: Sind EU-Gelder bei Orban sicher?

von Britta Hilpert
24.11.2022 | 12:35 Uhr
Es ist eine Premiere: die EU sperrte Ungarn Fördergelder wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit. Orban gibt nun nach - ein bisschen. Reichen die Reformen?
In Ungarn ist Druck im Kessel: Seit Wochen demonstrieren Lehrer, Eltern und Schüler wegen zu geringer Gehälter und Bildungsnotstand. Seit Frühjahr mehren sich Proteste auch wegen Steuererhöhungen, Umwelt, Inflation. Orbans Regierung braucht Geld, um das Land zu befrieden. Doch Brüssel hält seit September Milliarden an Fördergeldern zurück - Ungarn muss sich erst reformieren, sagt die Europäische Union.
Ungarns Rechtsstaatlichkeit muss verbessert werden um das Geld  europäischer Steuerzahler zu schützen vor Korruption und Betrug. Seit Wochen geht es zwischen Budapest und Brüssel hin und her, Orban macht in kleinen Schritten Zugeständnisse - aber können die Reformen das System Orban brechen?
"Dies wird wohl eine verpasste Gelegenheit", meint der Korruptionsexperte Milos Ligeti von Transparency International. Man beschränke sich zu sehr darauf, EU-Fördergelder zu schützen - und nicht so sehr EU-Werte, wie Rechtsstaatlichkeit. Das sei nicht nachhaltig, meint der Experte.

EU fordert mehr Wettbewerb bei Ausschreibungen

Ein Beispiel: die EU will, dass mehr Wettbewerb herrscht bei öffentlichen Ausschreibungen. Oft ist es in Ungarn so, wie in der Stadt Györ:
Hier entsteht ein riesiges Erlebnisbad. Geplant war eine Bausumme von 8,5 Milliarden HUF (rund 21,5 Millionen Euro). Nach einer öffentlichen Ausschreibung wurde der Auftrag vergeben - für 19 Milliarden HUF (etwa 47,5 Mio Euro). Inzwischen ist man bei 21 Milliarden HUF Bausumme. Natürlich zum Teil finanziert vom europäischen Steuerzahler.
Bei der Ausschreibung für das prestigeträchtige Projekt gab es nur einen Bieter: ein Konsortium zweier Baufirmen, beide eng verstrickt mit der Regierung, eine der Firmen gehört zu dem Imperium von Orbans Kindheitsfreund Lörinc Meszaros. 

Unterbezahlung und Lehrermangel - mit Protesten machen Lehrkräfte, Eltern und Schüler auf die großen Probleme der Bildungspolitik von Ministerpräsident Orban aufmerksam.

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Künftig mehr Interessenten für Ausschreibungen

Es gibt (bisher) keine Anzeichen von Betrug. Es hat eben nur einer ein Angebot eingereicht, und das war nicht gerade billig. Glück gehabt, würde Lörinc Meszaros wohl sagen - aber illegal ist das nicht.
Die EU findet, dass so etwas in Ungarn zu häufig vorkommt und verlangt, dass der Prozentsatz der "one-bidder-tender" sinkt. Es soll also künftig weniger Ausschreibungen mit nur einem Interessenten geben. Theoretisch verschärft das den Wettbewerb und lässt Preise sinken.

System Orban beherrscht Politik, Wirtschaft und Behörden

Aber das, so sagt Miklos Ligeti, bringe nichts: "Ein paar freundliche Mitbieter lassen sich immer arrangieren", bei denen revanchiert man sich bei anderer Gelegenheit. Dass diese Absprachen auffliegen, muss man in Orbans Ungarn kaum befürchten.
Denn das System Orban beherrscht Politik, Wirtschaft und Behörden: mangelnder Wettbewerb und gezinkte Ausschreibungen machen Orbans Freunde reich, Polizei und Justiz lassen sie dabei unbehelligt.

Ob in Italien, Ungarn oder Polen: Rechte Parteien und Nationalisten verzeichnen in Europa zunehmend Erfolge und lassen das Gemeinschaftsprojekt "EU" hilflos aussehen.

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EU verlangt Rückzahlung - ungarische Ermittlungen ergebnislos

Ein weiteres Beispiel: Reichlich Belege und Hinweise auf Betrug und Absprachen überreichte im Dezember 2017 die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF der ungarischer Staatsanwaltschaft im Elios-Fall. OLAF verlangte 100 Prozent Rückzahlung der EU-Fördergelder: 43,7 Millionen Euro. 
Nach einigen Monaten stellte Ungarns Polizei die Ermittlungen ein: keine Hinweise auf kriminelle Aktivitäten, hieß es. Orbans Schwiegersohn István Tiborcz war einer der Nutzniesser im Elios-Fall.

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EU fordert Unabhängigkeit der Justiz

Die EU verlangt nun die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken - doch das informelle Netzwerk der Macht ist in Ungarn fest etabliert: wer sich gegen Orban stellt, bekommt Probleme. Es wurden schon Richter entlassen, wegen vermeintlicher "Unfähigkeit". In Ungarns Wirtschaft tauchen immer die gleichen paar Namen auf: Tiborcz und Meszaros sind in Orbans Regierungszeit reich geworden.
Die EU-Kommission hätte stärker durchgreifen müssen, meint Miklos Ligeti: "Es geht in die richtige Richtung, aber es ist halbherzig."  Er hofft nun, dass selbst diese kleinen Zugeständnisse nun eng überwacht werden.
Britta Hilpert ist Korrespondentin im ZDF-Studio Wien.

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