiert.
Worum geht es bei der Taxonomie-Debatte?
Mit der sogenannten Taxonomie sollen Bürger und Investoren klare Informationen darüber bekommen, welche Finanzprodukte dem Klimaschutz nutzen. Die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Dafür werden laut Schätzungen der EU-Kommission rund 350 Milliarden Euro an Investitionen pro Jahr gebraucht.
Darin sollen alle umwelt- und klimafreundlichen Bereiche der Wirtschaft aufgeführt werden, um es Anlegern und Bürgern leichter zu machen, Geld in die richtigen Projekte zu stecken. Unternehmen erhalten bis zu 100 Punkte, je nachdem, wie sehr die Aktivitäten mit der Taxonomie in Einklang sind.

Brüssel schlägt vor, Investitionen in Atomkraft unter bestimmten Umständen als nachhaltig und klimafreundlich zu klassifizieren. Es regt sich Widerstand, Österreich will klagen.
03.01.2022 | 01:46 minWarum wird die Taxonomie so kontrovers diskutiert?
Die Taxonomie ist umstritten, da sie Weichen für große Finanzströme stellen könnte. Bislang gibt es verschiedene Labels für "grüne" Geldanlagen. Die Taxonomie soll Klarheit schaffen und eigentlich Greenwashing - also die Klassifizierung von nicht nachhaltigen Technologien als nachhaltig - verhindern.
Wissenschaftler, Umweltschützer und einige Investoren haben jedoch kritisiert, dass die Taxonomie Greenwashing fördert, anstatt es zu verhindern.
- Denn Gas soll mit aufgenommen werden, obwohl der fossile Brennstoff klimaschädliches Kohlenstoffdioxid (CO2) und Methan ausstößt.
- Bei der Atomkraft wird kritisiert, dass es noch keine Lösung für die Lagerung gefährlicher radioaktiver Abfälle gibt.
Verfechter des Rechtsakts argumentieren, dass Investitionen in Gas und Atomkraft als Übergangstechnologien nötig sind, um die Energiesicherheit während der Klimawende zu gewährleisten - da erneuerbare Energien ihrer Meinung nach noch nicht ausreichend ausgebaut sind.
Was bedeutet das für den Ausbau von Gas- und Atomkraftwerken?
Durch die Taxonomie erhoffen sich Länder wie Frankreich oder Polen mehr privates Kapital für den Bau von Atomkraftwerken. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Mitgliedsstaaten in Atomkraftwerke investieren müssen - Deutschland etwa lehnt das ab. Die Bundesregierung sieht Gas hingegen als "Brückentechnologie" und will neue Gaskraftwerke bauen. Diese könnten durch die "grüne" Einstufung von Gas in der Taxonomie gefördert werden.
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Unter welchen Bedingungen werden Gas und Atomkraft als klimafreundlich gekennzeichnet?
Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden. Im ursprünglichen Entwurf war die Beimischung von klimafreundlichen Gasen schon ab 2026 vorgeschrieben. Das bedeutet, dass Gaskraftwerke nun unter Umständen länger höhere Anteile an verschmutzendem Erdgas nutzen können.
Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiven Abfalls ab spätestens 2050 vorliegt. Wie genau die Auflagen jedoch überprüft werden sollen - ob das etwa die Verantwortung der Investoren ist - ist bislang unklar.
Wie geht es weiter?
Nach der Annahme durch die Kommission haben die EU-Staaten und das Europäische Parlament nun mindestens vier Monate Zeit, den Vorschlag abzulehnen. Dafür ist jedoch ein Zusammenschluss von mindestens 20 EU-Ländern nötig, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, oder eine Mehrheit im Parlament.
Findet sich keine Mehrheit - was bislang als wahrscheinlich gilt - tritt der Rechtsakt automatisch in Kraft. Österreich und Luxemburg haben bereits gedroht, gegen den Rechtsakt vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu klagen. Laut einer Studie von Rechtsexperten des Centrums für Europäische Politik (CEP) könnte solch eine Klage Erfolg haben, da die Kommission mit der Einstufung womöglich ihre Kompetenzen übersteige.
Quelle: dpa