: Kandidat Ince gibt auf

von Jörg Brase
11.05.2023 | 15:52 Uhr
Der Druck wurde zu groß: Muharrem Ince zieht seine Kandidatur kurz vor der Türkei-Wahl zurück. Er ist ein ehemaliger Weggefährte des Erdogan-Herausforderers Kilicdaroglu.
Nicht mehr im Rennen um Präsidentschaft: Muharrem InceQuelle: reuters
"Ich tue es für mein Vaterland," sagte Muharrem Ince am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Ankara. Er ziehe seine Kandidatur um das Präsidentenamt zurück. Drei Tage vor der Wahl in der Türkei am kommenden Sonntag sind damit nur noch drei Kandidaten im Rennen.
Neben den beiden Hauptkontrahenten - Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und Kemal Kilicdaroglu (der für die "Nationale Allianz", ein Oppositionsbündnis von sechs Parteien, antritt) - ist das Sinan Oğan vom rechtsnationalistischen Bündnis ATA. Oğan kommt in Umfragen auf 2,5 bis 4,5 Prozent. Ein Zählkandidat, ähnlich wie es Muharrem Ince auch war.

Es ist ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen Präsident Erdogan und Herausforderer Kilicdaroglu. Die Opposition fürchtet Betrug, wie die Zählung gefälschter Stimmen von Toten des Erdbebens.

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2018 im ersten Wahlgang gegen Erdogan verloren

Bei der Präsidentschaftswahl 2018 war Ince noch als Präsidentschaftskandidat der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP gegen Erdogan angetreten und hatte bereits im ersten Wahlgang verloren. Als er danach auch im Machtkampf innerhalb der CHP gegen Parteichef Kilicdaroglu unterlag, verließ er die CHP und gründete seine eigene Partei Memleket (Vaterland).
Als deren Kandidat wollte er nun erneut antreten, allerdings waren seine Zustimmungswerte zuletzt auf unter zwei Prozent gefallen. Unterstützung erfuhr Ince anfangs wohl vor allem von Protestwählern und Jüngeren. Kritiker sahen darin eine Schwächung des Erdogan-Herausforderers Kilicdaroglu.

Am 14. Mai 2023 wird in der Türkei gewählt. Wählt das Land wieder Erdogan und zementiert seine Autokratie? Oder gelingt die Rückkehr zu einer parlamentarischen Demokratie?

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Druck auf Ince wurde zu groß

Auch innerhalb seiner eigenen Partei wuchs daraufhin der Druck, seine aussichtslose Kandidatur zurückzuziehen, um eine Abwahl Erdogans zu unterstützen. Nachdem in den vergangenen Tagen zudem Korruptionsvorwürfe laut wurden und kompromittierende Videos aufgetaucht waren, gab Ince dem Druck schließlich nach.
Zwar seien die Vorwürfe falsch und die Videos gefälscht, behauptete Ince, doch wolle er der Opposition keinen Vorwand liefern, sollte es Kilicdaroglu nicht gelingen, Präsident Erdogan am Sonntag zu besiegen: "Ich will nicht, dass sie eine Ausrede haben," meint Ince am Donnerstag.

Vor der Türkei-Wahl deutet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen an. Das Sechs-Parteien-Bündnis um Herausforderer Kilicdaroglu verspricht, Demokratie und Meinungsfreiheit zurückzubringen.

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Kilicdaroglu wollte Ince zum Rückzug bewegen

CHP-Kandidat Kemal Kilicdaroglu hatte in mehreren Gesprächen mit Ince versucht, den ehemaligen Parteigenossen zum Rückzug zu bewegen. Doch ohne Erfolg. Nun verzichtet Ince also doch.
Ob es Absprachen im Hintergrund gab, ist ebenso ungewiss, wie die Frage, ob Inces Unterstützer nun mehrheitlich in Kilicdaroglus Lager wechseln und dessen Chancen steigen, bereits im ersten Wahlgang einen Sieg zu erzielen. Zwar liegt der Herausforderer in einigen Umfragen bei über 50 Prozent, doch rechnen die meisten Beobachter nach wie vor mit einer Stichwahl Ende Mai.
Im Rennen um das Präsidentenamt stehen nun neben Amtsinhaber Erdogan und Oppositionsführer Kilicdaroglu noch Sinan Ogan, Kandidat einer ultranationalistischen Allianz.
Jörg-Hendrik Brase ist Leiter des ZDF-Auslandsstudios Istanbul.

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