: Wie die USA Putin entgegentreten

von Elmar Theveßen, Washington
27.10.2022 | 19:48 Uhr
Die USA warnen ihre Verbündeten davor, sich von Putins atomarer Drohungen im Ukraine-Krieg einschüchtern zu lassen. Der Westen müsse Russland entschlossen entgegentreten.

Der Krieg wird die globalen Kräfteverhältnisse verschieben. Wird sich die Welt in zwei Lager teilen und was ist der Preis der Freiheit?

26.10.2022 | 14:10 min
Amerika hat viele Kriege geführt – aus Machtinteressen, aber auch für Freiheit und Demokratie. Könnte der Krieg in der Ukraine nun wirklich deren Ende bedeuten? Als die Sowjetunion 1962 Atomraketen auf Kuba stationierte, da hielt die Welt den Atem an. Doch die Entschlossenheit und die klaren Ansagen der US-Regierung verhinderten die nukleare Katastrophe. Die Botschaft, dass solch ein Krieg keine Sieger hinterlassen würde, konnte Sowjetführer Chruschtschow nicht missverstehen.

Historiker: Erpressern keine Zugeständnisse machen

Nur weil Amerika hart blieb, gab es in den Jahrzehnten danach keine vergleichbare Situation, keinen Weltkrieg, so meint Timothy Snyder, Historiker an der Yale University, dass ein Atomkrieg dann unwahrscheinlicher werde, wenn man von ihm abschrecke. Denn wenn er wahrscheinlicher werden solle, müsse man nur der Erpressung nachgeben. Das lehre Erpresser, es öfter zu tun.
Sie bringen potenziellen Diktatoren mit Atomwaffen bei, dass nukleare Erpressung funktioniert.
Timothy Snyder, Historiker
Deshalb, so Snyder, dürfe man "in solch einem Fall keine Zugeständnisse machen, denn das macht einen konventionellen und einen nuklearen Krieg wahrscheinlicher", so Snyder.
Diese Lehre aus der Geschichte leitet auch US-Präsident Joe Biden. Deshalb sprach er nach Putins Atomdrohungen öffentlich und unmissverständlich von Armageddon - zur Abschreckung: "Ich richte mich direkt an Putin, wenn ich so etwas sage", so Biden in einem CNN-Interview, "er darf nicht weiter ungestraft über den Einsatz von taktischen Atomwaffen reden, als wäre so ein Einsatz rational.
Ein Fehler, eine Fehleinschätzung, niemand kann sicher sein, was passiert, und das könnte zu Armageddon führen." Deshalb starten, wie damals in der Kubakrise, täglich U2-Aufklärungsflugzeuge. Sie sollen die Welt alarmieren, wenn Russlands Atomwaffen wirklich in Stellung gebracht werden.

Der Winter kommt und die Menschen in der Ukraine müssen sich auf die Kälte vorbereiten. Zerstörte Häuser werden wieder aufgebaut und für die Soldaten werden Öfen bereitgestellt.

27.10.2022 | 06:00 min

Putins mächtige Waffe ist die Angst

Aber Wladimir Putin hat schon erreicht, was er wollte: Angst verbreiten. Viele Menschen, vor allem in Europa und Deutschland sind bereit, ihm nachzugeben. Dabei lassen doch die Ukrainer, die dem täglichen Terror ausgesetzt sind, wissen, dass sie nach einem Atomschlag noch entschlossener weiterkämpfen würden. Es gebe keinen Grund, Putin nachzugeben, meint deshalb General a.D. Ben Hodges. Er war von 2014 bis Dezmber 2017 Kommandeur der US-Armee in Europa.
Hodges fragt frei heraus, warum man überhaupt einen Deal mit Putin in Erwägung ziehen müsse. Wäre zum Beispiel Deutschland bereit ihm Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern zu überlassen nur um des Frieden willens? "Jeder, der so denkt, hat wirklich ein märchenhaftes Bild von Wladimir Putin und von der Denke des Kremls, wenn sie glauben, dass sie sich damit zufriedengeben, nur ein Stück Ukraine zu behalten."

Putin hat die Ukraine eigentlich mal wohlwollend betrachtet

Wie wenig Putin zu trauen ist, zeigt ein Blick in Geschichte. 2002 beim Gipfeltreffen zwischen der Nato und Russland in Rom hatte Wladimir Putin der Ukraine eigentlich ein Versprechen gegeben. Damals ging es um die Frage, ob das Land Mitglied der Nato werden könnte. Die Regierung in Kiew wollte es.
Die Nato-Partner zu diesem Zeitpunkt nicht, obwohl Moskau offenkundig damit kein Problem gehabt hätte: "Die Ukraine ist ein unabhängiger, souveräner Staat, der über seinen Weg zu Frieden und Sicherheit selbst entscheidet", so Putin bei der Pressekonferenz am 28. Mai 2002, "ich sehe hier nichts Problematisches, was einen Schatten auf die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine werfen könnte."

Seit Beginn des Angriffskrieges fliehen viele Ukrainerinnen und Ukrainer in das benachbarte Polen. Und dort fragen sich viele, wie lange sie den Geflohenen noch helfen können.

27.10.2022 | 10:20 min
Trotzdem ließ Putin 2014 die Krim erobern und Panzer in die Ostukraine rollen, so wie 2008 schon in Georgien und Moldawien. 2022 war die logische Folge, absehbar. Der Ukraine-Krieg ist Teil einer Kette von Kriegen, deren Ende nicht in Sicht ist, wenn Putin nicht gestoppt wird. Deshalb sieht die US-Regierung einen Zwang, all jene Waffen zu liefern, die nicht nur die Niederlage der Ukraine verhindern, sondern sogar einen Sieg gegen Russland ermöglichen.   

Snyder: "Ukraine-Krieg ist auch ein deutscher Krieg"

Im Pentagon liegen auch Pläne parat für eine massive Antwort auf einen russischen Atomschlag – nicht nuklear, sondern konventionell, direkte Angriffe, um die russischen Streitkräfte in der Ukraine kampfunfähig zu machen. Die US-Regierung, so Leon Panetta, einst CIA-Chef, dann Verteidigungsminister, werde wie einst in der Kubakrise entschlossen handeln und offen kommunizieren:
Es gibt nur diese Antwort für die Vereinigten Staaten und die NATO, um Putin klarzumachen, dass es dann keine Einschränkungen bei der Unterstützung für die Ukraine mehr gibt, und dass er dadurch am Ende besiegt wird.
Leon Panetta, ehm. CIA-Chef
Panetta ist fest davon überzeugt, dass die USA und ihre Verbündeten dem russischen Aggressor Putin die Stirn bieten müssen, weil es langfristig um den Erhalt der liberalen Weltordnung gehe: "Was immer in diesem Krieg geschieht, verrät uns einer Menge über die Zukunft der Demokratie im 21. Jahrhundert. Es geht darum, ob wir einen Tyrannen stoppen können, der eine souveräne Demokratie übernehmen will. Das ist eine sehr wichtige Botschaft an Autokraten in aller Welt."

Wie verändert der Ukraine-Krieg die Welt?

Was macht der Ukraine-Krieg mit uns und der Welt? Menschen und Staaten blicken mit großer Sorge auf den kommenden Winter – nicht nur wegen der kalten Temperaturen. Das ZDF auslandsjournal berichtet darüber in der Dokumentation-Reihe "Winter is coming“ – Korrespondentinnen und Korrespondenten aus der ganzen Welt zeigen, wie sich dieser Krieg mitten in Europa auf scheinbar alles auswirkt. Alle Teile können Sie in der ZDF-Mediathek und auf dem ZDFheute YouTube-Kanal sehen.
Die Geschichte lehrt, dass aus düstersten Tagen Gutes entstehen kann. Amerikanische und sowjetische Soldaten kämpften im Zweiten Weltkrieg für die Befreiung Europas. So konnte Deutschland, das den schrecklichsten aller Kriege entfesselte, zu einer führenden Demokratie werden – das verpflichtet, meint der Historiker Timothy Snyder:
"Der Ukraine-Krieg ist auch ein deutscher Krieg, sogar mehr ein deutscher als ein amerikanischer, ob die Deutschen das erkennen oder nicht." Nach der Meinung Timothy Snyders treffe der Krieg die EU auch direkter als die USA. Die Bundesregierung müsse ihn deswegen auch offen als ihren Krieg anerkennen und das kommunizieren. "Die Voraussetzung für das Überleben und den Erfolg eines geopolitischen, europäischen Projekts ist ein ukrainischer Sieg in diesem Krieg", so Snyder.  

Schweden und Finnland wollen schnellstmöglich in die NATO. Der Grund: Schutz vor dem mächtigen Nachbarn Russland. Geht der Plan auf?

27.10.2022 | 11:18 min
Wladimir Putin wollte die Geschlossenheit der westlichen Wertegemeinschaft zerstören. Stattdessen hat er sie durch seine Aggression zusammengeschweißt und gestärkt – mit neuen Partnern wie Schweden und Finnland. Russlands Erpressungsversuche laufen ins Leere:
Das ist der letzte Winter, in dem Russland Gas als Hebel gegen uns benutzen kann.
Ben Hodges, ehemaliger General
Und sagt weiter: "Es ist nicht der letzte Winter, in dem wir uns mit Russland abgeben müssen. Aber wenn wir zusammenbleiben, dann kommen wir durch diesen Winter und sind im nächsten Sommer in einer viel besseren Lage." Natürlich verfolgt Amerika bei all dem auch seine Machtinteressen. Aber es geht eben auch darum, Freiheit und Demokratie zu verteidigen gegen den Autoritarismus.
Elmar Theveßen leitet das ZDF-Studio in Washington.
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