: So chaotisch lief Russlands Teilmobilmachung

von Nina Niebergall
25.10.2022 | 18:33 Uhr
Tausende Rekruten wurden schlecht ausgebildet an die Front geschickt. Die ersten kehren in Särgen heim. Warum die Teilmobilmachung so schief lief - und längst nicht zu Ende ist.
Eben erst einberufen, schon im Krieg gefallen - die ersten russischen Rekruten sind bereits tot.Quelle: dpa
Vor den Häusern einer Straße mitten in St. Petersburg warten sie auf männliche Bewohner. Vor jeder Tür zwei Mitarbeiter des Einberufungsamtes - bereit, den Einberufungsbescheid auszuhändigen. Diese Szene beschreibt am 20. Oktober ein lokales Nachrichtenmagazin. In der Nachbarschaft hätte man daher geraten "geht zu den Fenstern raus."
Solche Berichte gibt es dieser Tage viele. Von Männern, die auf offener Straße, in der Metro-Station, im Einkaufszentrum einberufen werden, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Von Männern, die sterben, weil sie schlecht ausgerüstet und noch schlechter ausgebildet an die Front geschickt werden.

Ende der Teilmobilmachung?

Hunderttausende sind geflohen. Und der Kreml versucht verzweifelt, den Geist wieder zurück in die Flasche zu zwingen. Am 14. Oktober erklärte Putin daher:
Ich denke, dass im Verlauf von ein, zwei Wochen alle Mobilmachungsmaßnahmen abgeschlossen werden.
Russlands Präsident Wladimir Putin am 14. Oktober 2022
Das hieße: Ende Oktober ist Schluss. Inzwischen sind laut russischen Behörden 260.000 Männer im Rahmen der Teilmobilmachung eingezogen worden. Nico Lange, Politikwissenschaftler und Russland-Experte, sagt dazu:
Man ist jetzt im Krisenmanagement-Modus, weil diese Teilmobilmachung total schiefgegangen ist. Die reinste Katastrophe. Und Putin hat sich eine weitere Front im Inland damit aufgemacht. Jetzt versucht er ganz sicher nur, die Folgen kommunikativ ein bisschen abzumildern.
Politikwissenschaftler Nico Lange

Kritik von allen Seiten

Zu lange hatte der Kreml von einer "militärischen Spezialoperation" gesprochen. Und plötzlich sollten hunderttausende Söhne, Väter, Ehemänner in der Ukraine kämpfen? Die Kritik an der chaotischen Teilmobilmachung kam von allen Seiten, auch von der kremltreuen Rechten.
Am 13. Oktober erinnert Natalya Loseva, stellvertretende Chefredakteurin des Senders RT, an Alexei Martynov. Martynov war 28, als er eingezogen wurde. Und brisanterweise Mitarbeiter der Moskauer Stadtregierung. "Null Kampferfahrung", schreibt Loseva auf Telegram. Nur 17 Tagen nach seiner Mobilisierung war er tot.
Militärführer, jetzt ist nicht die Zeit zu lügen. Ihr solltet überhaupt nicht lügen. Aber jetzt ist es ein Verbrechen.
Natalya Loseva, stellvertretende RT-Chefredakteurin

Tod schon vor der Front

Häufig kamen die Rekruten aus Russlands armen Gegenden, ethnische Minderheiten aus Burjatien, Dagestan, Jakutien. Manche schafften es gar nicht erst an die Front. So wurden etwa bei einer Schießerei in einer Militärbasis nahe Belgorod am 15. Oktober elf russische Soldaten getötet und 15 verletzt. Die zwei Schützen sollen zwangsrekrutierte russische Staatsbürger mit tadschikischem Hintergrund gewesen sein.
Immer wieder musste der Kreml einräumen, dass viel schief läuft bei dieser Teilmobilmachung. Etwa bei einem Online-Treffen mit den neu gewählten Gouverneuren am 10. Oktober. "Die Probleme häufen sich schon", sagte Putin da.

Wie weit eskaliert der Krieg?

27.09.2022 | 07:55 min
Vergangene Woche kündigte die russische Staatsduma an, dass etwa 10.000 fälschlicherweise mobilisierte Männer wieder nach Hause geschickt werden sollen.

Mobilisierung geht schleichend weiter

Alles wieder unter Kontrolle in Moskau? Können womöglich gar die vielen geflohenen Reservisten nach Hause zurückkehren? Wohl kaum.
Dagegen spricht etwa, dass in den vergangenen Tagen mehrere Gesetze verabschiedet wurden, wonach etwa mobilisierte Bürger ihre Arbeitsverträge nach ihrer Rückkehr wieder aufnehmen können.
Es sollte für keinen überraschend sein, dass die russische Führung lügt. Sie lügt permanent. Und so ist das diesmal auch. Bisher ist allerdings nicht zu erkennen, dass die Teilmobilmachung militärisch etwas bringt.
Politikwissenschaftler Nico Lange
Aber wenn die jungen Männer an die Front müssen, so Lange, dann demonstrierten sie zumindest nicht gegen Putin.

Ukraine: Hier können Sie spenden

Quelle: ZDF
Wenn Sie helfen wollen, können Sie das durch eine Spende tun. Alle Informationen hierzu im Überblick.

Wie arbeitet das Aktionsbündnis?

Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

Themen

Mehr zum Thema

Aktuelle Nachrichten zur Ukraine