: Visegrád: Ukraine-Krieg offenbart Differenzen

von Thomas Dudek
15.12.2022 | 14:39 Uhr
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat auch die Differenzen innerhalb der Visegrád-Gruppe offenbart. Das ostmitteleuropäische Bündnis geht mit diesen aber pragmatisch um.
Verkündeten schon im Sommer "getrennte Wege": Ungarns Viktor Orban und Polens Mateusz MorawieckiQuelle: Imago
Kurz vor dem EU-Ratsgipfel konnte sich Viktor Orbán einen Seitenhieb gegen die Europäische Union nicht verkneifen. "So sieht die Rechtsstaatlichkeit in Brüssel aus", schrieb der ungarische Ministerpräsident zu einem Tweet der belgischen Polizei, auf dem Geldbündel zu sehen sind.
Tweet der belgischen Polizei
Sichergestellt wurden diese bei Verdächtigen des Korruptionsskandals, der seit dem Wochenende das Europaparlament erschüttert.

"Pole, Ungar, zwei Brüderlein"

Es war nicht das erste Mal, dass Orbán den Korruptionsskandal dazu nutzte, um in den sozialen Netzwerken die Glaubwürdigkeit der EU sowie die des EU-Parlaments infrage zu stellen. Und damit steht er nicht allein da. Auch nationalkonservative Politiker aus Polen haben in den vergangenen Tagen ähnliche Kommentare von sich gegeben. Was auf den ersten Blick nicht verwunderlich ist.
Beide Regierungen stehen wegen Defiziten bei der Rechtsstaatlichkeit in ihren Ländern seit Jahren mit der EU im Clinch, weshalb sie sich in Brüssel seit Jahren bei Abstimmungen gegenseitig unterstützten. Nicht selten beriefen sie sich dabei auf ein historisches, in beiden Ländern verbreitetes Sprichwort: "Pole, Ungar, zwei Brüderlein".

Zweckbündnis der PiS und der Fidesz

Doch trotz aller Beteuerungen aus Warschau und Budapest sollte man diese Freundschaft nicht überschätzen. "Diese von beiden Regierungen propagierte polnisch-ungarische Partnerschaft war schon immer eher ein Zweckbündnis der PiS und der Fidesz. Zwei patriotisch-konservative Parteien, die unter anderem das Rechtsstaatlichkeitsproblem verbindet", erklärt Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Und wie fragil dieses Zweckbündnis ist, offenbarte endgültig der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Während Polen seit dem ersten Kriegstag zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine gehörte, fiel Ungarn in den vergangenen Monaten wiederholt durch seinen Widerstand gegen EU-Sanktionen gegen Russland auf oder so - wie jüngst - mit seiner Blockade gegen ein Milliarden-Hilfspaket der EU für Kiew.
Keinen Hehl aus den Spannungen machten auch die verantwortlichen Politiker. "Ich bestätige die Worte des Ministerpräsidenten Orbán, dass sich die Wege Polens und Ungarns getrennt haben", erklärte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Ende Juli bei einem öffentlichen Auftritt.
Wenige Tage zuvor bekannte sich Orbán zu, dass die polnisch-ungarischen Beziehungen durch den Krieg belastet seien, da Ungarn dies als einen Krieg zwischen zwei slawischen Völkern ansehe, während sich die Polen fühlten "als ob sie dort selbst kämpfen würden".

Ende von Visegrád-Bündnis wegen Russland?

Irritiert über Ungarns fragwürdige Haltung gegenüber dem russischen Krieg in der Ukraine zeigten sich mit Tschechien und der Slowakei auch zwei weitere Partner der 1991 initiierten Visegrád-Gruppe. Höhepunkt der Unstimmigkeiten waren von Prag, Bratislava und Warschau abgesagte Treffen der vier Staaten. Nicht wenige prophezeiten schon gar ein Ende des Bündnisses, das 2015 durch seinen Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen bei vielen EU-Partnern für Unmut sorgte.
Prophezeiungen, die sich jedoch nicht erfüllten. "Die Visegrád-Gruppe ist ein Format der variablen Geometrie", sagt der Ostmitteleuropa-Experte Lang. Und zu dieser variablen Geometrie gehört auch eine Abgrenzung einzelner Staaten bei kritischen Themen. "Beim Thema Rechtstaatlichkeit distanzierten sich Tschechien und die Slowakei von Polen und Ungarn. Nun distanzieren sich Tschechien, die Slowakei und Polen wegen Russland von Ungarn", so Lang.

Russland zuletzt kein zentrales Thema

"Aber gemeinsame Interessen wie Strukturpolitik oder auch die Themen Flüchtlinge und die Ablehnung einer weiteren Vertiefung der EU sorgen für die Fortsetzung der Kooperation", so Lang. Und dabei zeigen die vier Staaten laut dem Experten durchaus Pragmatismus:
In der letzten Zeit zeigte sich, dass die Visegrád-Kooperation zwar belastet, aber nicht tot ist.
Kai-Olaf Lang, Stiftung Wissenschaft und Politik
Im November gab es nach längerer Pause einen Gipfel der Regierungschefs, Anfang Dezember kamen die Außenminister zusammen. "Bei den Treffen wurden dagegen Sicherheits- und Russlandpolitik offenkundig nicht ins Zentrum gestellt."
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