: Vergewaltigung als Kriegswaffe
von Ninve Ermagan
21.04.2022 | 21:59 UhrRuanda, Bosnien, Irak - die Vergangenheit zeigt, dass Vergewaltigungen systematisch als Kriegswaffe eingesetzt werden. Das Ziel dabei ist, Frauen wie Männer zu erniedrigen und ganze Gemeinschaften zu zerstören.
Kriegsberichterstatterin: Sexuelle Gewalt ist "gezielte Waffe"
Die Kriegsberichterstatterin Christina Lamb illustriert in ihrem Buch "Unsere Körper sind euer Schlachtfeld", dass Kriege auf den Körpern der Frauen ausgetragen werden. Seit Armeen in den Kampf ziehen, so Lamb, sei sexuelle Gewalt ein Teil dieser Strategie und eine gezielte Waffe zur "Erniedrigung des Feindes".
Auch zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden massenhaft Frauen vergewaltigt. Die Verbrechen wirken bis heute in den Familien und nachkommenden Generationen nach. Die deutschen Frauen seien eine Belohnung, eine Art Trophäe gewesen, die die Siegermächte gewonnen hatten, erklärt die Historikerin Miriam Gebhardt.
Vergewaltigungen im Krieg als Machtdemonstration
Es gehe den Vergewaltigern nicht um das Ausleben sexueller Begierden, erklärt Mirsad Tokaca, Leiter des "Research and Documentation Center" in Sarajewo, das Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Bosnien und Herzegowina erforscht.
Es ist sexueller Ausdruck von Aggression.
Der sexuelle Akt stehe an zweiter Stelle; vielmehr gehe es um eine reine Machtdemonstration: Der Täter wolle sich gegenüber seinem schwachen Opfer überlegen fühlen, seine "Gelüste von blankem Sadismus" ausleben, so Tokaca.
Offenbar auch Vergewaltigungen durch russische Soldaten im Ukraine-Krieg
Die Vergewaltigung - eine Form der Folter. Diese Taktik setzt nun offenbar auch die russische Armee ein, um die feindliche Gruppe, das ukrainische Volk, zu demütigen und zu entmenschlichen.
Die ukrainische Aktivistin Kateryna Cherepakha sprach vor dem UN-Sicherheitsrat von Massenvergewaltigungen, dem Missbrauch ukrainischer Töchter vor den Augen der Familie - und von Müttern, die in Anwesenheit der Kinder vergewaltigt worden sind.
Auch die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denissowa, berichtete auf sozialen Medien zuletzt von Vergewaltigungen Minderjähriger durch russische Soldaten. Kriegsberichterstatterin Christine Lamb zufolge wollten Täter den Angehörigen, insbesondere den Männern, so vermitteln: "Ihr seid schwach. Ihr schafft es nicht, eure Frauen zu beschützen."
Körperliche Verletzungen, seelisches Trauma und Stigmatisierung
Zu den körperlichen Verletzungen und dem seelischen Trauma kommt häufig die gesellschaftliche Stigmatisierung hinzu. Dadurch erleiden die Betroffenen doppelte Gewalt, denn nach der Vergewaltigung folgt häufig die gesellschaftliche Ächtung:
"The war is not over when it's over", der Krieg sei nicht vorüber, wenn er vorbei sei, erklärt die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, Dr. Pramila Patten - und macht damit auf das psychische Trauma der Frauen nach dem Krieg aufmerksam. Sie benötigten dringende psychologische Betreuung und medizinische Hilfe, fordert Patten.
Ukraine: Hier können Sie spenden
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Wie arbeitet das Aktionsbündnis?
Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.
UN-Sonderbeauftragte: "Psychische Zerstörung ganzer Familien"
Während des Bosnien-Krieges seien mindestens 25.000 muslimische Frauen jedes Alters systematisch vergewaltigt worden, so Patten. Diese Vergewaltigungen bezweckten demnach die psychische Zerstörung ganzer Familien, denn die Opfer seien nicht selten von ihren Ehemännern verstoßen worden.
Die Scheidung sei für die Täter aus Sicht der UN-Sonderbeauftragten ein "zweiter Sieg" gewesen. Wurden die Frauen schwanger, seien sie für ihr Leben gebrandmarkt. Laut Rechtsanwältin Helga Wullweber hätten in Bosnien Vergewaltigungen auch einer "ethnischen Säuberung" in von den Serben beanspruchten Gebieten gedient. Das Trauma sitzt tief. Bis heute wagen sich viele der betroffenen Frauen nicht in ihre Heimat zurück.
Vergewaltigungen im Krieg nur schwer zu dokumentieren
Seit 2008 wird Vergewaltigung in Kriegen von den Vereinten Nationen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Waffe anerkannt. Jedoch werden die Täter nahezu nie für diese Verbrechen zur Rechenschaft gezogen.
Zudem seien die Fälle immer schwierig zu dokumentieren, da viele Opfer nicht über die Tat sprechen wollen. Die Frauen können das Erlebte häufig nicht verarbeiten, sodass sie ihr Trauma an ihre Kinder, die nächste Generation, übertragen.
Die Forderung und die Notwendigkeit unabhängiger Untersuchungen sexualisierter Gewalt - auch im Ukraine-Krieg - bleiben jedoch.
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